Wolfsburg. Koen Casteels ist in seiner letzten Saison beim VfL Wolfsburg. Hier spricht der Torwart über Jugendzeit, WM-Vergaben und Zukunftspläne.

Koen Casteels, es ist gerade keine leichte Zeit beim VfL. Die Mannschaft hat die Erwartungen bislang nicht erfüllt, das Ziel Europa ist in weite Ferne gerückt. Müssen Sie sich von den Fans manchmal etwas anhören, wenn Sie in diesen Tagen durch die Stadt schlendern?

Ich war schon länger nicht mehr in der Stadt unterwegs und werde deshalb selten angesprochen. Ich lese auch keine Nachrichten, nehme wenig von außen wahr. Das habe ich schon immer so gemacht und ich glaube, das ist auch besser so. So liegt mein Fokus nur auf meinem eigentlichen Job. Den erledige ich auf dem Platz.

Auf dem Platz zu stehen, macht in erfolgreichen Zeiten aber vermutlich auch mehr Spaß. Ist das eine der schwierigsten Phasen, die Sie in Ihrer Zeit in Wolfsburg erleben?

Nein. Schließlich habe ich mit dem Verein zweimal Relegation gespielt. Ich denke, dass wir ganz gut in die Saison gekommen sind. Dann aber hat es etwas gehakt – bei der Leistung, aber auch bei der Punkteausbeute. Es gab allerdings auch Spiele, in denen wir gut waren und trotzdem verloren haben. Andersherum gab es früher schon oft Phasen, wo wir schlechter waren und am Ende gewonnen haben. So ist das nun mal im Fußball, man kann das oft nicht erklären. Fakt ist: Wir stehen jetzt dort, wo keiner stehen will. Aber wir werden dagegen ankämpfen, um die Situation so schnell wie möglich zu drehen.

Blicken wir einmal zurück: Neun Jahre ist es nun schon her, dass Sie sich zu einem Wechsel zum VfL entschieden haben. Können Sie sich noch an Ihren ersten Tag in Wolfsburg erinnern?

Ja, tatsächlich. Ich habe damals schon ein paar Spieler gekannt. Kevin De Bruyne vor allem, auch Bas Dost. Sie haben mir hier anfangs geholfen. Ich bin ja offiziell schon im Winter gekommen, wurde aber direkt weiter nach Bremen verliehen. Im darauffolgenden Sommer war es dann einfacher: Ich hatte schon ein Haus und konnte hier gleich voll durchstarten.

Ihre erste Station in Deutschland war jedoch die TSG Hoffenheim, wo Sie dreieinhalb Jahre geblieben sind. Warum haben Sie sich schon im Alter von 19 Jahren für einen Wechsel ins Ausland entschieden?

Weil mir das Projekt Hoffenheim gut gefallen hat. Der Verein hatte einen ganz klaren Plan. Ich war vorher in Genk, wo die Aussicht auf Einsätze nicht so gut war. Beide Faktoren haben den Ausschlag gegeben. Es gab noch andere Vereine aus Belgien, die Interesse hatten, aber ich habe mich für Deutschland entschieden.

Belgien und Deutschland – das ist nicht der ganz große Gegensatz. Dennoch: War es anfangs schwer, als junger Spieler in einem anderen Land zu leben?

Es kommen viele neue Dinge auf einen zu, wenn man plötzlich alleine lebt. Man muss zum Beispiel selber kochen und die Wohnung sauber machen. Auf der anderen Seite war ich nicht so weit von zu Hause weg. Vier Stunden mit dem Auto nach Belgien, das geht noch. Meine Eltern haben mich auch oft besucht. Heute ist das mit Frau und zwei Kindern schwerer hinzukriegen, spontan mal in die Heimat zu fahren.

Sie haben ja früh mit dem Fußball angefangen, sind schon mit fünf Jahren in einen Verein eingetreten. Waren Sie von Beginn an Torwart?

Nein. Bis ich zehn war, habe ich hinten links gespielt. Dann war es aber so, dass ich mit meinem größeren Bruder mit zum Torwarttraining gegangen bin. Ich war dann erst noch eine Zeit lang mal Feldspieler, mal Torwart. Als ich dann nach Genk gegangen bin, habe ich mich für das Tor entschieden. Ich war auch ganz gut als linker Verteidiger. Aber es war auch schnell klar, dass ich als Torwart mehr würde erreichen können.

Hatten Sie ein Vorbild?

Ja, Edwin van der Sar, der Torwart der niederländischen Nationalmannschaft, der bei Manchester United spielte.

Hat sich die Torwartrolle seitdem sehr verändert?

Schon als ich in Genk angefangen habe, bestand der Torwartjob in Belgien zu 50 Prozent aus Arbeit mit den Händen und zu 50 Prozent aus Arbeit mit den Füßen. Mitspielen, Rückpässe verarbeiten, aus dem Strafraum laufen – das habe ich von klein auf geübt.

Hat sich Ihr Spielstil mit den Jahren trotzdem verändert?

Nicht wirklich. Mit 31 ist man sicher ein anderer Torwart als mit 21, weil man vieles automatisch macht und nicht mehr so viel nachdenkt wie als junger Spieler. Aber ansonsten bin ich der Alte geblieben. Nur die Erfahrung kommt dazu, die werde ich zu meiner nächsten Station mitnehmen.

Sie sprechen es selbst an: Ihre Zeit in Wolfsburg endet im Sommer. Warum gehen Sie?

Ich habe hier erfolgreiche Zeiten erlebt. Wenn man neun Jahre bei einem Verein bleibt, bedeutet es, dass man sich wohlfühlt und sich gut eingelebt hat. Aber wenn ich noch einmal eine neue Herausforderung annehmen will, dann ist jetzt der richtige Zeitpunkt.

Wann wird die Entscheidung fallen, wohin es für Sie geht?

Das kann nächste Woche sein oder auch in vier Monaten. Ich werde mir alles anhören. Irgendwo habe ich gelesen, dass ich Deutschland und Belgien ausschließe. Aber das stimmt nicht. Ich bin offen für alles. Ein bestimmtes Ziel habe ich nicht. Aber jetzt liegt mein voller Fokus auf dem VfL Wolfsburg.

Falls Sie Deutschland verlassen sollten – was werden Sie vermissen?

In puncto Fußball würde ich mich mittlerweile schwer damit tun, wenn jemand ungestraft zu spät zum Training oder zu einer Besprechung kommt. Hier wird alles punktgenau geplant und wenn jemand auch nur ein paar Sekunden zu spät ist, dann ist es auch zu spät. Ich habe schon von vielen Spielern aus anderen Ländern gehört, dass es diesbezüglich dort lockerer zugeht. Aber ich mag das nicht. Disziplin gefällt mir.

Ist das eine Tugend, die Sie sich auch für die Zeit nach Ihrer aktiven Zeit bewahren würden. Vielleicht als Trainer?

Erstmal will ich noch einige Jahre spielen. Als Torwart geht das, ich fühle mich frisch und fit. Als Trainer sehe ich mich gerade nicht. Ich bin jetzt lange dabei, bin an den Wochenenden immer weg gewesen. Später würde ich da lieber bei meinem Sohn am Fußballplatz stehen und ihm zuschauen. Als Trainer bist du auch gedanklich viel mehr beim Fußball und denkst abends noch über alles nach.

Ist für Sie später also auch ein Leben ganz ohne Fußball vorstellbar?

Das ist für mich zumindest keine schlimme Vorstellung. In jedem Fall freue ich mich, irgendwann einmal mit meiner Familie nach Belgien zurückzukehren. Das ist fest eingeplant.

Vorher werden Sie aber mindestens noch einen letzten Vertrag unterschreiben. Die Karriere in einem Land wie Saudi-Arabien ausklingen lassen – würden Sie das ausschließen?

Wie schon gesagt: Ich bin offen für alles. Ich schließe nichts aus, bevor ich mir ein Projekt nicht genau angehört habe. Alles andere macht für mich keinen Sinn.

In jedem Fall steht vorher die EM auf dem Programm. Mit einer Nummer 1 Koen Casteels im belgischen Tor? Der frühere Stammkeeper Thibaut Courtois ist verletzt. Und da ist auch noch dessen Streit mit Nationalcoach Tedesco.

Auf dieses Thema möchte ich nicht eingehen. Ich habe diese Situation nicht miterlebt, es nur in den Medien verfolgt. Das ist eine Sache zwischen Spieler und Trainer.

Aber Sie kennen Thibaut Courtois doch gut. Haben Sie nie mit ihm drüber gesprochen?

Ja, wir kennen uns gut. Wir sind früher in eine Klasse gegangen. Und wir haben zusammen in Genk gespielt. Aber wir haben nicht darüber gesprochen.

Sie waren vor zwei Jahren Kapitän beim VfL. Wie wichtig ist Ihnen ein solches Amt?

Es war mir nie übermäßig wichtig. Wenn man älter wird und so lange in einem Verein ist, dann ist es nicht mehr so entscheidend, ob man Kapitän ist. Wenn man etwas zu sagen hat, tut man es auch so. Ein Kapitän kann sowieso nicht alles allein richten, er arbeitet mit Spielern aus dem Mannschaftsrat zusammen. Jetzt als Vizekapitän ist es für mich nicht anders als früher.

Zurück zur EM. Es könnte das erste große Turnier werden, das Sie auf dem Platz erleben. Noch dazu zählen Experten Belgien zum Kreis der Titelfavoriten.

Wir hatten einen großen Umbruch nach Roberto Martinez, und die Mannschaft befindet sich noch in der Aufbauphase. Es ist relativ schnell gelungen, mit jüngeren Spielern ein gutes Team zusammenzustellen. Aber wir arbeiten in dieser Konstellation und mit einem neuen System erst seit einem Jahr zusammen, sodass wir sicher noch nicht zu den Topfavoriten gehören. Ich freue mich auf die EM, sehe unsere Mannschaft aber eher als Außenseiter, der aber dennoch Chancen hat. Es ist endlich wieder eine Veranstaltung in einem Land, in dem Fußball gelebt wird. Ich denke an die Turniere in Südafrika, Brasilien oder Deutschland, das sind sehr schöne Beispiele.

Die letzte WM fand in Katar statt. Dass Turniere in solche Länder vergeben werden, stört viele. Wie denken Sie darüber? 2034 wird die WM in Saudi-Arabien stattfinden.

Letztendlich geht es ums Geld. Auch im Fall von Saudi-Arabien ist das doch so. Leider ist es auf Klubebene ähnlich. Da werden neue Ligen oder Wettbewerbe erfunden. Man fliegt hierhin und dorthin und wieder zurück. Irgendwann wird es zu viel.