Braunschweig. Faszinierende Premiere: Publikum sitzt bei „Koma“ im Staatstheater mit auf der Bühne - die Hälfte der Oper spielt im völligen Dunkeln.

Gleich vorweg: Die Musik von Georg Friedrich Haas ist prächtig – suggestiv, verführerisch, aufrüttelnd, umnebelnd, hochemotional und intensiv. Ein Spektrum fantastischer Klänge, dem man sich gern überlässt, bei dem man im vorherrschenden Dunkel des alle Musizierenden, Singenden und Zuhörenden umfassenden Bühnenraums in Trance geraten kann, weil nichts mehr ablenkt, weil sich die wunderbar geschmeidige, süffige Sopranstimme von Ekaterina Kudryavtseva als Komapatientin Michaela in wogenden Vokalisen raumfüllend um einen legt, weil der Kopf so frei wird, sich auf ihre, Michaelas Wahrnehmung der Dinge einzulassen.

In Dagmar Schlingmanns Inszenierung gibt es auch surreale Bilder, die man sich selbst enträtseln muss - wie hier mit dem aufgeblasenen Gummi-Drachen und Rainer Mesecke als Mann der Komapatientin und ihrer Schwester.
In Dagmar Schlingmanns Inszenierung gibt es auch surreale Bilder, die man sich selbst enträtseln muss - wie hier mit dem aufgeblasenen Gummi-Drachen und Rainer Mesecke als Mann der Komapatientin und ihrer Schwester. © Thomas M. Jauk/StagePicture | Thomas M. Jauk/Stage Picture

Im Dunkeln sind es noch unsere eigenen Assoziationen, denn Vokalisen sind Laute ohne Text. Das Staatsorchester, im Dunkeln auswendig spielend, schafft es grandios, etwaige Empfindungen der im Unbewusstsein lebenden Frau aufzurufen. Das reicht von der Ruhe wagnerschen „Rheingold“-Urwebens bis zum bedrohlichen Crescendo nach Art eines startenden Flugzeugs, wenn sie offenbar bei den Berührungen des sie waschenden Pflegepersonals in Panik gerät.

Surreale Bilder in den Lichtphasen

Dann wieder klingelt die Perkussion mystisch, glissieren die Streicher oder führen schnelle harsche Striche, von Bläserstößen unterfüttert, Klavier geistert auf und ab. Das klingt komplex, aber anschaulich, selten aggressiv, oft berührend schön und faszinierend. Alexis Agrafiotis hat das großartig einstudiert und koordiniert nun am Pult in den Lichtphasen. Dann werden die Gestalten, die sich um Michaelas Wachwerden bemühen, sichtbar, Pflegepersonal, das spricht, Familienmitglieder, die singen.

Aber wir sehen sie durch Gazewände wie mögliche Erscheinungen in Michaelas Kopf. Regisseurin Dagmar Schlingmann hat sich für abstrakte Bilder entschieden, in denen etwa ein Schal oder ihr grünes Lieblingskleid, mit dem die Familie Erinnerungen wachzurufen sucht, als surreal überdimensioniert erscheinen, so wie sie vielleicht auf Michaela eindringen. Aufgeblasene Gummitiere wie Dino und Drache und die lila Kleidung von Ausstatterin Sabine Mader wirken dabei trotzdem etwas zu poppig.

Trancehafte Musik im völligen Dunkeln

Mit warmem Bass müht sich Rainer Mesecke als Ehemann um Michaela. Die Schwester, von Pia Davila als Einspringerin mit hellem Sopran gesungen, von Regieassistentin Beatrice Müller gespielt, steht ihr nahe. Daniel Gloger bringt als ihr Geliebter einen weichen Bariton ein, wechselt aber auch mit Countertenor in die bissigen Einwürfe der Mutter, die Michaela und auch deren Kind lieber tot, also gar nicht geboren gesehen hätte. Man kann sich aus den Textfetzen Gründe für den Selbstmord im See assoziieren.

Gegen Ende beruhigt sich die Musik wieder trancehaft. Nur noch Rufe ihres Namens dringen durchs Dunkel, Michaela blendet unser Diesseits langsam aus. Das geht unter die Haut. Ein Erlebnis.

Wegen der nur 180 verfügbaren Plätze auf der Bühne des Großen Hauses sind die Vorstellungen schon gut gebucht. Karten sichern! Unter Telefon (0531) 1234567 oder www.konzertkasse.de.