Berlin. Die Schufa will Verbraucherinnen und Verbraucher künftig auch anhand ihrer Kontoauszüge bewerten. Datenschützer schlagen Alarm.

Die Schufa will Verbraucherinnen und Verbraucher künftig offenbar auch anhand ihrer Kontoauszüge bewerten. Nach Recherchen von NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“ (SZ) hat Deutschlands größte Wirtschaftsauskunftei Anfang November im Rahmen einer Zusammenarbeit mit dem Mobilfunkkonzern Telefónica/O2 erste Schritte unternommen, um an solche sensiblen Daten zu gelangen.

In den vergangenen Monaten hatten Schufa-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter auf Branchenveranstaltungen wiederholt über Pläne berichtet, die Daten von Kontoauszügen mit bei der Schufa bereits vorhandenen Verbraucherdaten zusammenführen zu wollen.

Dadurch sei die Schufa in der Lage, umfassende Auswertungen im Hinblick auf die Zahlungsfähigkeit und weitere Kriterien wie Risiken oder Vorlieben von Verbraucherinnen und Verbrauchern durchzuführen.

Schufa will zur Bonitätsprüfung auch Kontoauszüge einsehen

Seit Einführung der Zweiten EU-Zahlungsdiensterichtlinie können sogenannte Kontoinformationsdienste Einblick auf Konten bekommen. Voraussetzung ist, dass der Kunde zustimmt.

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Die Schufa hatte Ende Dezember 2018 den von der Bankenaufsicht Bafin lizenzierten Münchner Kontoinformationsdienst Finapi GmbH gekauft, der nach eigenen Angaben potenziell Zugriff auf mehr als 50 Millionen deutsche Bankkonten hat.

Aus internen Schufa-Dokumenten, die NDR, WDR und SZ nach eigenen Angaben einsehen konnten, geht hervor, dass die Finapi GmbH auch deshalb von der Schufa übernommen wurde, um an Kontodaten von Verbraucherinnen und Verbrauchern zu gelangen.

Ein Informationsblatt und ein Antrag für eine Schufa-Auskunft – das kennen Verbraucherinnen und Verbraucher bisher. Die größte deutsche Wirtschaftsauskunftei will nun auch sensibelste Daten einsehen.
Ein Informationsblatt und ein Antrag für eine Schufa-Auskunft – das kennen Verbraucherinnen und Verbraucher bisher. Die größte deutsche Wirtschaftsauskunftei will nun auch sensibelste Daten einsehen. © dpa | Jens Kalaene

Das Unternehmen könnte dann auch „Risikofaktoren“ erkennen

Der Kontoeinblick eröffne ein „umfangreiches Potenzial in Hinblick auf Bonitätsbewertung , Affinitätsscores oder Ermittlung der Lebenssituation “, heißt es demnach in einer vertraulichen Schufa-Präsentation vom Frühjahr 2019.

Bei einer Branchenveranstaltung im Sommer 2020 erklärte ein Mitarbeiter der neuen Schufa-Tochterfirma den Berichten zufolge, das Unternehmen könne in Kontoauszügen 65 Kategorien erkennen, darunter Gehalt , Miete , staatliche Leistungen , Unterhaltszahlungen , Arztbesuche sowie Urlaubsreisen . Zudem könne man „Risikofaktoren“ wie Glücksspiel , Zahlungen an Inkassoinstitute oder Rücklastschriften identifizieren, die beispielsweise bei einem Kreditantrag wichtig sein könnten.

Eine Testphase mit dem Mobilfunkanbieter Telefónica/O2 läuft bereits

Erste Schritte, um an Kontoauszüge zu gelangen, hat die Schufa im Rahmen ihres neuen Produkts „Schufa CheckNow“ unternommen. Am 4. November 2020 begann eine dreimonatige Testphase in Zusammenarbeit mit dem Mobilfunkanbieter Telefónica/O2.

Potenzielle Neukunden , die aufgrund ihrer schlechten Bonität normalerweise keinen O2-Handyvertrag bekommen würden, können sich von der Schufa auf ihr Konto schauen lassen. So kann die Auskunftei eine neue und womöglich bessere Bonitätsbewertung erstellen, die dann doch einen Handyvertrag möglich macht. Solche Daten würden danach umgehend gelöscht, so das Unternehmen.

Datenschützer: „Ich mache mich als Verbraucher da wirklich nackig“

Darüber hinaus jedoch sollen Kundinnen und Kunden eine freiwillige Einwilligung geben, die der Schufa weitgehende Rechte einräumt, die Kontoauszüge der vergangenen drei Monate zu speichern, auszuwerten und zur „Entwicklung und Weiterentwicklung von eigenen Dienstleistungen und Produkten“ zu verarbeiten, wie es in der Einwilligungserklärung heißt.

Diese Option sehen Datenschützer sehr kritisch, da dabei nicht hinreichend deutlich werde, dass man auch ohne Einwilligung einen Handyvertrag bekomme. Es bestehe die Gefahr, dass man zustimme, ohne sich der Tragweite bewusst zu sein, so der frühere Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar im ARD-Magazin „Panorama“ : „Ich mache mich als Verbraucher da wirklich nackig, wenn ich diesen Einwilligungsbutton bestätige.“

• 2019 kritisierte ZDF-Satiriker Jan Böhmermann die Schufa für ihre intransparente Arbeit:

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Intime Daten – „ausschließlich im Wirtschaftsinteresse“ verwendet

Auf diese Weise könnten sehr umfassende Persönlichkeitsprofile entstehen. Die Einbeziehung „sehr vieler, auch höchst persönlicher Informationen“ führe zudem zu einem neuen „Blick auf die Bonität“, der nachteilig für die Betroffenen sein könnte, befürchtet Schaar.

Der ehemalige Landesdatenschutzbeauftragte von Schleswig-Holstein, Thilo Weichert, sagte, es könnten künftig intime Daten „ausschließlich im Wirtschaftsinteresse“ verwendet werden, „ohne dass der Betroffene das nachvollziehen kann.“ Das sei ein „Horror“.

Handelt „Schufa CheckNow“ wirklich datenschutzkonform?

Im Rahmen des Dienstes „Schufa CheckNow“ würden keine Daten Dritter und Gesundheitsdaten gespeichert, heißt es in einer Schufa-Presseerklärung vom 16. November dieses Jahres. Ob dies auch für die freiwillig von Verbrauchern zur Verfügung gestellten Daten gilt, ließ das Unternehmen auf Nachfrage offen.

In der Mitteilung spricht die Schufa von „voller Datenkontrolle des Verbrauchers“, das Unternehmen handle datenschutzkonform. Eine Datenverarbeitung von Kontoauszügen für Schufa-eigene Zwecke finde nur statt, „wenn der Verbraucher – und zwar ausdrücklich und unabhängig von der eigentlichen Dienstleistung – eine gesonderte Einwilligung“ erteile. Während der aktuellen „Testphase“ speichere man keine Daten.

Bayerische Aufsichtsbehörde prüft die „freiwillige Datenspende“

Welchen Mehrwert Verbraucher davon haben, dass sie ihre Kontoauszüge freiwillig der Schufa zu einer für einen Handyvertrag nicht notwendigen, umfangreichen Auswertung zur Verfügung stellen und welche Folgen die Auswertung für die Betroffenen haben könnte, erklärte die Auskunftei jedoch nicht, berichteten NDR, WDR und SZ. Telefónica/O2 verwies bei Nachfragen auf die Schufa, die für das Produkt aus datenschutzrechtlicher Sicht verantwortlich sei.

Die neue Dienstleistung „Schufa CheckNow“ und die Möglichkeit einer „freiwilligen Datenspende“ an die Schufa werden derzeit vom zuständigen Bayerischen Landesamt für Datenschutzaufsicht auf ihre rechtliche Zulässigkeit geprüft. Bayern ist zuständig, weil die Schufa-Tochterfirma Finapi GmbH dort ihren Sitz hat.

Auskunftei und Kontoinformationsdienst sind zwei Geschäftsmodelle

Nach Informationen von NDR, WDR und SZ wurde das neue Projekt der Aufsichtsbehörde erst an dem Tag vorgestellt, als es online ging. Zum Ausgang der Prüfung wollte sich die Behörde nicht äußern.

Behördenleiter Michael Will zeigte sich jedoch grundsätzlich skeptisch, ob die Verbindung aus einer Auskunftei und einem Kontoinformationsdienst – wie im Fall Schufa/Finapi – „so legitim, so hinnehmbar“ sei. „Das sind zwei unterschiedliche Geschäftsmodelle, mit denen wir es hier zu tun haben“, so Will. (dpa/max)