Braunschweig. Neue Ära der Logistik: Die TU Braunschweig und Partner präsentieren selbstfahrende Zustellfahrzeuge, doch diese Zweifel bestehen.

Eine kleine Reise in die Zukunft: Sie bestellen sich am Computer neue Druckerpatronen, dazu noch zwei Paar Schuhe und Osterdeko. Geliefert wird Ihnen alles von einem zwei Meter langen, ein Meter breiten und 50 Zentimeter hohen Roboter, der aussieht wie ein Frühlingskäfer. „Putzig“, denken Sie vielleicht. Als Sie Ihre Pakete öffnen, finden Sie darin jedoch nicht Ihre bestellten Sachen, sondern Fischdosen und Strümpfe. Wie das sein kann, dazu kommen wir später.

Livedemonstration von zwei autonom fahrenden Zustellfahrzeugen

Ein europäisches Forschungsprojekt hat sich die vergangenen zwei Jahren der Frage gewidmet, wie die Zustellung von Paketen künftig umweltfreundlicher und günstiger umgesetzt werden kann. Ihre Antwort: Durch die vollständige Automatisierung des Zustellprozesses. Der europäische Forschungsverbund aus Städten, Universitäten und Industrieunternehmen startete Anfang 2022 das Projekt „Logismile“ (Last-mile logisitics for autonomous goods delivery). Die Ergebnisse – zwei miteinander vernetzte, autonom fahrende Zustellfahrzeuge – wurden am Niedersächsischen Forschungszentrum Fahrzeugtechnik (NFF) der TU Braunschweig bei einer Fachkonferenz mit anschließender Live-Demonstration vorgestellt.

Video: TU Braunschweig tüftelt an Roboter-Paketzustellung

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    „Das autonome Fahren steckt in Deutschland nicht mehr in den Kinderschuhen“, ist Torben Hegerhorst überzeugt. Er ist Projektleiter von Logismile am NFF. Man befinde sich inzwischen im Mittelfeld bei der weltweiten Entwicklung von autonom fahrenden Transportmitteln, sagt er. Gergely Horvath vom Start-up LMAD aus Paris betont, dass Asien und die USA die Nase noch vorn hätten bei der Entwicklung von autonomen Fahrzeugen und Robotern auf den Straßen, Europa hole aber auf. Sein Start-up hat die digitale Benutzeroberfläche beigesteuert.

    100 Gäste bei Veranstaltung der TU Braunschweig am Flughafen Braunschweig-Wolfsburg

    Die zwei vorgestellten Zulieferfahrzeuge sehen futuristisch aus. Im realen Straßenverkehr fahren sie auf der Hermann-Blenk-Straße am Braunschweiger Forschungsflughafen vor rund 100 geladenen Gästen. Zum einen Raion, das mobile Lieferzentrum und zum anderen Ona, ein mobiler Roboter für die Zustellung der einzelnen Pakete, der einem futuristischen Marienkäfer ähnelt. Beide elektrifiziert und emissionsfrei.

    Interesse am Einsatz der vollautomatisierten Zustellfahrzeuge zeigen nicht nur die Forschungsstädte, in denen die Prototypen bereits zu Testzwecken unterwegs waren – Braunschweig und Barcelona. „Großes Interesse am Einsatz unserer Fahrzeuge kommt auch aus skandinavischen Ländern“, berichtet Hegerhorst.

    2025: 5,7 Milliarden Paketlieferungen erwartet

    Der Bedarf ist groß: Immer mehr Menschen bestellen Güter und auch Lebensmittel am Computer und lassen sich die Waren liefern. Roman Henze, Professor am NFF, sieht im Transport von Waren den größten Zukunftsmarkt. 2020 gab es rund 4 Milliarden Zustellungen in Deutschland – auch bedingt durch die Pandemie. 2025 erwarten die Forscher 5,7 Milliarden Zustellungen. Tendenz weiter steigend.

    Das Projektteam von „Logismile“ am Forschungsflughafen Braunschweig-Wolfsburg.
    Das Projektteam von „Logismile“ am Forschungsflughafen Braunschweig-Wolfsburg. © FMN | Claudia Bartels

    Im Rahmen des Projekts haben 13 europäische Organisationen und Einrichtungen aus Deutschland, Spanien, Frankreich und Polen über zwei Jahre die beiden städtischen Lieferroboter entwickelt, getestet und zur Vorführreife gebracht. Knapp 1,5 Millionen Euro Fördergelder sind in das Projekt geflossen.

    Zur Vorstellung kamen Vertreter aus der Lokalpolitik und den beteiligten Forschungseinrichtungen. Braunschweigs Oberbürgermeister Thorsten Kornblum bezeichnet die Region Braunschweig-Wolfsburg als Hotspot für Mobilitätsforschung und das Projekt gebe einen Ausblick auf die Zukunft der Logistikmobilität.

    Arno Kwade, Professor und Institutsleiter an der TU Braunschweig, freut sich über die Projektergebnisse: „Das ist ein Tag, an den wir uns mit Stolz und Freude erinnern werden“. Das Projekt erwecke neue Technologie zum Leben und überführe sie in die Gesellschaft. Roboter gebe es schon in Restaurants und nun auch auf den Straßen. Ganz so einfach sei die Zulassung für den Straßenverkehr dann aber doch nicht, führt Pauline Fellenberg, Mobilitätsrechtsexpertin am NFF, aus. Vom Gesetzgeber erlaubt: Autonome Autos dürfen in Deutschland bereits ohne Fahrer auf den Straßen unterwegs sein – jedoch nur in festgelegten und genehmigten Bereichen und mit einer technischen Aufsicht, einer Person, die als Teleoperator aus der Ferne das Fahrzeug begleitet und bei Bedarf eingreifen kann.

    Cybersicherheit in autonomen Fahrzeugen: Schutz vor Hackern

    Datensicherheit und Cybersicherheit: Zwei große Themen, um die sich EU-Behörden bereits kümmern. Cybersicherheit meint dabei den Schutz von Systemen, Netzwerken und Programmen vor digitalen Angriffen. Nicht, dass Sie wie im oben geschilderten Fall statt ihrer Druckerpatronen Fischdosen geliefert bekommen, weil sich jemand in die IT-Systeme der Zustellfahrzeuge gehackt hat.

    Bisher sah die Gesetzgebung vor, dass hinter jedem Steuer ein Mensch sitzen müsse. Bereits 2021 sei laut Fellenberg in Deutschland ein neuer Rechtsrahmen geschaffen worden, der die neuen technologischen Möglichkeiten des autonomen Fahrens mit betrachtet. Die Geschäftsführerin der Forschungsstelle Mobilitätsrecht am NFF betont: Eine 100-prozentige Sicherheit wird es auch mit autonomen Fahrzeugen nicht geben.

    Neben der IT-Sicherheit nennt Hegerhorst als weitere Herausforderung die Implementierung von Umgebungskarten. Straßenführungen würden sich ständig ändern, neue kämen hinzu. Ein autonomes Fahrzeug ist in komplexes System mit vielen Teilsystemen, die Wahrnehmung der Umgebung durch Sensoren am schwierigsten umzusetzen.

    Noch sind die zwei autonomen Lieferfahrzeuge von Logismile Forschungsprototypen und sensibel bei schlechten Wetterbedingungen. „Es sollte nicht zu stark regnen und keine Minusgrade haben“, sagt Hegerhorst.

    Geleitet wurde das Projekt durch die spanische Forschungseinrichtung Carnet – ein „Think Tank“ von Volkswagen. Das NFF der TU Braunschweig war mit den Instituten für Fahrzeugtechnik und für Konstruktionstechnik am Projekt beteiligt. Das Institut für Software and Systems Engineering der TU Clausthal entwickelte das Kontrollzentrum, das im Bedarfsfall eingreifen kann. Volkswagen steuerte vor allem Projektmanager und Entwickler von Geschäftsmodellen zum Projekt bei.

    Autonome Paketzustellung noch unwirtschaftlich

    „Das ist ein guter Start“, sagt Bernhard Scherer von der Firma PTV Logistics aus Karlsruhe, die ebenfalls Software beigesteuert hat. Wirtschaftlich sei das Ganze aber noch nicht. Um wirtschaftlich zu werden, müsse „der Mensch weg“, sagt Michaela Pape, Leiterin der Wissenschaftskommunikation und des Forschungsmarketings an der TU Braunschweig. Noch müsse nämlich eine Person die Pakete vom mobilen Logistikzentrum in den Zustellroboter legen. Die Zustellfahrzeuge würden in Folgeprojekten nun derart technisch weiterentwickelt, dass kein Mensch mehr intervenieren müsse.

    Aus technischer und rechtlicher Sicht ist autonomes Fahren in Deutschland also bereits umsetzbar. Nur wirtschaftlich ist es noch nicht. Auch der bürokratische Prozess der Genehmigungen und Freigaben muss genommen und künftig bestenfalls reduziert werden.

    Technische Daten

    Ausgestattet sind beide Fahrzeuge mit Fischaugenkameras mit 360-Grad-Rundumblick und Laserscannern, um Hindernisse zu erkennen.
    Raion hat eine Reichweite von 25 Kilometern und eine Ladezeit von zwei Stunden, ist 300 Kilogramm schwer und drei mal drei Meter groß, kostet 16 Euro pro Stunde im Einsatz, pro Kilometer also 32 Cent. 49 Pakete kann Raion bei einer Tour transportieren.
    Ona hat eine Reichweite von 6 Kilometern und eine Ladezeit von 1,5 Stunden, ist 50 Kilogramm schwer und 1 Kubikmeter groß, kostet 12 Euro pro Stunde im Einsatz, pro Kilometer also 18 Cent.