Berlin. Die Ozeane ersticken am Plastik, warnt Extremsegler Yvan Bourgnon. Mit einem neuen Schiff will der Schweizer gegensteuern.

Diese Geräusche in stockfinsterer Nacht, das Klopfen und Schaben von Gegenständen an der Bordwand – Extremsegler Yvan Bourgnon hat sie sich eingeprägt. Sie sind Teil seines Antriebs. „Man muss etwas unternehmen“, sagt der Schweizer. Das Meer drohe am Plastik zu ersticken.

Es ist 2014 als Yvan Bourgnon die Erde auf dem Seeweg umrundet. Nur mit Sextant und Seekarten ausgerüstet, betreibt er einen 6,30 Meter langen Einhand-Katamaran ohne Kajüte. Bourgnon ist vor Indonesien angekommen, es geht nur noch langsam voran. Immer wieder hält Müll sein Sportboot auf.

Mehrfach, erzählt der 49-Jährige in einer Videokonferenz, muss er ins Wasser steigen, um sein Boot zu befreien. Er guckt auf Teppiche aus Abfall. Drei Wochen lang geht das so. Vor Indonesien, den Malediven, Sri Lanka. Nachts hört er, wie der Müll an die Rümpfe schlägt.

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Eine Weltreise mit acht Jahren

Mit acht Jahren war Yvan Bourgnon schon mal auf den Weltmeeren unterwegs. Seine Eltern hatten ihn und seinen Bruder mitgenommen auf einen vier Jahre dauernden Segeltörn. Das Meer, erinnert sich der Schweizer, sei faszinierend gewesen, sauber. Was er drei Jahrzehnte später erlebte, habe ihn schockiert.

Bourgnon gründet die Umweltschutzorganisation Seacleaners. 2016 stellt der Schweizer das erste Schiff vor, das auf den Weltmeeren Müll einsammeln soll. Doch dann verwirft er die Pläne. Das Projekt sei nicht durchdacht gewesen, sagt er. Das Schiff hätte viel Brennstoff gebraucht, um voranzukommen. Es hätte zur Umweltverschmutzung beigetragen, statt sie zu bekämpfen.

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Bourgnon fängt von vorn an. Er knüpft Kontakte zu Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. 58 Ingenieure und Techniker, fünf Labore und 17 Firmen entwickeln ein Boot, das „Manta“ getauft wird. Ein Riesenmanta schwimmt mit offenem Maul durchs Wasser, filtert Plankton oder Quallen, um sich davon zu ernähren. Der Manta von Sea­cleaners soll Plastikmüll ab zehn Millimeter Größe schlucken und in Energie umwandeln.

Benötigtes Kapital: 35 Millionen Euro

2018 werden die Pläne erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt, heute ist das Schiff entwickelt. 2022 soll mit dem Bau begonnen werden, etwa die Hälfte des benötigten Kapitals von 35 Millionen Euro sei eingesammelt. 2024 könnte der „Manta“ aufs Wasser gehen.

Viele Meerestiere ersticken an Plastikteilen.
Viele Meerestiere ersticken an Plastikteilen. © imago images/Ardea

Das Problem, das das Schiff bekämpfen soll, ist immens. Vor drei Jahren haben die Vereinten Nationen die Verschmutzung der Ozeane zu einem der sechs drängendsten Probleme der Welt erklärt. Die Wissenschaft schätzt, dass jedes Jahr bis zu zwölf Millionen Tonnen Plastikmüll ins Meer gelangen, 17 Tonnen oder eine Lkw-Ladung pro Minute.

Nach Angaben der Unesco sterben jedes Jahr etwa eine Million Seevögel und mehr als 100.000 Meeressäugetiere durch Verschlucken von Müll. Werde der Trend nicht gestoppt, könnte 2050 mehr Plastik in den Ozeanen schwimmen als Fische. Es sei dringend notwendig, Abfall zu vermeiden und die Meere zu reinigen.

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Bis einer Tiefe von einem Meter

Initiativen zum Sammeln von Müll auf dem Wasser gibt es mehrere. The Ocean Cleanup des Niederländers Boyan Slat zum Beispiel, Mister Trash Wheel aus Baltimore in den USA oder die Seekühe der deutschen Umweltorganisation One Earth. Der „Manta“ will sich hier einreihen. Und er will besonders sein.

Der Katamaran, 56,5 Meter lang, 26 Meter breit und 62,5 Meter hoch, soll mit seiner 34-köpfigen Besatzung und zwei Beibooten den Müll nicht nur bis in einer Tiefe von einem Meter sammeln, er soll daraus direkt an Bord Energie gewinnen. Diese soll das Schiff neben Wind und Sonne antreiben.

Über Förderbänder und Netze gelangt der Abfall an Deck. Dort wird er sortiert, zerkleinert, verdichtet und in einem Pyrolyse genannten Prozess zu Gas verwandelt. Mittels einer Turbine wird daraus Strom. Was nicht verwertet werden kann – feste Rückstände, die fünf bis zehn Prozent des verarbeiteten Kunststoffs ausmachen –, wird an Bord gelagert und an Land an Recyclingbetriebe verteilt, erklärt der Technische Direktor, Frederic Silvert. Diese sollen daraus Produkte wie Zement und Kraftstoffe herstellen. Auch das gesammelte Metall soll recycelt werden.

Bis zu 10.000 Tonnen pro Jahr

5000 bis 10.000 Tonnen Plastik pro Jahr soll der „Manta“ aus den Meeren fischen. Die Einsatzgebiete seien hauptsächlich in Asien, Afrika und Südamerika gelegen, an Orten, an denen die Verschmutzung besonders ausgeprägt sei, wie Bourgnon erklärt. Dazu zählten auch die Mündungen großer Flüsse.

Auch nach Stürmen oder Tsunamis könnte das Schiff eingesetzt werden. Diese verursachen einen starken Eintrag von Abfällen in die Meere. Sie sollen beseitigt werden, bevor sie abdriften und versinken.

„Jede Mission dauert drei Wochen. Es folgt eine Woche an Land. In dieser Zeit wird der Katamaran gewartet“, sagt Silvert. An Land soll er auch eine weitere Mission erfüllen: Aufklären über Meeresverschmutzung, Müllvermeidung, Recycling. 200 Quadratmeter Fläche samt Konferenzraum sind dafür vorgesehen.

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Es gibt auch Kritik an der Idee

Dass es auch Kritik an Ideen wie dem „Manta“ gibt, ist Bourgnon bewusst. Die Ozeanografin Kim Martini etwa sagte 2014, wichtiger als alle Versuche, mit Hochtechnologie Plastik aus dem Wasser zu fischen, seien Abfallmanagement und Gesetze, um zu verhindern, dass es überhaupt hineingelange. Und auch andere Meeresforscher bezeichneten das Sammeln von Müll an der Wasseroberfläche als einen „Tropfen auf den heißen Stein“.

Bourgnon und die Seacleaners hält das nicht ab: In ihrem Manifest heißt es: „Wir stellen uns auf die Seite derer, die überzeugt sind, dass Handeln immer der Passivität vorzuziehen ist. Jedes große Projekt nimmt seinen Anfang im Kleinen.“ Vielleicht, so der Schweizer, fahren irgendwann Hunderte Müll-Mantas über die Meere.