Berlin. Beim Cyber-Grooming bahnen Täter sexuellen Missbrauch von Minderjährigen an: in Spiele-Chats oder bei Instagram. Was Eltern tun können.

Für Eltern ist es ein fürchterlicher Gedanke, dass ihr Kind sexuell missbraucht werden könnte. Beim sogenannten Cyber-Grooming bahnen die Täter den Kontakt zu Minderjährigen über das Internet an, etwa in Chats von Onlinespielen oder in Netzwerken wie Tiktok und In­stagram. Ein Problem ist: Viele Eltern kennen sich mit dem, was ihre Kinder im Internet machen, wenig aus.

Cyber-Grooming ist die gezielte Ansprache von Kindern im Netz mit dem Ziel, sie zu sexuellen Handlungen zu bringen. Zunächst versuchen die Täter, das Vertrauen ihres Opfers zu erschleichen. Sie schmeicheln ihm mit Likes zu geposteten Inhalten, versprechen Geschenke, winken mit einer Modelkarriere oder bieten ihre Hilfe an.

Experte: Cyber-Grooming Massenphänomen mit steigenden Fallzahlen

„In der Pubertät geht jungen Leuten vieles durch den Kopf, das nutzen die Täter aus, indem sie vorspiegeln: Ich verstehe dich, mit mir kannst du über alles reden“, erläutert Mediencoach Ines Schulz, die Eltern im Rahmen des vom Bund geförderten Medienprojekts „Schau hin!“ berät.

Cyberkriminologe Thomas-Gabriel Rüdiger, der zu dem Thema forscht, spricht von einem „absoluten Massenphänomen, das in den letzten Jahren noch schlimmer geworden ist“. Der Leiter des Instituts für Cyberkriminologie der Hochschule der Polizei Brandenburg geht davon aus, „dass vermutlich kein Kind im Netz aufwächst, das nicht zumindest einmal mit einem solchen Täter konfrontiert wird, was nicht heißt, dass es auch Opfer wird“.

Sexueller Missbrauch im Netz: Die Masche der Täter

Wichtig ist, dass Eltern die möglichen Tatabläufe kennen. So versuchen die Täter, den Kontakt aus einem öffentlichen in den privaten Raum zu verlagern, etwa bei Mes­sengern wie Whatsapp. Beispiel Onlinespiele: Ein Täter spielt mit dem Kind zusammen und gibt sich als gleichaltrig aus. „Dabei baut er ein Vertrauensverhältnis auf und lockt irgendwann: Waren ein gutes Team, lass uns doch mal die Whatsapp-Nummern austauschen, damit wir uns wieder verabreden können“, erläutert Experte Rüdiger.

Nach den Erfahrungen von Mediencoach Schulz „isolieren die Täter das Kind, indem sie ihm sagen: Was wir bereden, bleibt unter uns, okay?“ Allerdings könne das Kind beim Austausch von Texten nicht sehen, „ob hinter dem Kontakt der 13-jährige Tim, süßer Boy, oder ein 55-jähriger Mann mit bösen Absichten steckt“.

Irgendwann werde das Kind dann animiert, Nacktbilder von sich zu schicken oder sich live vor der Kamera zu zeigen. „Die Aufnahmen kann der Täter sogar zur Erpressung einsetzen, indem er dem Kind droht, sie im Netz zu verbreiten. Dann beginnt ein Teufelskreis“, sagt die Pädagogin.

So reagieren Eltern betroffener Kinder richtig

Wie häufig Kinder betroffen sind, lässt eine aktuelle Befragung im Auftrag der Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen erkennen. Demnach ist fast jedes siebte Kind zwischen 8 und 18 Jahren (14 Prozent) schon aufgefordert worden, sich für einen Erwachsenen vor der Webcam auszuziehen. 16 Prozent geben an, eine Gegenleistung für ein Video oder Foto versprochen bekommen zu haben. Und fast ein Viertel (24 Prozent) sagt, von einem Erwachsenen im Netz zu einer Verabredung aufgefordert worden zu sein.

Erzählt das Kind von einem aufdringlichen Kontakt, sollten die Eltern den Chatverlauf dokumentieren, etwa durch Screenshots, empfehlen die kriminalpolizeilichen Beratungsstellen. Bei anzüglichen Bildern oder Videos lautet der Rat, bei der Polizei nachzufragen, ob sie gesichert werden sollen, um sich nicht selbst unter Umständen strafbar zu machen. Eltern und Kind sollten dabei immer wissen, dass Kinder nie schuld daran sind, wenn sie im Netz belästigt werden, betont die Polizei.

Gemeldet werden können die Fälle auch den Anbietern der Internetplattformen sowie neutralen Beschwerdestellen wie jugendschutz.net und internet-beschwerdestelle.de.

Eltern sollen sich ein Bild von Spielen und Netzwerken machen

Damit das Kind sich den Eltern anvertraut, „sollte ein Klima in der Familie geschaffen werden, in dem über diese Dinge gesprochen werden kann“, sagt Mediencoach Schulz. Sie rät, dem Kind deutlich zu machen, dass es nicht um seine Kontrolle im Netz geht. „Die jungen Leute sollen sich ausprobieren in ihrer Entwicklung. Wenn sie aber aufgefordert werden, jemandem ihre Telefonnummer zu geben oder ein Foto zu schicken, sollten sie Bescheid geben“, erläutert die Expertin.

Cyberkriminologe Rüdiger empfiehlt Eltern, selbst Erfahrungen mit Tiktok, Instagram und anderen Netzwerken zu sammeln, die ihr Kind nutzen will: „Nur wenn sie sich selber damit auskennen, können sie mit dem Kind halbwegs auf Augenhöhe darüber sprechen und es auf mögliche Gefahren hinweisen.“

Auch Onlinespiele, die das Kind haben möchte, sollten die Eltern „zunächst selbst zwei Wochen lang jeden Tag eine halbe Stunde spielen, um zu sehen, womit man konfrontiert werden kann. Dann können sie entscheiden, welche Verhaltensregeln sie mit dem Kind vereinbaren.“

Aufdringliche Kontakte etwa in sozialen Netzwerken können Kinder und Jugendliche unter Druck setzen.
Aufdringliche Kontakte etwa in sozialen Netzwerken können Kinder und Jugendliche unter Druck setzen. © iStockphoto | iStockphoto/Pheelings media

Cyber-Grooming: Diese Hilfsangebote gibt es

Wollen sich junge Menschen mit Problemen im Netz nicht an die Eltern wenden, können sie auch andere Hilfsangebote wahrnehmen. Über die Plattform juuuport.de (initiiert von der Landesmedienanstalt Niedersachsen) stehen gleichaltrige, geschulte Scouts für anonyme Beratungen zur Verfügung.

Unter jugend.support.de finden Betroffene Infos und eine Übersicht an kostenlosen Beratungsstellen. Eltern und andere, die sich um ein Kind sorgen, können sich an das Hilfe-Telefon des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs wenden: 0800-2255530.

Gesetzeslage: Auch Jugendliche Täter

Strafbar macht sich laut Gesetz bereits, wer auf das Kind einwirkt mit der Vorstellung, dadurch einen sexuellen Missbrauch zu ermöglichen. Dazu Cyberkriminologe Rüdiger: „Es kommt also nur auf die Motivation des Täters an, ob das Kind versteht, was da passiert, ist für die Strafbarkeit nicht ausschlaggebend.“ Er nennt als Beispiele, dass ein Täter das Ziel verfolgt, dem Kind Nacktbilder zu senden oder von ihm gesandt zu bekommen. „Oder er fordert es auf, vor der Kamera zu masturbieren, oder er strebt ein privates Treffen in der analogen Welt an.“

Bei den Tatverdächtigen handele es sich „nicht nur um Erwachsene, obwohl es die Fälle von älteren Männern, die junge Mädchen kontaktieren, natürlich gibt“, so Rüdiger. Fast die Hälfte der Tatverdächtigen sei jedoch selbst minderjährig und die Mehrheit aller Tatverdächtigen insgesamt unter 30 Jahren.

So könne Cyber-Grooming „juristisch bereits vorliegen, wenn beispielsweise ein 14-Jähriger bei einer 13-Jährigen sexuelle Absichten im Netz verfolgt“. Den Eltern sollte aus diesem Grund bewusst sein, „dass die Polizei ein Ermittlungsverfahren einleitet, wenn ihr minderjähriges Kind des Cyber-Groomings verdächtigt wird oder gar mit einem Kind pornografische Medien ausgetauscht hat“, warnt der Cyberkriminologe.

Dieser Artikel ist zuerst auf abendblatt.de erschienen.