Berlin. Selbst ein halb gefülltes Planschbecken kann bereits riskant werden, warnen Experten. Kinder sollten früh den Umgang mit Wasser lernen.

Ob Planschbecken, Pool, Wassereimer oder See – gerade bei den hohen Temperaturen dieses Sommers ist eine Erfrischung im kühlen Nass mehr als willkommen. Doch jedes Jahr ertrinken in Deutschland Hunderte Menschen – darunter viele Kinder.

Allein in den letzten sieben Monaten sind laut der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) in deutschen Gewässern knapp 280 Menschen ertrunken – fast 40 mehr als im Vergleichszeitraum 2017. „Hatten wir im letzten Jahr durch den eigentlich nicht vorhandenen Sommer vergleichsweise geringe Ertrinkungszahlen, beweisen die anhaltenden Temperaturen und das schöne Wetter einmal mehr, dass es leider auch in die andere Richtung gehen kann“, so DLRG-Sprecher Achim Wiese.

Häufigste Todesursache bei Kleinkindern unter drei Jahren

Gerade Eltern sollten besonders aufmerksam sein. „Ertrinken ist die häufigste Todesursache für die Kleinen“, so Janko von Ribbeck, Autor des Buches „Schnelle Hilfe für Kinder. Notfallmedizin für Eltern“. Gerade in den ersten drei Lebensjahren sei die Gefahr zu ertrinken am höchsten. Erst wenn Kinder dann im Straßenverkehr aktiv würden, würden Verkehrsunfälle zur Haupttodesursache. Auch wenn sich diese Einschätzung nicht ganz mit den Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegen lassen, so zeigen diese doch ein ähnliches Bild – vorausgesetzt, man lässt Krankheiten einmal außen vor.

Auch Kinder- und Jugendarzt Hermann Josef Kahl vom Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte sieht Wasser als eine von Eltern und Erziehungsberechtigten noch immer unterschätzte Gefahr. „Selbst ein aufblasbarer Pool, zur Hälfte mit Wasser gefüllt, kann für ein Kind tödliche Gefahr bedeuten“, so Wiese. Von Ribbeck erzählt von Fällen, in denen Kinder in Putzeimern, Schubkarren mit Regenwasser oder in der Badewanne ertrunken sind.

Handlungsunfähigkeit durch Schock bei Kindern

Das Problem sei laut Wiese, dass bei einem Unfall mit Wasser Kinder viele Dinge gleichzeitig tun müssten, um wieder richtig Luft zu bekommen: „Es muss den Kopf über Wasser halten, es muss sich selbst im Zweifelsfall auch noch über Wasser halten und darf die Atmung dabei nicht vergessen.“ Hinzu käme laut den Experten außerdem die Schocksituation. „Manche Kinder bekommen gleich so einen Schreck, dass sie einfach steif, starr und handlungsunfähig werden“, beschreibt von Ribbeck.

Außerdem sei die Wahrnehmung der Kinder noch eine ganz andere. „Es gibt Erwachsene, die als Kinder ins Wasser gefallen sind und sich noch daran erinnern, wie sie die Augen aufmachten und sich dachten: ‚Wow! Das ist die Unterwasserwelt!‘“, erzählt von Ribbeck. „Sie haben nicht mal selbst realisiert, dass sie ertrinken könnten.“

Kinder und Babys sollten Erlebnisraum Wasser kennenlernen

Ein Rettungsring liegt in einem Freibad im Wasser.
Ein Rettungsring liegt in einem Freibad im Wasser. © dpa | Ole Spata

Ist Wasser im Spiel, muss es schnell gehen. Ein bis zwei Minuten reichen laut den Experten schon aus, dass ein Bade- oder Planschunfall tödlich enden kann. „Ich persönlich habe daher kein Planschbecken im Garten“, so von Ribbeck. „Mir ist das zu gefährlich, weil ich mich kenne. Ich kann nicht den ganzen Tag danebensitzen und immer mit meiner vollen Aufmerksamkeit beim Kind sein.“ Aber schon die kleinste Ablenkung, sei es durch Mobiltelefon oder ein Geschwisterkind, sei riskant. Planschbecken zu verbannen, so weit würde Wiese vom DLRG nicht gehen. „Wir wollen keine Spaßbremse sein.“ Auch kleine Kinder und Babys sollten den Erlebnisraum Wasser kennenlernen. „Aber Eltern, Aufsichtspersonen, Erziehungsberechtigte müssen ihre Kinder immer im Blick und immer in Griffnähe haben“, so Wiese. „Das ist eine Forderung, die wirklich aus dem Inneren kommt.“

Wasser in der Lunge kann zu Aspirationspneumonie führen

Das Heimtückische sei laut den Experten, gerade auch in tieferem Wasser, dass Kinder lautlos ertrinken. Das Bild vom Um-Hilfe-Rufenden, der wild mit den Armen um sich schlägt, sei fern der Realität. „Je kleiner ein Kind, desto eher liegt es einfach tot auf dem Wasser“, so Kinderarzt Kahl. Ein treibender Körper, Bewegungslosigkeit seien das eigentliche Warnsignal.

Ist ein Kind beispielsweise untergegangen und hat große Mengen Wasser geschluckt, sollte man laut den Experten zusätzlich auf folgende Warnsignale achten: starker Husten, Fieber, Atemnot, blaue Lippen und Angstsymptome. „Hier sollte man auf jeden Fall den Notarzt kontaktieren“, da sind sich Wiese und Kahl einig. Im Extremfall könnte es durch Wasser in der Lunge zu einer Aspirationspneumonie – einer Lungenentzündung – kommen. Sie entsteht dadurch, dass Fremdstoffe wie Wasser in die Lunge gelangen.

Geringe Wassermengen reichen für Gefahr schon aus

Auch ein sekundäres Ertrinken ist möglich – ein verspätetes Ertrinken an Land als Spätfolge eines Badeunfalls. „Man weiß, dass dafür geringe Wassermengen schon ausreichen“, so Kahl. „Aber dieses sekundäre Ertrinken ist sehr, sehr selten. Das sind nur ein bis zwei Prozent der Ertrinkungsunfälle überhaupt.“

Tobias Welte, Direktor der Klinik für Pneumologie an der Medizinischen Hochschule Hannover, mahnt daher, nicht übervorsichtig zu werden. „Dass man wegen Unachtsamkeit, weil man von einer Welle überspült wird oder aus welchen Gründen auch immer, Wasser schluckt und man deshalb stark husten muss, kommt jeden Tag vermutlich Tausende Male vor“, so der Lungenspezialist. „Man muss das raushusten. Je mehr man hustet, umso besser.“

Stimmritzenkrampf oder Herzstillstand als Auslöser

Um jegliche Form des Ertrinkens zu verhindern, sei Wachsamkeit und Verantwortungsbewusstsein das A und O, so die Experten. Auch in Schockmomenten, etwa bei unerwartetem Kontakt mit Wasser oder wenn der durch Sonne erhitzte Körper bei einem Sprung zu schnell in kaltes Wasser eintaucht, könnten Kinder wie Erwachsene im Zweifelsfall ertrinken.

Als Abwehrreaktion des Körpers kann es in solchen Fällen zu einem Stimmritzenkrampf kommen, der Ein- und Ausatmen unmöglich macht. „Viel häufiger kommt es in solchen Momenten aber tatsächlich zu einem Herzstillstand“, so Welte, „und man geht dann als Folge dessen unter.“ Damit Kinder bei unerwartetem Kontakt mit Wasser nicht in Panik verfallen, plädieren alle Experten dafür, Kinder frühzeitig an Wasser zu gewöhnen (siehe Kasten) – und ihnen so früh wie möglich das Schwimmen beizubringen. Diese Investition könne im Zweifel das Leben des Kindes retten.