Braunschweig. Im Fairkauf Braunschweig gehören Inklusion und Nachhaltigkeit zum Kaufhauskonzept. Beeinträchtigte Menschen sind Teil der Belegschaft.

Zwischen klirrenden Gläsern und Tellern, holt Annerose Timmler, die von allen „Anne“ genannt wird, einen Karton aus dem kleinen Lagerraum im Untergeschoss des Kaufhauses. Heute arbeitet sie in der Abteilung für Haushaltswaren. Ihre Aufgaben sind es, die gespendeten Artikel zu sortieren, mit dem richtigen Preis auszuzeichnen und zum Verkauf auszustellen. Damit sie weiß, welcher Preis auf welche Ware gehört, schaut sie in ein kleines Buch. Neben Text sind darin auch viele bunte Piktogramme zu finden, denn einige ihrer Kollegen können nicht gut lesen.

In der Haushaltsabteilung arbeitet Anne, die eine geistige Beeinrächtigung hat, besonders gerne. Durch ihre Erfahrungen, die sie in den knapp sieben Jahren Betriebszugehörigkeit gesammelt hat, weiß sie genau wie viel Teller, Tassen und Tupperware kosten. „Wenn ich in einer anderen Abteilung bin, muss ich noch in das Büchlein gucken“, sagt Timmler. Habe sie doch mal eine Frage oder benötigt Hilfe, stehen ihr auch hauptamtliche Mitarbeiter zur Verfügung, die sie und ihre 14 Kollegen unterstützen.

Die Verkäuferin Annerose Timmler holt neue Ware aus dem Lager. Die 25-Jährige arbeitet seit mehreren Jahren im Fairkauf.
Die Verkäuferin Annerose Timmler holt neue Ware aus dem Lager. Die 25-Jährige arbeitet seit mehreren Jahren im Fairkauf. © Peter Sierigk | Peter Sierigk

Das Konzept des Fairkauf in Braunschweig kennzeichnet sich durch Inklusion und Nachhaltigkeit

Das Konzept des Kaufhauses ist simpel: Gespendete Produkte werden im Fairkauf weiterverkauft. Doch das Fairkauf in Braunschweig bietet eine Besonderheit: „Dadurch, dass die Menschen spenden, können wir Arbeitsplätze für Menschen mit Beeinträchtigung zur Verfügung stellen“, erzählt Pressesprecherin der Lebenshilfe, Elke Franzen. Die Einnahmen des Kaufhauses kommen dann genau diesen Menschen zugute. Doch das Fairkauf bietet noch einen weiteren Vorteil. „Man hat eine Mischung aus Inklusion und Nachhaltigkeit. Die Produkte bekommen ein zweites Leben und das ist schön“, erzählt Michael Schumann, Leiter des Fachdienstes berufliche Bildung bei der Lebenshilfe.

Heute Morgen beginnt Timmlers Arbeitstag um acht Uhr, gearbeitet wird in Schichtdiensten. „Wenn wir ankommen, werden erstmal die Aufgaben verteilt und die Mitarbeiter auf die verschiedenen Bereiche aufgeteilt“, berichtet sie. Neben den vier Etagen für Haushaltswaren, Kindersachen, Bekleidung und Büchern, gebe es auch noch den Kassenbereich und den Packdienst zu besetzten. Zwischen elf und zwölf Uhr ist meistens Mittagspause. Diese verbringen sie Mitarbeiter meist in der kleinen Küche in der obersten Etage des Kaufhauses. Die bunten Piktogramme finden sich auch auf dem Essensplan wieder, der auf dem Tisch liegt. Jeden Tag können die Mitarbeiter zwischen zwei Gerichten wählen. Das sei besonders wichtig, denn manche ihrer Kollegen essen kein Fleisch, erklärt Timmler.

Jeden Tag werden neue Artikel in die Regale verräumt, da das Fairkauf täglich Spenden bekommt.
Jeden Tag werden neue Artikel in die Regale verräumt, da das Fairkauf täglich Spenden bekommt. © Peter Sierigk | Peter Sierigk

Annes Ziel ist es, im Braunschweiger Einzelhandel Fuß zu fassen

Auf den Job im Kaufhaus sei sie durch ihre ambulante Betreuerin, die ebenfalls für die Lebenshilfe arbeitet, gekommen. Sie begleitet Timmler stundenweise im Alltag und unterstützt sie auch bei alltäglichen Dingen. Vorher habe sie in einer Werkstatt in Halberstadt gearbeitet. Für den Job im Kaufhaus ist sie dann nach Braunschweig gezogen. „Angefangen habe ich hier als Praktikantin. Erstmal wollte ich gucken, ob die Arbeit etwas für mich ist“, erinnert sich Anne. Nach ihrem zweimonatigen Praktikum war ihr klar, sie möchte bleiben. „Wenn etwas Neues kommt, außerhalb meiner Tagesstruktur, dann muss ich mich erst einfinden“, erzählt sie. Vor allem die klaren Strukturen seien ihr in ihrem Alltag wichtig.

„Ich finde manchmal nicht die passenden Worte und ich brauche Anleitung, um Dinge zu erklären“, sagt Timmler. Dadurch sei es schwieriger für sie auf dem freien Arbeitsmarkt zu arbeiten. Die Lebenshilfe bietet Menschen wie Anne Timmler jedoch einen Job möglichst nah am regulären Arbeitsverhältnis und hat das Ziel, die Mitarbeiter auf einen Job auf dem freien Arbeitsmarkt vorzubereiten. „Die Lebenshilfe begleitet die Menschen auch im regulären Arbeitsverhältnis weiter. Außerdem gibt es ein Rückkehrrecht in die Werkstatt oder das Kaufhaus“, erklärt Schumann. Auch Timmler hat genaue Vorstellungen für ihre Zukunft. „Mein Ziel ist es, auf dem freien Arbeitsmarkt im Einzelhandel zu arbeiten“, erzählt sie. Gerade seien sie noch auf der Suche nach einem geeigneten Betrieb, denn es sei wichtig, dass Anne erst einmal den Unterschied zwischen dem Fairkauf und dem regulären Einzelhandel kennenlernt.

Wenn Kunden etwas im Fairkauf-Schaufenster der Matthiesen Passage entdecken, helfen Mitarbeiter des Verkaufs gerne weiter.
Wenn Kunden etwas im Fairkauf-Schaufenster der Matthiesen Passage entdecken, helfen Mitarbeiter des Verkaufs gerne weiter. © Peter Sierigk | Peter Sierigk

Der Tag endet für sie heute um 15 Uhr, da sie heute die Frühschicht übernommen hat. Doch allein ist sie nach dem Feierabend nicht: „Ich habe noch ein schulpflichtiges Kind zu Hause.“ Neben ihrem Kind erwartet sie auch noch „ihre bessere Hälfte“, ergänzt sie und lächelt.