Berlin. Alzheimer ist nicht heilbar. Wissenschaftler erforschen aber, wie man vorbeugt – und weisen auf die Bedeutung des Lebensstils hin.

Anfangs sind es oft Gespräche, die man vergisst, die Schlüssel, dann den Weg zur Arbeit, zum Supermarkt, nach Hause. Irgendwann sind es Wörter und die Namen der engsten Freunde und Familie, die einem einfach nicht mehr einfallen wollen. Eine Demenzerkrankung fühlt sich für Betroffene anfangs an wie ein Loch im Hirn. Sie wissen, dass sie eigentlich wissen müssten, was ihnen einfach nicht einfallen will. Ein ernüchterndes, frustrierendes Gefühl.

In Deutschland leben laut der Deutschen Alzheimer Gesellschaft heute 1,6 Millionen Menschen mit einer Demenz. Etwa zwei Drittel davon seien Alzheimer-Patienten. Wegen der immer höheren Lebenserwartung ist die Tendenz steigend. Aktuell sind weltweit gut 47 Millionen Menschen betroffen, bis 2050 könnten es sogar 131 Millionen sein. Damit zählen Demenzen wie Alzheimer zu den häufigsten Erkrankungen im Alter, doch noch immer sind sie unheilbar.

Forscher arbeiten intensiv daran, die Prozesse zu verstehen

Alzheimer ist eine neurodegenerative Erkrankung, die Symptome werden also durch einen fortschreitenden Verlust von Nervenzellen im Gehirn ausgelöst. Das Absterben der Zellen geht außerdem mit der Bildung der typischen sogenannten Eiweißplaques einher. „Man hat noch nicht 100-prozentig verstanden, was der Initialzünder ist, was die Krankheit am Ende also tatsächlich auslöst“, so Agnes Flöel, Direktorin der Universitätsklinik für Neurologie in Greifswald. Forscher arbeiten daher intensiv daran, die degenerativen Prozesse im Gehirn noch besser zu verstehen und diese so zumindest zeitweise aufzuhalten oder zu verlangsamen.

Hoffnung auf den Wirkstoff Spermidin

Großes Potenzial, dem geistigen Abbau vorzubeugen, sieht Flöel im Wirkstoff Spermidin. Das ist ein körpereigenes Produkt des Zellstoffwechsels, das in unterschiedlichen Mengen in allen Körperzellen vorkommt – vor allem etwa auch in männlichen Spermien sowie in Soja und Weizenkeimen enthalten ist. „In Fliegen- und Mäuseversuchen konnte man bereits sehen, dass Spermidin Autophagie-Prozesse sehr gut anregt“, erklärt Flöel.

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    Dabei handelt es sich um Selbstreinigungsprozesse der Zellen, bei denen Zellschrott verdaut und vernichtet wird – unter anderem krankheitserregende Eiweiß-Ablagerungen. Und genau die liegen fast allen neurodegenerativen Erkrankungen zugrunde, auch Alzheimer. Würden diese wieder besser abgebaut, so könnte das Demenzen vorbeugen. „Seit Anfang des Jahres läuft daher eine größere Studie, die untersucht, wie sich Spermidin hochkonzentriert auf Gedächtnisleistung und Autophagie-Prozesse beim Menschen auswirkt“, so Flöel.

    Immuntherapie gegen die Eiweiß-Ablagerungen

    Timo Grimmer, Leiter des Zentrums für Kognitive Störungen an der Technischen Universität München, ist von der Wirksamkeit von Spermidin bisher nicht überzeugt. Ihm fehlen hier die randomisierten Placebo-kontrollierten Studien, die die positiven Effekte nachweisen. „Bis die Hypothese, dass es tatsächlich hilft, belegt ist, bis dahin ist es noch ein weiter Weg.“

    Er favorisiert eine beta-Amyloid-Immuntherapie zur Behandlung von Alzheimer – „etwas, von dem man weiß, dass es gegen die Eiweiß-Ablagerungen hilft, und es nicht nur hofft“. Auch hier handelt es sich noch um ein experimentelles Therapieverfahren. Zulassungsstudien für die verwendeten Medikamente Aducanumab und ähnliche Präparate waren, trotz weltweiter Forschung und milliardenschwerer Investitionen, bislang noch nicht erfolgreich – oder sind noch nicht abgeschlossen.

    Medikamente kommen frühestens 2019 auf den Markt

    „Wir mussten hier viel über die Dosierungen lernen“, erklärt Grimmer. „Unsere Vorab-Annahmen waren zu optimistisch, auch wenn es den behandelten Patienten am Ende durch die Immunisierung immer besser ging, als denen, die nur ein Placebo erhalten hatten.“ Dass die Medikamente tatsächlich regulär auf den Markt kommen, damit rechnet Grimmer in frühestens zweieinhalb Jahren – vorausgesetzt, die laufenden Studien seien diesmal erfolgreich.

    Egal, ob man sich bis dahin für eine experimentelle Behandlung entscheidet oder nicht, zentral sei, dass die Diagnose überhaupt gestellt wird. Da sind sich die Experten einig. „Auch wenn es sich bei Demenzen wie Alzheimer um unheilbare Hirnerkrankungen handelt, ist es nicht so, dass man nichts tun könnte“, so Grimmer. Patienten, die früh von der Krankheit erfahren, könnten deren Verlauf durch den Lebensstil positiv beeinflussen.

    „Generell weiß man aus epidemiologischen Studien, dass Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes, Übergewicht im mittleren Lebensalter, körperliche und kognitive Inaktivität und Rauchen die stärksten modifizierbaren Risikofaktoren sind“, so Flöel. Im Umkehrschluss bedeute das, gegensätzliches Verhalten und eine gute Behandlung der Faktoren helfe.

    Auf Bewegung und den Fettstoffwechsel achten

    Besonders Bewegung sei wichtig, rät Flöel. „Aus Kohorten-Studien weiß man, dass Menschen, die körperlich aktiv sind, viel später eine Demenz entwickeln.“ Zusätzlich sollte man laut Grimmer schauen, dass man auch seinen Fettstoffwechsel im Griff hat. „Grundsätzlich ist es nämlich so, dass wir im Schnitt alle zu viel essen“, so der Alzheimer-Forscher. „Darauf ist unser Organismus nicht ausgelegt.“ Außerdem beeinflusse man damit ja auch sein Risiko für einen Herzinfarkt, einen Schlaganfall und viele weitere Krankheiten positiv.

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      Gerade in der Prävention sei eine kurzfristige Kalorienreduktion sinnvoll, ergänzt Flöel. Man wisse, dass die Eiweiß-Ablagerungen, die für die Alzheimer-Demenz verantwortlich sind, dadurch besser abtransportiert werden. „Wenn der Körper den Reiz bekommt, dass die Nahrung knapp wird, dann wirft er Programme an, die alle verfügbaren Reserven im Körper noch einmal mobilisieren – und das ist in den Zellen der Eiweiß-Zellschrott.“

      Hauptsache, ich tue etwas dagegen

      Würden wir konsequent alle Risikofaktoren von Kindheit an beseitigen, könnte die Zahl der weltweiten Demenz-Fälle um etwa ein Drittel sinken. Zu diesem Ergebnis kamen Forscher vom University College London. Allerdings schränken die Forscher ein: „Die Zahlen sollten mit Vorsicht interpretiert werden, weil es nicht möglich ist, alle Risikofaktoren vollständig auszuschalten.“ Außerdem seien potenzielle Risikofaktoren wie Alkoholkonsum oder Schlafmangel nicht berücksichtigt worden.

      Egal, was am Ende hilft: Allein, dass die Chance bestehe, etwas gegen das Vergessen tun zu können, sei für Betroffene wichtig, meint Grimmer. So könne das ernüchternde und frustrierende Gefühl nach der Diagnose dem Gefühl weichen, selbst etwas gegen das Fortschreiten der Krankheit zu unternehmen. „Ich muss nicht schicksalhaft ertragen, was auf mich zukommt“, sagt Grimmer, „sondern kann sagen: ‚Ich tue etwas dagegen‘.“