Wolfsburg. Seit 40 Jahren begleitet VW den Aufstieg Chinas und profitierte kräftig. Allerdings fahren die Elektromodelle dem Wettbewerb hinterher.

Angriff ist die beste Verteidigung. Mit viel Selbstbewusstsein und mindestens so viel Geld tritt Volkswagen an, auf seinem wichtigsten Markt China Marktanteile in der zukunftsweisenden Elektro-Mobilität zu erobern. So will das Unternehmen zumindest in die Nähe der einstigen Stärke im Reich der Mitte gelangen. Das alles mit dem Bewusstsein und auch Selbstbewusstsein, dass Volkswagen ein enger Wegbegleiter des Aufstiegs Chinas in den vergangenen vier Jahrzehnten war.

Geht es nach den Wolfsburgern, dann wird dies auch künftig so sein. Denn im Fernen Osten lässt sich prächtig Geld verdienen – wenn es denn läuft. Und genau das ist der Knackpunkt. Zwar ist VW im Geschäft mit Verbrennermodellen noch immer eine Macht in China. Doch ist der Verbrenner ein Symbol der Vergangenheit. Die Zukunft, so will es die chinesische Staatsführung, fährt elektrisch. Und auf diesem Feld bewegen sich die Wolfsburger nicht an der Spitze.

VW fährt in China dem Wettbewerb hinterher

Das Geschäft beherrschen lokale Hersteller, die – wie zum Beispiel BYD – auch in Deutschland inzwischen bekannt sind und künftig immer häufiger im hiesigen Straßenbild zu sehen sein werden. Allenfalls Tesla kann als Hersteller aus dem Westen in China noch einigermaßen mitschwimmen. VW tut sich noch deutlich schwerer, fährt elektrisch in der Nische.

Das Positive: Die Verantwortlichen des Autobauers, mit dem unsere Region wegen der wirtschaftlichen Abhängigkeit geradezu schicksalhaft verbunden ist, finden sich mit dem Status quo in China nicht ab. Die Parole heißt Aufholjagd. Diesen Job übernahm im Sommer 2022 Ralf Brandstätter, bis dahin Chef der Konzern-Kernmarke VW. Er soll nun das Ruder herumreißen.

50 Millionen Chinesen fahren ein VW-Modell

Das geschieht aus einer Position des Selbstbewusstseins. So sind die Wolfsburger seit nunmehr 40 Jahren auf dem riesigen chinesischen Markt präsent, betreiben dort nach eigenen Angaben 39 Werke und beschäftigen 90.000 Menschen. Damit sei der Autobauer der größte europäische Arbeitgeber in China. Und was aus Sicht des Unternehmens noch wichtiger ist: 50 Millionen Chinesen fahren nach VW-Angaben ein Modell einer der Konzernmarken.

Ralf Brandstätter verantwortet im VW-Vorstand das China-Geschäft.
Ralf Brandstätter verantwortet im VW-Vorstand das China-Geschäft. © DPA Images | Johannes Neudecker

Brandstätter und sein Team fassen ihre Tätigkeit unter dem Slogan „In China, für China“ zusammen. Das klingt hübsch, ist aber eine enorme Herausforderung. Denn mit dieser Strategie will das Unternehmen gleich zwei schwere Fehler korrigieren, die es auf seinem wichtigsten Markt begangen hat: Erstens verfehlten die ersten Stromer den Geschmack der Kunden; zweitens konnte VW bisher nicht mit dem Veränderungs- und damit Entwicklungstempo in China mithalten. Die fatalen Folgen dieser Fehler in der E-Mobilität wurden bereits oben beschrieben. VW rangiert in China „unter ferner liefen“.

VW will Entwicklungszeit deutlich verkürzen

Brandstätters Anspruch ist enorm. Neue Entwicklungen und Autos sollen künftig 30 Prozent schneller zur Marktreife gebracht werden als bisher – es soll also ein Drittel der bisherigen Entwicklungszeit eingespart werden. Um dieses Ziel zu erreichen, verließ VW den noch vom früheren Vorstandschef Herbert Diess propagierten Kurs, alles selbst entwickeln zu wollen.

Stattdessen strebt VW strategisch wichtige Partnerschaften mit chinesischen Unternehmen an, etwa wenn es um Digitalisierung und das autonome Fahren geht. Das soll nicht nur Zeit sparen, sondern VW will von seinen chinesischen Partnern lernen. Denn die sind inzwischen klassischen Autobauern wie VW in einigen Techniken voraus. So ändern sich die Zeiten.

In China investiert VW 2,5 Milliarden Euro

In China, für China – das bedeutet auch, dass sich VW im Reich der Mitte neu sortiert. Das geschieht vor allem in Hefei. Die Stadt liegt in der ostchinesischen Provinz Anhui. Hefei kennt hierzulande zwar kaum jemand, die Zahl von weit mehr als neun Millionen Einwohnern beeindruckt umso mehr. Dort investiert Volkswagen stolze 2,5 Milliarden Euro, um sein Produktions- und Entwicklungszentrum auszubauen.

Die Volkswagen China Technology Company (VCTC) soll als Herz in diesem Zentrum schlagen. Sie soll zentrale Entwicklungsaufgaben übernehmen. Dazu gehören eine sogenannte Elektro-Architektur sowie eine neue Plattform. Ab 2030 sollen dann in China mehr als 30 rein elektrische Modelle aller Konzernmarken angeboten werden und auf die Jagd nach den so wichtigen Marktanteilen gehen.

Machthunger Chinas könnte VW in die Enge treiben

Als wären diese Aufgaben nicht schon herausfordernd genug, muss sich der Autobauer auch auf politischer Ebene hellwach bewegen. Denn China ist kein Markt wie jeder anderer in der westlichen Welt. Das gilt nicht nur wegen der Größe und Dynamik. Unverkennbar sind das erstarkende Selbstbewusstsein und der Machthunger des ebenso aufstrebenden wie autoritär geführten Landes.

Davon zeugt etwa die Drohung Chinas, den Inselstaat Taiwan einzunehmen. Solch ein Angriff könnte für schwerste diplomatische Verwerfungen sorgen und das Geschäftsmodell von VW in China gefährden. Eine weitere schwelende Gefahr ist die Lage der Uiguren in der chinesischen Provinz Xinjiang.

Die muslimische Minderheit der Uiguren wird nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen gezielt vom chinesischen Staat unterdrückt. Das bringt auch VW in Bedrängnis. Der Autobauer betreibt in Urumqi, der Hauptstadt von Xinjiang, ein vergleichsweise kleines Werk. Zwar hat eine von VW berufene Kommission keine Verfehlungen innerhalb des Werks feststellen können. Ein Freifahrtschein für das Unternehmen ist diese Erkenntnis aber nicht. Die Kritik am Autobauer hält an, und sie wird umso lauter werden, je skrupelloser und machthungriger die chinesische Staatsführung auftreten wird.