Berlin. Einige US-Agenturen haben sich darauf spezialisiert, den Ghostwriter für Online-Dating-Nutzer zu spielen. Mit fragwürdigen Methoden.

Die Suche nach einem Beziehungspartner kann anstrengend sein. Online-Dating-Dienste wie Tinder und OkCupid sollten diesen Prozess eigentlich vereinfachen – klappt aber nicht immer.

In den USA scheint Online-Dating für viele Menschen derart anstrengend zu sein, dass sie sogar professionelle Agenturen beschäftigen, die ihre Online-Dating-Profile verwalten – von der Suche nach interessanten Kandidaten bis zum Vereinbaren des ersten Dates übernehmen die Ghostwriter alles. Lediglich auf das Date muss man selbst gehen.

Die US-Amerikanerin Chloe Rose Stuart-Ulin arbeitete bei einer dieser Agenturen, dem Unternehmen ViDA (kurz für Virtual Dating Assistant). Sie gab beim Online-Magazin Quartz erstmals einen Einblick darin, wie diese Unternehmen arbeiten

Moralische Grauzone

Das Unternehmen beschäftigt drei verschiedene Arten von Mitarbeitern. „Profile Writers“ sind dafür zuständig, ein möglichst attraktives und interessantes Profil zu erstellen, das viele Matches generiert. ViDA bedient laut dem Bericht jede bekannte Dating-Plattform.

Die „Matchmakers“ sind wiederum dafür zuständig, potenziell interessante Dating-Partner zu suchen und diese mit vorgefertigten Antworten zu kontaktieren. Bekommt man eine Antwort, springen die sogenannten „Closer“ ein, die die Konversation am Laufen halten und bei Interesse ein Date vereinbaren sollen.

Stuart-Ulin war ein „Closer“. Sie musste vorgeben, ein männlicher, 45 Jahre alter Texaner zu sein, der vor allem nach jungen Frauen sucht. Für jede Telefonnummer, die sie ergattern konnte, erhielt sie eine Provision in Höhe von 1,75 US-Dollar. Der Stundenlohn betrug zwölf US-Dollar.

„Alpha-Männchen entschuldigen sich nicht“

Obwohl sich diese Dienste in einem moralischen Graubereich bewegen, sind sie rechtlich unbedenklich – auch deshalb weil die Person die Einwilligung erteilt.

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    Einfach war es für Stuart-Ulin aber nicht immer. Ein Match erzählte ihr etwa, dass sie gerade ihren Hund einschläfern lassen musste. Sie verfasste eine Antwort, in der sie ihr Beileid ausdrückte, doch ihr Vorgesetzter lehnte das ab. „Alpha-Männchen entschuldigen sich nicht“, schrieb ihr Vorgesetzter als Feedback zurück. Stattdessen antwortete sie mit einer fröhlichen Geschichte über zwei Hunde des Kunden. Und siehe da: Trotz der scheinbar unsensiblen Antwort erhielt sie wenig später die Telefonnummer der Frau.

    Handbücher mit vorgefertigten Fragen

    Scott Valdez, der Gründer des Unternehmens, bezeichnet sich selbst als Dating-Experte und hat unter anderem Bücher mit Titeln wie „Women on Demand“ (Frauen auf Abruf) und „The Automatic Date Transition“ verfasst. Die Bücher dienten laut Stuart-Ulin auch als Inspiration für die unternehmensinternen Handbücher.

    Darin fanden sich aber auch zahlreiche fragwürdige Aussagen. So würden Frauen stets das „Alpha-Männchen“ bevorzugen und fühlten sich vom „Leitwolf“ angezogen. „Das Alpha-Männchen wird nicht ausgewählt, er ist derjenige, der auswählt“, heißt es etwa darin.

    Bereits Regel Nummer 1 des Handbuchs sollte für Skepsis sorgen: „Sorge nicht dafür, dass sie zu viel nachdenken muss.“ Die erste Nachricht solle demnach eine „geringe kognitive Last“ darstellen und möglichst einfach beantwortbar sein.

    Eine der vorgefertigten Fragen lautet beispielsweise: „Du wirkst wie jemand, der viel Selbstvertrauen hat. Was ist dein Geheimnis? a) ein Shampoo, das auch ein Conditioner ist, b) ballaststoffreiche Ernährung oder c) Photoshop“

    Der Widerspruch in sich

    Kurioserweise ist eine der wichtigsten Regeln des Unternehmens, dass man nicht lügen soll. „Wenn man seinem Date erzählt, man sei ein 1,85 Meter großer Astronaut, wenn man tatsächlich lediglich ein 1,80 Meter großer Versicherungsverkäufer ist, wird sie das herausfinden“, heißt es im Handbuch. Dass das Unternehmen selbst, das gegen Bezahlung in die Rolle seiner Kunden schlüpft, mit seinem Geschäftsmodell gegen diese Regel verstößt, scheint man übersehen zu haben.

    Zudem scheint es auch bei ViDA nicht unüblich zu sein, zu lügen. Laut Stuart-Ulin verlangte ein 33-jähriger Kunde, dass man ihn als 25-Jährigen präsentiere. Laut dem Unternehmen seien derartige Fälle aber selten.

    Online-Dating als „Zahlenspiel“

    Valdez sieht sich selbst als Pionier im Online-Dating. Bereits vor Apps wie Tinder machte er es sich zum Hobby, Anmachsprüche in Massen zu versenden und deren Effizienz mithilfe von Tabellen zu dokumentieren. Er bezeichnet Online-Dating als „Zahlenspiel“ und will dieses nach eigenen Angaben effizienter gestalten.

    Auch heute wird noch mit vorgefertigten Antworten gearbeitet, deren Effektivität in einem automatisierten System gespeichert wird. Mitarbeiter müssen lediglich Stichwörter eingeben, um eine möglichst passende Aussage zu finden.

    Die Idee für ViDA kam Valdez 2009, als er „60 bis 70 Stunden pro Woche gearbeitet habe und keine Zeit für Online-Dating hatte“. Das Geschäft scheint lukrativ zu sein, das Unternehmen beschäftigt derzeit 80 Mitarbeiter und zählt mehr als 2500 Kunden.

    Diese bezahlen, je nach Dienst, zwischen 495 und 1695 US-Dollar pro Monat. Die meisten Kunden seien wohlhabende Männer in ihren Dreißigern, die „mehr Geld als Zeit haben“. Verheiratete Männer und Frauen werden nicht akzeptiert, so Valdez.

    Entwürdigung und Vereinfachung

    Stuart-Ulin hat das Unternehmen mittlerweile verlassen. Sie kritisiert, Unternehmen wie ViDA würden lediglich Geschlechterstereotypen verstärken und dafür sorgen, dass Online-Dating für viele Menschen eine unangenehme Erfahrung bleibt. So hätten sich des öfteren Frauen, denen „Closer“ die Telefonnummer abgerungen hatten, gemeldet, weil sie nie von den Kunden der Agentur kontaktiert wurden. Dieses als „Ghosting“ bekannte Verhalten – die andere Person meldet sich einfach nicht mehr – ist mittlerweile weit verbreitet.

    Dieser Text ist zuerst auf futurezone.de erschienen – Das neue Tech-News-Portal der Funke Mediengruppe“.