Braunschweig. Countertenor Daniel Gloger hat schon in der Uraufführung gesungen und verspricht: Die Musik bekommt im Dunkeln etwas Meditatives.

Ein besonderes Erlebnis ist es ganz bestimmt: Circa 40 Prozent der Oper „Koma“ von Georg Friedrich Haas spielen in völliger Dunkelheit. Publikum, Mitwirkende und Orchester sind dazu auf der Bühne des Großen Hauses vereint und machen diese Erfahrung gemeinsam, nur dass die Musizierenden dabei noch ihre Töne finden müssen. „Für Klavier und Schlagzeug ist das besonders schwer, schließlich müssen sie manchmal ihre Schlägel und Instrumente wechseln und dürfen nicht danebenhauen“, sagt Daniel Gloger. Der Countertenor hat schon bei der Uraufführung dieses eigenwilligen Stücks mitgewirkt. Nun ist er auch bei der Braunschweiger Erstaufführung wieder dabei.

Das Faszinierende für ihn: „Im Dunkeln entfaltet die Musik eine meditative Kraft, da fährt das System der Zuhörenden ganz weit runter, kann sich den Schwingungen der Klänge öffnen, alle andere Wahrnehmung mal ausschalten.“ Die dramaturgische Situation ist so zu denken, dass das Geschehen quasi aus Sicht der im Koma liegenden Michaela wahrgenommen wird. Daher das Dunkel, durch das die Stimmen ihrer Freunde und Verwandten dringen und manchmal traumartige Szenen entstehen, etwa Erinnerungen, die die Familienmitglieder wachrufen wollen, um die Komapatientin ins Leben zurückzuholen.

Szenen aus der Sicht der Komapatientin

„Die Stimme Michaelas kommt daher auch aus dem Raum, quasi aus dem Publikum, weil das Publikum ja ihre Perspektive hat. Und wir spielen deshalb auch aufs Publikum zu und eben nicht über eine Statistin oder ein Bett gebeugt, in dem Michaela realistisch zu denken wäre“, erläutert Gloger. Und sie erklingt nur im Dunkeln, das ist ihre Weltwahrnehmung.

Szene aus einer der Lichtphasen in „Koma“, der Oper von Georg Friedrich Haas am Staatstheater Braunschweig. Die Familie und Pfleger erscheinen wie im Kopf der Komapatientin hinter Gaze.
Szene aus einer der Lichtphasen in „Koma“, der Oper von Georg Friedrich Haas am Staatstheater Braunschweig. Die Familie und Pfleger erscheinen wie im Kopf der Komapatientin hinter Gaze. © Braunschweig | Thomas M. Jauk/Stage Picture

Interessant sei, wie Haas‘ Musik dabei auch die Obertöne, die als natürliche Schwingung in jedem Klang enthalten sind, dramaturgisch nutze. Michaelas Gesang, der nur aus Vokalisen, nicht mehr aus Text besteht, nutze sehr stark die natürliche Obertonstruktur, das heißt Töne, die als natürliche Vielfache über dem Grundton schwingen, erklärt Gloger. Der klassische Gesang folgt dagegen der wohltemperierten Stimmung, die mit kleinen Abweichungen davon alle Tonarten zu harmonisieren versucht, worauf sich die meisten Menschen heute eingehört haben. So seien die Welt der Komapatientin und der in der Realität gefangenen Familie auch musikalisch geschieden. Manchmal zeige die Neigung zum Obertönigen die Nähe zu Michaela, so Gloger: „Der Gesang von Michaelas Mann ist um einen Viertelton anders harmonisiert als meiner als ihr Geliebter. Wir lieben sie beide, aber unsere Liebe ist nicht die gleiche.“ Grundsätzlich werde der Gesang von allen Beteiligten im Verlauf des Stücks immer obertöniger, weil sie sich Michaelas Perspektive annähern und ihren Abschied aus der Welt letztlich akzeptieren müssen.

Nur Vokalisen und Geständnisse im Dunkeln

Die Erinnerungsszenen würden psychologische Fenster bis in die Kindheit öffnen, sagt der Sänger. „Da taucht, sehr poetisch verbrämt, auch früher Schmerz, womöglich durch Missbrauch, auf, wenn vom Spielen im Garten die Rede ist, ,wir wollten verbrennen‘, singt die Schwester.“ Der Geliebte hätte ein Ausweg sein können, aber es ist ihr Schwager. „Nur im Dunkeln erfahren wir von dieser Beziehung, im Hellen, rund ums Krankenbett, weiß niemand davon.“

Als Countertenor ist Gloger speziell mit den Obertonanforderungen vertraut, weil er auch viel Renaissance- und Frühbarockmusik singt, wo die Temperierung noch nicht durchgesetzt war. „Wie in der zeitgenössischen Musik gibt es auch keine Vorbilder zum Nachsingen, man muss selbst in den Noten lesen und herausfinden, wie es klingen soll.“ Für die Neue Musik ist ein Countertenor noch immer ein Alleinstellungsmerkmal, „aber ich bin sehr abenteuerlustig“, und so haben Komponisten auch schon extra für ihn komponiert, Bernhard Lang etwa den Parzefool in seiner Oper „Mondparsifal“, die bei den Wiener Festwochen uraufgeführt wurde.

Nutzen der natürlichen Obertonstruktur

Inzwischen tritt der 47-jährige Dozent an der Kunsthochschule Bern aber auch als Bariton auf. „Nach dem Stimmbruch ging es nur als Countertenor weiter. Aber meine Sprechstimme blieb Bariton. Ich wechsle jetzt ganz gern, das gibt eine besondere Spannung.“ So nutzt er in einem Puppentheater-Projekt mit Mozarts ,Zauberflöte‘ als Papageno erst wie im Original den Bariton, nachher bei der Freude über die Vereinigung mit Papagena aber auch den Countertenor. Auch in „Koma“ kommen beide Lagen zum Einsatz. Wegen der auf 180 Plätze begrenzten Zuschauerzahl sind die anderen Vorstellungen schon gut gebucht. Karten sichern!

Karten unter Telefon (0531) 1234567 oder www.konzertkasse.de