Berlin. Zwei große Kanzleien wollen für Betroffene mit neuen juristischen Mitteln die Rücknahme manipulierter Autos von Volkswagen erstreiten.

Im Kampf um Entschädigungen für Autofahrer, die vom VW-Abgas-Skandal betroffen sind, geht es zu wie auf einer viel befahrenen Kreuzung. Von rechts und links scheren Anwälte ein. Jetzt kommen zwei juristische Schwergewichte hinzu. Die Düsseldorfer Kanzlei Baum Reiter & Collegen und die Berliner Kanzlei Gansel vertreten rund 100.000 geschädigte Kunden. Sie wollen ihnen zu Geld verhelfen, das VW freiwillig nicht zahlen will.

„Die Konfrontation ist unausweichlich“, sagte der frühere Innenminister Gerhart Baum von der Düsseldorfer Kanzlei Baum Reiter & Collegen am Montag in Berlin. „Offenbar will VW den Abgas-Skandal aussitzen und setzt darauf, dass Ansprüche der Kunden verjähren.“ Deshalb habe man nun damit begonnen, die ersten Klagen vor deutschen Gerichten einzureichen, ergänzte Kanzleipartner Julius Reiter. Das Ziel: eine Rücknahme von Fahrzeugen, deren Abgaswerte manipuliert wurden, und die Erstattung des Kaufpreises.

Gute Erfolgschancen

Ende April hatte Volkswagen eine Brüsseler Frist für Zugeständnisse an seine Kunden verstreichen lassen. EU-Kommissarin Vera Jourova hatte „konkrete Ergebnisse“ verlangt. Vergeblich. „VW setzt auf Streit“, sagte Baum. Die Erfolgschancen stünden gut, meint der Berliner Anwalt Timo Gansel. Denn man habe ein weiteres „scharfes Schwert“ in der Hand, „den Widerruf-Joker“.

Der Trumpf, auf den die Juristen setzen, ist eine spezielle Option bei kreditfinanzierten Autos: „In den Darlehensverträgen zahlreicher Autobanken sind gesetzliche Pflichtangaben nicht vollständig erteilt. Damit können die Verträge heute noch widerrufen werden“, erläutert Gansel. „Der Widerruf des Kredites führt zur Rückabwicklung des Autokaufs mit einem bemerkenswerten Ergebnis: VW-Kunden könnten ihren Diesel zurückgeben und bekämen im Gegenzug ihre Anzahlung und den Tilgungsanteil aller Raten zurück.

Pkw-Neuzulassungen

Für Verträge ab Juni 2014 müssten sie keinen Ausgleich für die Laufleistung ihres Wagens bezahlen.“ Die beiden Kanzleien untersuchen derzeit auch zahlreiche Leasingverträge. Wenn der Widerruf-Joker tatsächlich sticht, würde das Gros der Dieselgate-Betroffenen profitieren. Denn rund 75 Prozent aller Pkw-Neuzulassungen in Deutschland laufen über Leasing- und Finanzierungsmodelle. Dies geht aus der Automobilbankstudie 2016 des Arbeitskreises Autobanken (AKA) und des Marktforschungsinstituts Puls hervor.

Neben einer Rückabwicklung sehen die Anwälte Chancen auf Schadenersatz oder eine Kaufpreisminderung. Es sei schließlich kein bloßer Sachmangel, wenn Autos deutlich mehr Stickoxid ausstießen als angegeben, meint Reiter. „Wir sind überzeugt, dass dies den Tatbestand der vorsätzlichen Täuschung erfüllt.“

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    Deckung verweigern

    Weil das deutsche Recht keine Sammelklagen kennt, müssten Betroffene ihre Ansprüche individuell durchsetzen. Die Kanzleien kooperieren mit Prozessfinanzierern, die Anwalts- und Gerichtskosten übernehmen. Die „faire Erfolgsbeteiligung“ liege bei 29 Prozent, inklusive Steuern und Gebühren.

    Maßgeblich sei der Mehrwert, der sich für den Kläger ergebe. Maximal zahle dieser 2900 Euro. „Gegen die letzten Rechtsschutzversicherer, die noch vertragswidrig die Deckung verweigern, führen wir auf Wunsch unserer Mandanten kostenfrei und ohne Risiko sogenannte Deckungsklagen“, so Reiter.

    „Realistische Chancen“ habe auch eine „Gewinnabschöpfungsklage“. VW habe „Unrechtsgewinne erwirtschaftet“, die eingeklagt werden könnten. Gespräche mit Verbraucherverbänden seien im Gange. Anwalt Gansel hat die Hoffnung auf eine gütliche Einigung noch nicht aufgegeben: „Schön wäre es, wenn wir in zwei Wochen in Wolfsburg sitzen und nicht den roten Knopf drücken müssen.“