Berlin. Wie Eltern ihre Kinder an die Wahrheit über den Osterhasen heranführen sollten und warum Fantasiewesen gut für die Entwicklung sind.

Wenn am Morgen des Ostersonntags bunte Eier im Garten versteckt sind und ein prall gefülltes Osterkörbchen vor der Haustür steht, ist für die meisten Kinder klar, was es damit auf sich hat. Es muss der Osterhase gewesen sein, der am frühen Morgen durch den Garten gehoppelt ist und dabei ein paar Geschenke hinterlassen hat.

Doch jedes Kind muss irgendwann die magische Welt der Fantasie verlassen und es folgt die Ernüchterung. Sollten Eltern ihren Kindern diese Enttäuschung lieber ersparen? Dürfen sie ihre Kinder überhaupt anflunkern und ihnen das Märchen vom Osterhasen erzählen?

Ja, sagen die meisten Experten. Der Glaube an Fantasiewesen fördere die Kreativität des Kindes und würde sich sogar positiv auf die kognitive Entwicklung auswirken. Wie das funktioniert, weiß Rahel Dreyer. Sie ist Professorin für Pädagogik und Entwicklungspsychologie der ersten Lebensjahre an der Alice Salomon Hochschule in Berlin und leitet dort den Studiengang Kindheitspädagogik. „Indem ein Kind seine Fantasie ausleben kann, schult es seine Fähigkeit zu lösungsorientiertem und unkonventionellem Denken“, erklärt Dreyer im Gespräch mit unserer Redaktion.

Warum der Glaube an den Osterhasen gut ist

Fantasie sei für Kinder daher sehr wichtig, um sich die reale Welt zu erschließen und sie zu verstehen. „Allgemein ist es für die Entwicklung eines Kindes – aber auch generell für den Menschen – gut, wenn man an etwas glauben kann“, sagt die Berliner Professorin. Das kann zum Beispiel auch das Christkind oder der Weihnachtsmann sein.

Rahel Dreyer, Professorin für Pädagogik und Entwicklungspsychologie der ersten Lebensjahre an der ASH Berlin, befürwortet den Osterhasen-Flunker.
Rahel Dreyer, Professorin für Pädagogik und Entwicklungspsychologie der ersten Lebensjahre an der ASH Berlin, befürwortet den Osterhasen-Flunker. © Michael Schaaf

Durch den Hasen – der übrigens als Symbol für Fruchtbarkeit und den Frühlingsbeginn gilt – können Kinder ihre Wünsche auf jemanden richten, mit dem sie sich identifizieren. „Eltern sollten die Fantasiewelt ihrer Kinder akzeptieren und sie ihnen nicht ausreden“, rät die Expertin.

Der Glaube an den Osterhasen könne außerdem nicht nur die Fantasie fördern, sondern auch die Empathie, also „die Fähigkeit, sich in anderen Menschen und ihre Gefühle hineinversetzen zu können“, führt Dreyer weiter aus. Kinder würden dadurch lernen, fremdes Verhalten zu hinterfragen und Handlungen von Mitmenschen zu verstehen – für die Pädagogin bildet das „die Grundlage für soziale Kompetenz und ein stabiles Miteinander.“

Osterhase und Weihnachtsmann: Der Zauber fängt früh an

Die magische Phase des Osterhasen und des Weihnachtsmanns beginnt für die meisten Kinder ab einem Alter von drei Jahren, schätzen Psychologen. Hier seien Kinder weit genug entwickelt, um sich ein Bild von dem geheimnisvollen Hasen auszumalen, der an Ostern immer die bunten Eier versteckt.

Besonders lang hält der Zauber allerdings nicht an. In der Schule werden Kinder schnell von anderen Mitschülern aufgeklärt, oft kommen sie dem Flunker aber auch selbst auf die Schliche.

Eltern sollten die Fantasiewelt ihrer Kinder akzeptieren und sie ihnen nicht ausreden.
Rahel Dreyer - Professorin für Pädagogik und Entwicklungspsychologie der ersten Lebensjahre

„Meistens fangen die Kinder im Alter von sechs oder sieben Jahren an, realistischer zu denken und die ‚Entzauberung‘ beginnt von selbst“, erklärt Dreyer. Kinder würden in diesem Alter zunehmend zwischen Realität und Fantasie unterscheiden können.

Trotzdem bleiben die Eltern eine große Vertrauensquelle. Viele Kinder konfrontieren ihre Eltern deshalb, sobald sie am Osterhasen zweifeln. Also was tun, wenn das eigene Kind nachfragt, ob es den Osterhasen vielleicht doch nicht gibt?

Ostern: So können Eltern ihr Kind an die Wahrheit heranführen

An diesem Punkt weiter zu lügen und darauf zu bestehen, dass das Märchen wahr ist, ist der falsche Weg – da sind sich die meisten Experten einig. Eltern müssen aber auch nicht sofort die Wahrheit sagen. „Wenn ein Kind Zweifel an der Existenz des Osterhasen äußert, können die Eltern das aufgreifen und zum Beispiel nachfragen, was es denn nun konkret glaubt“, schlägt Dreyer vor.

Mit den richtigen Gegenfragen können Kinder der Wahrheit so immer näher kommen und das Geheimnis schließlich selbst lüften. Das kann für Kinder auch ein Erfolgserlebnis sein. Äußert ein Kind dann wirklich, dass es den Osterhasen nicht gibt, können Eltern es guten Gewissens bestätigen, rät die Pädagogin.

Die Osterhasen-Lüge: Eine Gefahr für das Vertrauensverhältnis?

Wenn ein Kind die Wahrheit über den Osterhasen oder den Weihnachtsmann herausfindet, versteht es in der Regel auch, dass es von seinen Eltern jahrelang angelogen wurde. Das sehen die meisten Experten gelassen. Kinder würden den Sinn hinter der Lüge verstehen und seien deshalb nicht enttäuscht von ihren Eltern – darauf deuten auch einige Studien hin.

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Gegenstimmen gibt es aber trotzdem. Im Gespräch mit der Märkischen Allgemeinen sagte Psychologin Sandra Jankowski unter anderem, „dass das Vertrauensverhältnis zwischen Kind und Eltern durch so eine Lüge gestört wird.“ Langfristig seien die Auswirkungen in den meisten Fällen aber trotzdem nicht.

Kanadische Forscher haben in einer Studie über die Wirkung des Weihnachtsmanns herausgefunden, dass manche Kinder zwar durchaus enttäuscht sein können, wenn sie die Wahrheit erfahren. Von den Eltern betrogen fühlen sich jedoch nur zwei bis sechs Prozent der Kinder. Sonst würden sie es später wohl kaum selbst ihren Kindern erzählen. Oft seien es sogar die Eltern, die traurig sind, wenn die magische Phase endet, erklärt Dreyer. Doch das gehört nun mal zum Großwerden dazu.