Berlin. Angehörige von Demenz-Erkrankten kommen bei der Pflege an ihre Grenzen. Dann beginnt für sie oft eine Zeit mit vielen Schuldgefühlen.

Plötzlich ist da nur noch Leere: Wer ist dieser Mensch, der zu Besuch kommt? Dass es die Tochter ist, ist vergessen. Vergessen, wie so vieles. Dass man eine Unterhose nicht über den Kopf anzieht, Butter nicht ins Gesicht schmiert, Schuhe nicht in die Mülltonne gehören. Dass man essen, trinken und zur Toiletten gehen muss. Alles nicht mehr abrufbereit.

Demenz verrückt die Koordinaten des Lebens – die Wahrnehmung, die Erinnerung – und macht das Funktionieren im Alltag häufig unmöglich. Etwa 1,6 Millionen Menschen leben in Deutschland mit dieser Diagnose. Nicht nur sie sind betroffen, auch ihre Angehörigen.

Pflege von Demenz-Erkrankten: Prominente Beispiele

Als John Lydon (65) vor Kurzem seine 15 Jahre ältere Frau ins Heim geben musste, wusste er, dass es richtig war. Dennoch war Lydon, besser bekannt als Frontman Johnny Rotten von der legendären britischen Punkband „Sex Pistols“, gleichzeitig auch unglücklich. Die Schuldgefühle des Promis füllten Schlagzeilen. Die Punklegende, die lange der Pfleger seiner Frau war, saß in der Zwickmühle: Er liebte seine Frau und wollte sie „nicht abschieben“.

Aber dann habe er gemerkt, dass es ihn überfordert und „dass es egoistisch von mir war, ihr einziger Pfleger zu sein. Ich habe ihr weibliche Gesellschaft verwehrt“, sagte er. Lydon habe ein Heim für sie gesucht und festgestellt: Mit den neuen Betreuerinnen seien auch die „kleinen Albernheiten“ zurück ins Leben seiner Frau gekommen – Nagellack, Tratsch oder Lippenstift. Es hat ihn beruhigt.

Zwei Drittel der Erkrankten leben im vertrauten Umfeld

„Ob Pflege zu Hause oder im Heim, das ist wirklich ein großes Thema, das viele Menschen beschäftigt“, sagt Laura Mey von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. Es sei auch deshalb so schwierig, „weil es mit vielen Schuldgefühlen“ behaftet sei: „Wenn sich Ehepaare versprochen haben, füreinander da zu sein, dann fühlt sich das natürlich zunächst einmal wie ein Vertrauensbruch an.“

Zwei Drittel der Dementen leben im vertrauten sozialen Umfeld in der Familie. Doch die Pflege von Demenzkranken sei eine Herausforderung. „Extrem intensiv und zeitaufwendig“, sagt Laura Mey. „Viele Familien kommen zu Hause an ihre Grenzen.“ Vor allem, wenn die Demenz fortgeschritten ist „und es zum Beispiel auch um Inkontinenz“ geht, „dann kann man die Betreuung alleine einfach nicht mehr schaffen. Auch weil der Ehepartner ja oft schon ein fortgeschrittenes Alter hat und selbst nicht mehr ganz fit ist.“

Überforderung durch die Demenz-Krankheit

Demenzerkrankte wirken vielfach überfordert, weil sie nicht mehr verstehen, was um sie herum passiert. Das verunsichert und löst extreme Ängste aus, so Experten. Sagen, was sie fühlen, können sie nicht mehr. Das macht sie hilflos und manchmal aggressiv.

Ein Verhalten, „das auf Dauer die Nerven der Partner ruiniert“, so Christiane Wähner, Chefärztin der Klinik für Gerontopsychiatrie am Augusta Krankenhaus in Bochum. „Bei einer Betreuung zu Hause konzen­triert sich sehr oft alles auf eine Person. Es gibt kein Angebot von außen.“ Das könne die Menschen noch zusätzlich aggressiv machen.

Es sei die ewige Frage, so Experten: zu Hause oder Heim? Wichtig sei es, die Fakten abzuwägen. „Was spricht für eine Betreuung zu Hause, was für eine Betreuung in einem Heim?“, sagt Alzheimer-Fachkraft Laura Mey. „Man sollte das in Ruhe überlegen. Aber man darf dabei nicht zu viel Zeit verstreichen lassen. Also nicht zu lange abwarten, bis es gar nicht mehr geht.“ Viel besser sei es, wenn die betroffene Person noch einigermaßen gut zurechtkommt. „Je fitter beim Umzug, desto besser.“

Jeder Demenzkranke hat andere Bedürfnisse

Wie schwierig der Prozess ist, erlebt Mey immer wieder in Gesprächen am Alzheimer-Telefon. Es gebe eben kein allgemeingültiges Rezept, weil jeder Mensch andere Bedürfnisse habe. „Manche Menschen haben immer eher zurückgezogen gelebt, für die ist es vielleicht nicht so gut, wenn sie plötzlich in eine große Gemeinschaft kommen.

Oder vielleicht gerade doch? Andere aber waren immer sozial aktiv, hatten einen großen Bekanntenkreis und die Gemeinschaft hat eine große Rolle gespielt.“ In diesem Fall kann die Unterbringung in einem Heim, das über ein großes Angebot an Aktivitäten verfügt, mehr bieten, als wenn sich nur der Partner um die Person kümmert.

Bewohner einer Demenz WG halten sich an den Händen. Im Alter ins Heim – davor graut es vielen. Entsprechend legen betreute Wohngemeinschaften zu.
Bewohner einer Demenz WG halten sich an den Händen. Im Alter ins Heim – davor graut es vielen. Entsprechend legen betreute Wohngemeinschaften zu. © dpa | Oliver Berg

Eindrücke von den Heimen vor Ort sammeln

Allerdings, so Mey, sollte man sich vorher umhören, ob das Pflegeheim die Kriterien auch erfüllt. „Man hat ja schon viel von Pflegenotstand gehört und dass vieles schlecht läuft in den Heimen“, so Mey. Doch wie hört man sich um?

Am besten sei es, die Heime zu besuchen. Am Tag der offenen Tür vorbeischauen oder sich einen Termin geben lassen. Und sich herumführen lassen. Man sollte sich Fragen notieren zum Personalschlüssel und auch zu den internen Fortbildungen, die dem Personal angeboten werden – vor allem zum Thema „Demenzerkrankungen“.

Denn nur ausgebildetes Personal bringe die nötige Kompetenz auf, um mit den desorientierten Menschen umzugehen. Zudem sollte man fragen, ob ein Konzept für die Betreuung Dementer vorhanden ist. Zum Beispiel einzelne Wohnbereiche, in denen sich die Betroffenen unter Aufsicht zurückziehen können. Oder zusätzliche Ergotherapeuten oder Betreuungsassistenten, die sich speziell um Demenzpatienten kümmern.

Heim ist auch Möglichkeit für Neustart

Generell sei es allerdings schwierig herauszufinden, ob ein Heim gut oder schlecht sei. „Es steht und fällt alles mit dem Engagement der Mitarbeiter. Und wenn vielleicht gerade eine Kraft, die für ein tolles Klima gesorgt hat, nicht mehr da ist, kann sich vieles schnell ändern“, so Mey.

Gerontopsychiaterin Christiane Wähner kennt die Probleme, aber sie macht Mut: Sie kenne Fälle, wo sogar weit über 90-Jährige in ein Heim umgezogen seien und dort neue Freundinnen gefunden hätten. „Das wäre ja zu Hause unmöglich gewesen.“

Hilfsangebote nutzen

Das Alzheimer-Telefon ist ein bundesweites Beratungsangebot für Menschen mit Demenz, für Angehörige sowie für alle, die sich beruflich oder ehrenamtlich engagieren. Geschulte Beraterinnen und Berater stehen Ratsuchenden Montag bis Donnerstag von 9 bis 18 Uhr sowie freitags von 9 bis 15 Uhr unter der Telefonnummer 030/259 37 95 14 zur Verfügung.

Mit seinen Sorgen, Fragen oder Problemen kann man sich auch schriftlich per E-Mail an die geschulten Berater wenden. Das Kontaktformular findet sich hier auf der Seite der Deutschen Alzheimer Gesellschaft.