Berlin/Wittmund. Die Impfungen gegen das Coronavirus stehen kurz bevor. Doch viele Menschen fürchten sich vor Nadeln. Ein Psychotherapeut gibt Tipps.

Am Sonntag sollen in Deutschland die ersten Impfungen gegen das neuartige Coronavirus starten. Doch viele Menschen fürchten nicht nur mögliche Nebenwirkungen. Sie haben Angst, sobald sie eine Spritze sehen. Ein Psychotherapeut erklärt, wie man mit der Phobie vor Nadeln umgeht.

Zu unterscheiden sei dabei zwischen zwei Typen, wie der Psychologe Enno Maaß aus dem niedersächsischen Wittmund erklärt: Zum einen gibt es Menschen, die Angst davor haben, Blut und Verletzungen zu sehen. "Sie fallen trotz Angstsymptomen beim Spritzen oder Blutabnehmen oft kurzzeitig in Ohnmacht."

Außerdem gibt es jene, die Angst vor der Spritze an sich haben – isoliert und unabhängig davon, was sie anrichten kann. Die Anzeichen können klassische Angstsymptome wie Zittern, Anspannung oder negative Gedanken schon vor dem Termin sein. Doch woher kommen die Phobien und was kann man dagegen tun?

Angst vor Spritzen: Schamgefühle wegen Ohnmacht

Bei denjenigen, die mitunter ohnmächtig werden, kommt es kurz vor dem Setzen der Nadel zu einem heftigen Anstieg von Blutdruck und Pulsfrequenz. Dann entspannen sich die Gefäße der Muskulatur plötzlich. Der Blutdruck fällt wieder rapide, kurzzeitig ist dadurch zu wenig Blut im Kopf – und man kann das Bewusstsein verlieren.

Betroffenen sind diese Anfälle oft unangenehm: Die kurzfristigen Ohnmachtsattacken, auch vasovagale Synkopen genannt, führen häufig zu Schamgefühlen und Angst vor einer peinlichen Situation, wie Maaß erklärt, der auch stellvertretender Bundesvorsitzender der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung ist.

Für die Betroffenen kann es hilfreich sein, vorher vertraulich mit dem Arzt genau über diese Befürchtungen zu sprechen. Darüber hinaus ist vielen nicht bewusst, dass auch Menschen ohne diese ausgeprägten Ängste beim Blutspenden manchmal in Ohnmacht fallen können – ein Wissen, das das Schamgefühl ebenfalls senken kann.

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So lässt sich eine Bewusstlosigkeit durch Spritzenphobie verhindern

Doch auch praktisch können Betroffene der Ohnmacht etwas entgegensetzen: Sie können eine sogenannte angewandte Anspannung durchführen, und zwar vor dem Setzen der Spritze, währenddessen und auch eine Zeit danach.

Dazu werden pumpend-rhythmisch die Muskeln des nicht-injizierten Armes und der Beine angespannt, wie Maaß erklärt. Der Blutdruck fällt dann durch den Muskeldruck auf die Gefäße oft nicht so heftig ab, sodass eine Ohnmacht ausbleibt.

Bei einer Angst vor Spritzen wird oft ein diffuses Unbehagen verspürt. Dahinter könnten Befürchtungen stehen, dass man durch die Spritze verletzt wird, zum Beispiel am Knochen, oder versehentlich Luft mit injiziert werde.

"Das zeigt sich oft in den Gesprächen, wenn man dem Angstgefühl auf den Grund geht", sagt der Psychotherapeut. Auch hier kann es helfen, mit dem Arzt zu sprechen und sich zum Beispiel die Kanüle zeigen und anschließend erklären zu lassen, wie das Spritzen abläuft und auf was der Mediziner dabei achtet.

Personal sollte Ruhe und Gelassenheit beim Spritzen ausstrahlen

Beim Verabreichen der Spritze kommt es auf die Fachkräfte an: Sie sollten behutsam mit ängstlichen Menschen umgehen und das Prozedere in Ruhe erklären. Es kann auch beruhigen, wenn sie deutlich machen, dass sie viel Erfahrung und Gelassenheit mitbringen.

"Man sollte die Patienten abholen und deren Ängste ernstnehmen", sagt Maaß. Das gilt gerade bei älteren Menschen im Pflegeheim, die eventuell nicht mehr so gut in der Lage sind, die Situation zu erfassen: "Je stärker die Vertrauensbasis ist und je fürsorglicher die Vorgespräche laufen", betont Maaß, "desto eher ist man bereit, sich in der Situation auch anzuvertrauen und Ängste zu überwinden."

Auf Ablenkung lässt sich hingegen nur bedingt setzen. Bei Kindern, die vielleicht keine rationalen Ängste haben, sondern sich in erster Linie vor dem möglichen Schmerz fürchten, gehe das vielleicht noch, meint der Experte. "Doch Erwachsene sind oft nicht so leicht abzulenken."

Spritzenphobie: Gesundheitliche Folgen möglich

Menschen, die partout keine Spritze bekommen wollen und denen auch die Gespräche mit dem Arzt nicht helfen, sollten über eine Psychotherapie nachdenken. "Das geht oft mit überschaubarem Aufwand und guten Behandlungsergebnissen", sagt Maaß.

Denn eine Phobie vor Spritzen kann ernste gesundheitliche Folgen haben, wenn aus dem Grund Vorsorgeuntersuchungen nicht wahrgenommen werden oder man sich nicht gegen das Coronavirus impfen lässt. (dpa/raer)