Berlin. Hanf wächst wie verrückt und lässt sich gut in der Autoindustrie oder beim Hausbau nutzen. Doch die Vorbehalte sind riesig.

Steffen Bergner war eigentlich nur auf der Suche nach einer Alternative für seine Felder. Weizen, Gerste und Raps wuchsen immer schlechter auf den kargen Böden hier im Osten Sachsen-Anhalts. Da stieß der Landwirt auf Hanf. Wie wild wachse der, sagt er. „Ohne viel Zutun.“

Kein Unkrautvernichter, kaum Dünger, kaum zusätzliches Wasser. Hanf ist genügsam. Und einsetzen kann man ihn für fast alles. Als Dämmstoff beim Hausbau, als Mittel gegen Entzündungen oder Alternative zur wasserschluckenden Baumwolle. Selbst die Autoindustrie zeigt zunehmend Interesse an ihm – für ihre Innenverkleidungen. Dem Nutzhanf, das glaubt Bergner, könnte eine steile Karriere bevorstehen.

Als eines der „Materialien der Zukunft“ sehen das Kraut auch Ökonomen und Experten für nachwachsende Rohstoffe. Ökologisch, regional, vielseitig verwendbar. Zwar ist die Fläche, auf der es in Deutschland wächst, noch immer klein. Seit 2011 hat sie sich jedoch fast verneunfacht. Lesen Sie hier: Cannabis: Medizinprodukte werden in Deutschland beliebter

Hanf: Bundesregierung sieht hohes ökonomisches Potenzial

Die Pflanze, so die Vision, könnte dort wachsen, wo andere versagen, und eine neue Branche schaffen, die einen Aufschwung für die gesamte Region bedeuten könnte. Selbst die Bundesregierung geht in ihrer Antwort auf eine Anfrage der Linken von einem „hohen ökologischen und ökonomischen Potenzial“ aus.

Und dennoch: Das Geschäft mit dem Nutzhanf will hierzulande nicht recht in Schwung kommen. Bauer Bergner und einige seiner hanfanbauenden Kollegen haben bislang kaum Geld mit ihm verdient. Warum, das ist eine Geschichte von Vorurteilen und Verbrauchern.

20 Kilometer von Bergners Hof entfernt sitzt Lutz Klimpel in seinem Büro in der Hochschule Merseburg und erklärt, was es dem Hanf schwer macht. „Sein Image“, sagt er. Die meisten glaubten, es würde ums THC gehen. Sprich, ums Kiffen.

Nutzhanf enthält kaum psychoaktive Substanzen

THC, kurz für Tetrahydrocannabinol, ist die psychoaktive Substanz, die im Rauschhanf steckt und ihn zur Droge macht. Im Gegensatz dazu enthält der Nutzhanf kaum THC. Von außen lassen sich beide Varianten nicht unterscheiden. Das sorgt für hohe Auflagen und Vorbehalte. Auf dem Acker werden Pflanzen zerstört oder geklaut. Selbst die EU-Agrarförderung, die andere Nutzpflanzen erhalten, gibt es für Hanf nicht. Mehr zum Thema: CBD: Helfen die Hanf-Produkte oder sind sie überflüssig?

Klimpel, Professor für Betriebswirtschaftslehre, hat gemeinsam mit seinen Kollegen die Chancen der Pflanze untersucht und kommt zu der Erkenntnis: Eigentlich lohnt es sich. „Vor allem für hochwertige regionale Produkte“, erklärt Mitarbeiterin Ivette Witkowski. Also Öle und Kosmetik aus den Samen, Baustoffe aus den Fasern.

Bei Papier und Kleidung sei die Konkurrenz aus China zu groß, ebenso bei Produkten aus CBD, dem zweiten wichtigen Inhaltsstoff, dem unter anderem eine entzündungshemmende Wirkung nachgesagt wird. Damit jedoch wirklich Schwung „in die Sache“ komme, so Witkowski, müssten sich die Rahmenbedingungen ändern.

Hanf-Saatgut muss jedes Jahr neu gekauft werden

Will man in Deutschland Hanf anbauen, muss man sich an strenge Regeln halten. Die Pflanzen dürfen höchstens 0,2 Prozent THC enthalten – je nach Sorte also weniger als ein Zwanzigstel von dem, was im Rauschhanf drin ist. Die Ackerfläche muss bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung angemeldet werden, auf der dann nur zugelassene Sorten wachsen dürfen, deren Saatgut man jedes Jahr aufs Neue teuer kaufen muss.

Hanf-Pflanzen könnten auch in der Automobilindustrie verwendet werden, müssen aber noch mit vielen Vorurteilen kämpfen.
Hanf-Pflanzen könnten auch in der Automobilindustrie verwendet werden, müssen aber noch mit vielen Vorurteilen kämpfen. © dpa | Oliver Berg

Auch den Zeitpunkt der Aussaat und den Beginn der Blüte muss man der Bundesanstalt melden. Von dort kommen stichprobenartig Prüfer, die den THC-Gehalt testen. Liegt der zu hoch, kann es passieren, dass die gesamte Ernte vernichtet wird. „Bei Naturprodukten kann der Wert natürlich mal schwanken“, sagt Bauer Bergner.

Zum Ausfallrisiko kommt noch ein weiteres hinzu: Es mangelt oft an Abnehmern. Bauer Bergner fand zwar eine kleine Ölmühle und eine Bäckerei für seine Samen. Aber niemanden für sein Stroh, das den Anbau erst lukrativ machen würde. Der nächstgelegene Faserbetrieb hatte bereits genügend Lieferanten aus der Region.

Bundesweit gibt es nur vier Hanf-Verarbeiter

„Der Hanfanbau ist sehr von der weiterverarbeitenden Industrie abhängig“, erklärt Ivette Witkowski. Hanf über weite Strecken zu transportieren, ist nicht wirtschaftlich, sein Volumen zu groß, bevor er zu Fasern wird. „Die Bauern sind darauf angewiesen, dass es einen Weiterverarbeiter in ihrer Nähe gibt.“ Bundesweit gibt es aktuell nur vier davon. Lesen Sie hier: In diesem EU-Land darf man nun Cannabis zu Hause anbauen

Die Situation scheint vertrackt. Die Industrie wartet darauf, dass es mehr Hanf gibt, um ihn etwa für die Automobilbranche und deren Maßstäbe interessanter zu machen. Die Bauern hoffen hingegen auf mehr Anlagen zur Verarbeitung.

Dass Hanf als Rohstoff mehr als eine kühne Idee ist, zeigt die Genossenschaft Hanffaser Uckermark, die Baumaterialien daraus herstellt. Die Nachfrage sei groß, das Auftragsbuch voll, erzählt Koordinator Marijn Roesch van der Hoogte. Nicht nur bei den Lebensmitteln wollten die Leute immer mehr Bio, auch im Haus.

Nach 80 Jahren wird der Hanf-Dämmstoff Bioabfall

Hanf als Dämmstoff sorge für ein besseres Raumklima und sei vor allem nachhaltiger. Styropor oder Glasfaserwolle müssten bereits nach etwa 20 Jahren ausgetauscht werden. „Und dann weiß man nicht, wohin damit.“ Der Hanf, der halte für mindestens 80 Jahre. Danach wird er Bioabfall.

Immer wieder fordern Politiker im Bundestag und verschiedenen Landesministerien, die Pflanze aus dem Betäubungsmittelgesetz zu streichen, die bürokratischen Hürden zu senken. Vorbild dafür könnte Frankreich sein, der größte Produzent in Europa. Der Anbau war nie verboten, die Industrie konnte sich über Jahrzehnte aufbauen, es gelten höhere THC-Grenzwerte, die leichter eingehalten werden können.

Bauer Bergner ist guter Hoffnung. Auf einigen Hektar baut er seinen Hanf weiter an, um bereit zu sein, wenn die Nachfrage nach nachwachsenden Rohstoffen plötzlich steigt, sagt er. Bis dahin nutzt er die Pflanze vor allem als Futter für seine Tiere – und setzt wieder auf die vertrauten Kandidaten, die Gerste und den Weizen.