Washington. VW will in den USA keine Betriebsräte. Das führt zu Streit auf der Hauptversammlung, die an diesem Mittwoch in Deutschland stattfindet.

Wenn man Billy Quigg, Eric Delacy, Frank Stewart, Craig Jordan und Steve Cochran so reden hört, dann muss ein Job im einzigen amerikanischen Volkswagen-Werk in Chattanooga die reine Ausbeutung sein. Von Arbeitsüberlastung, die nur noch mit Tabletten zu kompensieren sei, ist da die Rede. Und von gnadenlosem Druck, die seit 2011 bestehende Produktionsstätte im idyllischen Bundesstaat Tennessee nur ja nicht mit Forderungen aus dem Tritt zu bringen; es sei denn, man wolle seinen Job riskieren.

Mit dem Dieselbetrugsskandal, der VW in den Vereinigten Staaten in zweistelliger Milliardenhöhe in die Bredouille gebracht hat, hat das nichts zu tun. Die genannten VW-Arbeiter tauchen in einem professionell gemachten Video auf, mit dem die United Auto Workers (UAW) seit Kurzem auch im Internet Front machen gegen den Wolfsburger Konzern. Die Traditionsgewerkschaft will seit Jahren einen Betriebsrat in Chattanooga etablieren. Doch der Weltkonzern, bei dem die Mitbestimmung ansonsten großgeschrieben wird, weigert sich.

VW versucht nach Diesel-Katastrophe in den USA einen Neustart

Am Mittwoch erreicht die Protestwelle der hauptamtlichen Lobbyisten aus Detroit Hannover. Ausgerechnet auf der Hauptversammlung wollen UAW-Sekretär Gary Casteel und seine Mitstreiter den VW-Konzern bei den Aktionären medienwirksam anschwärzen – als arbeitnehmerfeindlichen Goliath.

Für VW ist das wie aus Kapitalismus-Frühzeiten wirkende Gerangel mit den Gewerkschaften imagemäßig Gift. Der Konzern versucht unter der Führung von US-Chef Hinrich Woebcken nach der Dieselgate-Katastrophe einen Neustart. Mit neuen Geländewagen (SUV), die bei Ausstattung und Endpreis die Konkurrenz schlagen sollen, will das Unternehmen auf dem traditionell schwierigen US-Markt wieder Boden gewinnen.

Der schrille Sound der UAW, die heute in Hannover dem Vorstand um Matthias Müller die Leviten lesen und die Entlastung verweigern wollen, macht die Übung nicht leichter. „Es ist nicht hinnehmbar, dass Chattanooga weltweit die einzige VW-Fertigungsstätte ohne Mitbestimmung durch einen Betriebsrat ist“, sagte der Wortführer der UAW-Gewerkschaft, Gary Casteel.

Mehrheit der Mitarbeiter wollte keinen Betriebsrat

Doch ganz so einfach liegen die Dinge nicht. Gut drei Jahre ist es her, dass die damals 1500 VWler in Chattanooga, wo bis zuletzt vorwiegend der Passat hergestellt wurde, an die Urnen gerufen wurden. Die UAW wollten einen Fuß in die Tür bekommen und eine Arbeitnehmervertretung installieren. Überraschung: Rund 620 Mitarbeiter sagten Ja, aber knapp 710 waren dagegen. Eine Schlappe auch für den Vorsitzenden des Konzernbetriebsrats in Wolfsburg, Bernd Osterloh. Er hatte das Projekt „Betriebsrat in Chattanooga“ vorangetrieben.

Donald Trump bei Gesprächen mit Führungskrägften der Autoindustrie sowie der Gewerkschaft United Auto Workers (UAW).
Donald Trump bei Gesprächen mit Führungskrägften der Autoindustrie sowie der Gewerkschaft United Auto Workers (UAW). © REUTERS | Jonathan Ernst

Einige der Nein-Stimmer verspürten damals „keine Notwendigkeit für ein Korrektiv gegenüber VW“. Andere ließen sich von einer Propagandakampagne des politisch von den Republikanern beherrschten Bundesstaates beeindrucken. Dort hatten Top-Entscheider wie Gouverneur Bill Haslam und Senator Bob Corker öffentlich vor einem Eindringen der UAW in die Beschaulichkeit der Südstaaten gewarnt.

Die UAW sprachen von Wahlmanipulation

Es wurde kolportiert, dass VW und Zuliefererbetriebe bestimmte Investitionsentscheidungen nur dann durchführen würden, wenn das Werk am „Volkswagen Drive“ eine gewerkschaftsfreie Zone bleibe. Es gibt sogar Briefe an den damaligen VW-Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn. Darin erinnern Tennessees Top-Politiker daran, dass VW bei den Verhandlungen über die Ansiedlung des Werks in Chattanooga „klare Zusagen“ gemacht habe, sich gegen den Einzug der Gewerkschaft UAW zu wehren.

Die UAW sprachen nach der Niederlage von Wahlmanipulation, ließen nicht locker und etablierten im Sommer 2014 eine örtliche Gruppe. Selbige bewegte im Dezember 2015 rund 160 Arbeiter, die für die Wartung und Pflege der Maschinen zuständig sind, zum Gewerkschaftsbeitritt. Daraus wurde der Anspruch abgeleitet, mit VW in Tarifverhandlungen eintreten zu können.

VW denkt nicht daran, mit der Gewerkschaft zu verhandeln

VW aber dachte nicht daran. Damit, so hieß es, werde einem Kuddelmuddel von organisierten und nicht organisierten Mitarbeitern Tür und Tor geöffnet, und das bei einer Belegschaft von inzwischen 3200. Der Autohersteller argumentiert, er habe prinzipiell rein gar nichts gegen Mitbestimmung. Man könne aber nur mit der gesamten Belegschaft verhandeln, nie mit einzelnen Interessengruppen. Und schließlich dürfe man nicht vergessen: Eine Mehrheit der Mitarbeiter wolle gar keinen Betriebsrat.

Die kampferprobten UAW ließen sich auch davon nicht beeindrucken. Man zog vor das National Labor Relations Board (NLRB). Die Arbeitsaufsichtsbehörde entschied im vergangenen Herbst komplett gegen Wolfsburg. Die Konzernleitung dort wiederum legte Berufung ein. Wann eine Entscheidung fällt, ist ungewiss.

Bereits vor genau einem Jahr schlug sich die damalige demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton auf die Seite der UAW und rief VW zu Verhandlungen mit der Gewerkschaft auf. Wenig später legte der damalige US-Arbeitsminister Thomas Perez nach und bekundete das große Missfallen der Obama-Regierung über VWs Weigerung, die UAW als Verhandlungspartner zu akzeptieren. Nach dem Betrug beim Schadstoffausstoß der Dieselmotoren, so Perez, komme so eine Haltung in den USA nicht gut an. Beim Endverbraucher könne der Eindruck entstehen, VW glaube, auch hier über dem Gesetz zu stehen.