Lyon. Auf das Führungstor nach acht Sekunden folgt ein starker Auftritt. Angeführt von Rückkehrer Toni Kroos gewinnt Deutschland in Lyon.

Ganz oben aus der Ecke des Lyoner Groupama Stadiums ließen sich leichte Töne vernehmen. „Oh, wie ist das schön“, sangen die Fans der deutschen Nationalmannschaft. So etwas hat man lange nicht gehört, so etwas hatten sie länger nicht gesehen: einen mutmachenden Auftritt der DFB-Elf. Das aber war ja der 2:0 (1:0)-Erfolg am Samstagabend gegen Frankreich, bei dem Florian Wirtz nach acht Sekunden und Kai Havertz in der 49. Minute die Tore erzielten. Rund drei Monate vor Turnierbeginn gibt es für die deutsche Elf wieder neue Hoffnung auf eine erfolgreiche Heim-Europameisterschaft.

„Großes Kompliment an die Mannschaft“, sagte Julian Nagelsmann nach Spielende. „Die ersten 25 Minuten waren sehr, sehr gut. In der zweiten Halbzeit haben wir uns nochmal gesteigert. Ich bin sehr, sehr zufrieden auch mit der Art und Weise, wie uns reingehauen haben. Das war ein Topspiel. Toni Kroos war unfassbar. Er war Taktgeber, hat unglaublich viel gearbeitet. Er gibt den anderen Spielern so viel Sicherheit.“

Nagelsmann gibt Havertz den Vorzug vor Füllkrug

Julian Nagelsmann begann sein fünftes Spiel als Bundestrainer ohne Überraschungen, schließlich hatte er tags zuvor auf der Pressekonferenz bereits eine Entscheidungen auf vakanten Planstellen mitgeteilt. Marc-André ter Stegen vertrat im Tor den verletzt abgereisten Manuel Neuer, mit dem Nagelsmann als Nummer eins in die Euro gehen will. Auf der linken Abwehrseite kam Maximilian Mittelstädt vom VfB Stuttgart zu seinem Länderspieldebüt. Premier-League-Legionär Kai Havertz (FC Arsenal) erhielt den Vorzug vor Borussia Dortmunds Wandstürmer Niclas Füllkrug. „Kai bringt eine Komponente mit rein, die wir sonst wenig haben: Das ist Tempo in die Tiefe“, sagte Nagelsmann.

Deutschlands Rekordschuss: Florian Wirtz trifft nach acht Sekunden zum schnellsten Länderspieltor in der DFB-Geschichte.
Deutschlands Rekordschuss: Florian Wirtz trifft nach acht Sekunden zum schnellsten Länderspieltor in der DFB-Geschichte. © AFP | Franck Fife

Selbstverständlich gab auch Toni Kroos sein Comeback – knapp 1000 Tage nach seinem letzten Auftritt im DFB-Dress, beim Achtelfinal-Aus bei der EM (0:2 gegen England). Große Hoffnungen hatten sie in den Mittelfeldstrategen von Real Madrid gesetzt, dass er eine in den vergangenen Monaten verunsicherte Mannschaft würde beruhigen können. Für Nagelsmann war es gleichzeitig ein beinahe verzweifelter Versuch, der DFB-Elf einen Impuls einzuverleiben. Dementsprechend zufrieden war auch Kroos: „Wir können sehr zufrieden sein. Wir haben einen guten und wichtigen Schritt nach vorne gemacht. Es war eine Chance, sich Richtung EM ein gutes Gefühl zu holen.“

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Und viel besser hätte es auch gar nicht laufen können. Anstoß Havertz, Rückpass auf Kroos, langer Ball auf Florian Wirtz. Bayer Leverkusens Ausnahmetalent dribbelte ungestört durch das französische Mittelfeld und zog einfach mal ab. Der Ball flatterte, senkte sich im richtigen Moment und klatsche von der Latte ins Netz. Acht Sekunden waren da gespielt, das schnellste Länderspieltor in der Geschichte des DFB, das bis dahin Lukas Podolski 2013 (beim 4:2 gegen Ecuador nach neun Sekunden) erzielt hatte. 1:0 für Deutschland: ein perfekter Start ins EM-Jahr.

DFB: Wiedergutmachung für Pleiten gegen Türkei und Österreich

Es war ein höchst couragierter Auftritt der deutschen Elf zu Beginn, ganz anders noch als bei den beiden Niederlagen gegen die Türkei und in Österreich im November, die die leichte Aufbruchstimmung unter dem neuen Bundestrainer trübten. Nach seltenen Verlusten holte sich Nagelsmanns Elf den Ball schnell wieder zurück. Nur ein zweites Tor sollte zunächst nicht gelingen. Auch die neuformierte Defensive, in der neben Mittelstädt noch Joshua Kimmich, Jonathan Tah und Antonio Rüdiger die Viererkette bildeten, wirkte stabil.

Erst nach 20, 25 Minuten kam der Vize-Weltmeister besser ins Spiel. Vor allem über die Flügel provozierten die Franzosen Duelle zwischen Mittelstädt und Ousmane Dembélé sowie Kimmich und Mbappé. Plötzlich verlor das DFB-Team häufiger die Bälle, dem Publikum in Lyon gefiel das.

Da lacht sogar der Bundestrainer zufrieden: Julian Nagelsmann.
Da lacht sogar der Bundestrainer zufrieden: Julian Nagelsmann. © dpa | Christian Charisius

Auch wenn der französische Druck gerade über die Außen größer wurde, verteidigte Tah und Rüdiger viel weg. Trotzdem wirkte es, als wäre das 1:1 nur eine Frage der Zeit. Zweimal wurde es höchstgefährlich. Mbappé entwischte Kimmich, scheiterte aber an ter Stegen, der lange stehen blieb und mit einer Hand abwehrte (25.). Zehn Minuten später machte es der deutsche Keeper selbst unnötig spannend, weil er Dembélés Schuss nach vorne prallen ließ und dann Glück hatte, dass Adrien Rabiot den Ball nicht richtig erwischte. Eine Erkenntnis dieser ersten Halbzeit: Die deutsche Nationalmannschaft konnte anders als in 2023 auch eine Druckphase überstehen.

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Frankreich lässt nicht nach, Deutschland behält einen kühlen Kopf

Wie würde Frankreich reagieren? Gelähmt. Das hätten nur wenige gedacht. Denn die deutsche Mannschaft begann engagiert wie in Durchgang eins – und genauso torgefährlich. Wirtz schickte den bis dahin unauffälligen Musiala in die Tiefe. Der zog an Frankreichs Torwart Brice Samba vorbei, schoss aber nicht, sondern legte auf den miteingelaufenen Havertz ab: 2:0 (49.).

Die Gastgeber waren merklich beeindruckt vom deutschen Auftritt. Denn der viermalige Weltmeister ließ nicht nach, wurde nicht passiv, kam weiterhin gut in die Zweikämpfe. Gefährlich wurde es bei Frankreich selten, und wenn dann über Dembele. Zum Beispiel in der 55. Minute, als er von rechts in die Mitte zog und knapp links vorbei schoss.

Stattdessen versuchte die deutsche Mannschaft durch ihr Umschaltspiel zum Erfolg zu kommen. Wenn man ihr an diesem Abend etwas vorwerfen konnte, dann dass sie in der zweiten Hälfte nicht zwingend genug vor dem franzöischen Tor agierten. Das allerdings blieb ein nur ein Schönheitsfehler. Denn hinten rettete Antonio Rüdiger kurz vor Schluss auf der Linie (88.).