Wolfsburg. Ein umstrittenes Eigentor bringt die VfL-Fußballerinnen auf die Siegerstraße - und befeuert wohl eine Schiedsrichterinnen-Diskussion.
Erst in der vergangenen Woche hatte Nürnbergs Sportdirektor Osman Cankaya eine Debatte neu entfacht, die so neu gar nicht ist: Es gibt in der Frauenfußball-Bundesliga zu viele Fehlentscheidungen der Schiedsrichterinnen. Er sieht mit Blick auf die weiblichen Unparteiischen „qualitative Missstände und strukturelle Defizite beim DFB“. Und am Sonntag könnte er mit der entscheidenden Szene des Spitzenspiels zwischen dem VfL Wolfsburg und Eintracht Frankfurt neues Futter für seine Argumentation erhalten haben. Denn die entscheidende Szene, die schließlich zu dem 3:0 (0:0)-Heimsieg der Wölfinnen vor fast 8900 Zuschauern in der VW-Arena führte, hat schon im Stadion für hitzige Diskussionen gesorgt und für viel Unverständnis bei der unterlegenen Eintracht. Ganz fair ist das allerdings nicht.
Frauen: VfL Wolfsburg gewinnt mit 3:0 gegen Frankfurt
Was war passiert?
Nach einem weiten Einwurf von Wolfsburgs Sveindis Jonsdottir verlängerte Alexandra Popp per Kopf auf den zweiten Pfosten. Stina Johannes hat beide Hände fest am Ball, wird aber von Lena Lattwein leicht berührt. Dieser minimale Kontakt innerhalb des Fünfmeterraums sorgte dafür, dass Frankfurts Torhüterin den Ball fallen ließ, die Kugel aus kurzer Distanz auch noch ins eigene Netz fiel. Johannes sagte deutlich: „Es war ein klares Foul. Wir haben es uns gerade auch noch mal aus der Hintertorkamera-Perspektive angesehen: Ich werde von Lattwein schön unterhebelt, dadurch gibt es eine Rotation, ich klatsche auf den Boden und verliere den Ball.“ Schiedsrichterin Miriam Schwermer entschied auf Tor.
Was sagt das Regelwerk dazu?
Angewandt wird in diesem Fall Regel 12. In der steht: „Ein Torhüter darf von einem Gegner nicht angegriffen werden, wenn er den Ball mit der Hand/den Händen kontrolliert.“ Dass für Keeper und Keeperinnen innerhalb des Fünfmeterraums ein besonderer Schutz bestünde, ist bereits seit 2012 nicht mehr der Fall. Es geht allein um die Definition, ob Lattweins Aktion als „Angriff“ auf die Frankfurter Schlussfrau zu werten ist. Für Schwermer, die in der Frauen-Bundesliga nicht die Möglichkeit hat, sich die Szene noch einmal auf Video anzuschauen, hat der Kontakt offenbar nicht gereicht. Oder, wie Johannes nach dem Spiel erklärte: „Die Schiedsrichterin sagte, es war meine eigene Mitspielerin, was nicht der Fall war.“ Auch die VfL-Leihgabe Pia Wolter war dicht dran, berührte ihre Torhüterin aber erst nach Lattwein und nicht entscheidend.
Was sagt der VfL zu der Szene?
„Ich habe nur den Blick auf den Ball gerichtet, versuche, irgendwie an ihn ranzukommen. Ich spüre, dass ich Körperkontakt habe mit Stina, sehe den Ball dann nur im Tor“, beschrieb Lattwein die Szene. Die 23 Jahre alte Nationalspielerin sagte nach Ansicht der Szene dazu: „Ich glaube, man kann es pfeifen, muss es aber auch nicht. Es ist eine schwierige Entscheidung. Ich bin froh, dass ich sie nicht treffen muss.“ Lattwein hatte Verständnis für den Ärger bei der Eintracht, gab zu: „Wenn es umgekehrt gewesen wäre, hätten wir auch so reagiert.“ VfL-Trainer Tommy Stroot hatte sich nach eigener Aussage in der Szene schon wieder weggedreht, nachdem Johannes an dem Ball war und sich die Situation später ganz bewusst nicht noch einmal angesehen. Dem Coach war anzumerken, dass er sich gar nicht erst in eine Schiedsrichterinnen-Debatte reinziehen lassen möchte. Unbestritten war allerdings, dass diese Szene in einem engen Spitzenspiel entscheidend war.
Und was sagt die Eintracht?
Nicht nur für die Keeperin war es eine klare Sache. Ähnlich äußerte sich nach der Partie Trainer Niko Arnautis: „Für uns ist es sehr ärgerlich, weil das Tor einfach nicht hätte gegeben werden dürfen. Das ist Fakt für mich. Es ist leider gegeben worden.“ Der Coach meinte weiter: „Lena kommt an Stinas Hüfte, deswegen verliert sie sozusagen in der Luft den Stand, fällt runter und der Ball landet im Tor. Das ist für mich eine klare Entscheidung: Freistoß für uns.“
Wie sehr befeuert diese Entscheidung die Schiedsrichterinnen-Debatte?
Johannes stimmte grundsätzlich dem Nürnberger Sportdirektor zu, sagte: „Ich sehe es auch kritisch. Für mich zählt die Leistung, und wenn es spielentscheidende Situationen sind, dann ist es natürlich sehr ärgerlich. Ich würde mir da auch ein Leistungsprinzip wünschen.“ Lattwein sah das ganz anders: „Ich glaube, dafür war es nicht klar genug, zu wenig Körperkontakt, als dass man daraus eine Diskussion machen müsste.“ Die Kritiker der DFB-Linie, die 1. und 2. Bundesliga der Frauen nur mit Schiedsrichterinnen zu besetzen, werden allerdings das neu erhaltene Futter als Beleg nutzen. Die Debatte ist grundsätzlich auch nicht falsch. Allerdings sind es keine neuen Missstände, die da aufgetan werden. Sie erreichen aber durch das inzwischen große mediale Interesse am Frauenfußball sowie die größere TV-Präsenz eine viel größere Aufmerksamkeit.
Sabine Mammitzsch, DFB-Vizepräsidentin für Frauen- und Mädchenfußball, sagte nach der Nürnberger Kritik: „Es ist schon sehr befremdlich, wie unsere Schiedsrichterinnen auf diese Art und Weise öffentlich an den Pranger gestellt werden.“ Gleichwohl räumte sie ein: „Für uns steht außer Frage, dass an den Bedingungen und Voraussetzungen für die Schiedsrichterinnen strukturell gearbeitet werden muss. Das gilt für alle Bereiche der Liga.“
Gegenüber der 29 Jahre alten Schwermer ist diese Diskussion nicht ganz fair, denn ein klarer Fehler ist ihr nach dem Regelwerk nicht zu unterstellen.
Was im Spitzenspiel noch wichtig war?
Aus VfL-Sicht, dass er den Verfolger aus der Main-Metropole auf sechs Punkte distanzieren konnte, zugleich an Spitzenreiter Bayern München dran bleibt (ein Punkt Rückstand) und in Sachen Meisterschaft weiter alles in der eigenen Hand hat. Lena Oberdorf meinte deutlich: „Im Kampf um Platz 1 und 2 bedeutet dieser Sieg extrem viel.“ Nach ausgeglichener erster Hälfte hatte der VfL kurz vor dem Tor schon immer mehr gute Offensivmomente. Frankfurt drückte dann auf den Ausgleich, doch Lattwein und Vivien Endemann machten in der Schlussphase für die Wölfinnen alles klar. Doch auch wenn der Sieg so zumindest nicht an der einen Szene hing: Es sorgte nicht dafür, dass die Diskussionen verstummten.
Spiel kompakt:
VfL Wolfsburg: Frohms - Wedemeyer, Hendrich, Janssen, Rabano - Oberdorf (87. Hagel), Lattwein, Huth (87. Kalma) - Jonsdottir (69. Brand), Popp, Pajor (79. Endemann).
Eintracht Frankfurt: Johannes - Wolter, Doorsoun, Kirchberger, Hanshaw - Reuteler, Gräwe, Dunst - Anyomi (85. Chiba), Freigang, Prasnikar (79. Martinez).
Tore: 1:0 Johannes (57./Eigentor), 2:0 Lattwein (86.), 3:0 Endemann (90.+3).
Gelbe Karten: Rabano / Freigang.
Schiedsrichterin: Miriam Schwermer (Wernigerode).
Zuschauer: 8867 in der Volkswagen-Arena.