Lyon. Der Verband kehrt seinem jahrzehntelangen Ausrüster den Rücken und wechselt zu Nike. Viele Fans wittern den Verrat an der Tradition.

Als wäre die fußballerische Lage nicht schon verzwickt genug. An diesem Samstag (21 Uhr/ZDF) spielt die deutsche Nationalmannschaft ja in Lyon gegen Frankreich, ein ultimativer Härtest, der Hinweise darauf liefern wird, ob Bundestrainer Julian Nagelsmann das Team Richtung EM doch noch in die richtige Bahn lenken kann. Nun hat der Verband plötzlich ein anderes Thema, das es zu moderieren gilt: den plötzlichen Ausrüsterwechsel. Nach über 70 Jahren Zusammenarbeit mit Adidas wird ab 2027 der amerikanischen Sportartikel-Gigant Nike alle deutschen Fußball-Nationalmannschaften bis 2034 ausstatten. Die Nachricht entzündete eine große Debatte. Gewittert wird der Verrat an der eigenen Tradition.

Gerade rest hatte ein Marketingkampagne wieder ein wenig Kribbeln nach inzwischen einigen Jahren der sportlichen Enttäuschung ausgelöst. „Typisch Deutsch“, unter diesem Leitsatz wurde das Trikot der DFB-Elf vorgestellt. Es sollte die verschiedenen Facetten Deutschlands abbilden. Das klassisch weiße Heim-Leibchen gefiel, das pink-lilane polarisierte – ergibt zusammen einen PR-Coup.

Typisch Deutsch, das ist auch die Verschmelzung von Adidas und dem Verband.

DFB-Team: Der Schraubstollen-Mythos um die Helden von Bern

Natürlich spielten die Helden des Wunders von Bern 1954 noch nicht in Adidas-Trikots, denn Firmengründer Adolf „Adi“ Dassler war Zeugwart, wusch Trikots, putzte Schuhe. Die Trikots waren weiß (mit schwarzen Bündchen) und Schnürung im Brustbereich, die Hosen schwarz. Einzige Zier: Das Logo des Verbandes.

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Der Mythos allerdings sagt, dass der Franke Fritz Walter und Co. erstmals Schraubstollen unter den Schuhen spendierte – und der Mannschaft dadurch einen Vorteil auf den seinerzeit nicht immer perfekten Rasenbedingungen verschaffte, präsentiert mit den drei Streifen. Den Ruf als heimlicher Weltmeistermacher nutzte Dassler, hauptberuflich Besitzer einer Schuhfabrik, jedenfalls gekonnt. Die Firma in Herzogenaurach wurde zur Keimzelle eines Weltkonzerns.

Auch beim Titelgewinn 1974 war die Fußball-Welt noch so halbwegs unschuldig, Trikotwerbung war noch nicht für die Nationalmannschaft zugelassen. Markenzeichen, Logos? Fehlanzeige. Die Schuhe immerhin, die hatten natürlich die drei Streifen. Und selbstverständlich waren sie auch auf den Trainingsanzügen zu sehen. Das Design dieser frühen Präsentationsanzüge ist bis heute Kult.

DFB-Team: Adidas steigt zum Weltmarktführer auf

Die Trikots? Beinahe wie in den 50ern: Weiß, schwarze Bündchen, mit Logo auf der Brust – und Franz Beckenbauer und seine Mannschaft spielten langärmelig. Diskussionen gab es vor allem um den Geschwisterkrieg. Adi Dassler hatte sich schon mit seinem Bruder Rolf zerstritten. Parallel zu Adidas entwickelte sich Rolfs Marke Puma. Die Söhne setzten den Streit fort, hatten immerhin den Fußballmarkt aufgeteilt. Adidas strebte nach einer Monopolstellung, war ab 1978 Weltmarktführer.

Das Einsetzen der Globalisierung und die Verlagerung der Produktion in Billiglohnländer hatte in den 1980er-Jahren Adidas zu schaffen gemacht, 1989 löste Nike Adidas als Weltmarktführer ab. Ausgerechnet am 7. Juli, dem Tag vor dem WM-Finale in Rom, verkauften die Dasslers 80 Prozent der Anteile an den Franzosen Bernard Tapie – der Aufschrei in Deutschland, das Unternehmen, das im Gleichschritt zur DFB-Elf den Status eines Nationalheiligtums genoss, ins Ausland zu verkaufen, war groß.

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Überlagert wurde er nur vom Design der Trikots. Erstmal fielen die Leibchen in die Hände der Mode-Designer, der breite Brustring in Schwarz-Rold-Gold, gebrochen durch Rautenmuster traf nicht auf ungeteilte Zustimmung. Seit 1990 jedenfalls wird jedes Trikot neben das Weltmeistertrikot jenen Jahres gelegt, um zu checken, ob es titeltauglich ist.

DFB-Team: Nike sticht Adidas mit Angebot aus

Ausgerechnet auf dem Höhepunkt der aktuellen Adidas-Kampagne teilte der DFB nun überraschend mit, dass er ab 2027 von Nike ausgestattet wird. In einem Nebensatz verriet der klamme Verband den Grund: Geld. Nike stach Adidas laut Handelsblatt mit einem Angebot im dreistelligen Millionen-Bereich pro Jahr (insgesamt rund 800 Millionen Euro) aus. Zum Vergleich: Real Madrid kassiert von Adidas laut Berichten 120 Millionen pro Saison, der FC Barcelona 105 Millionen von Nike.

Die Fallhöhe eines ganz normalen Sponsoren-Deals wird an den Reaktionen deutlich. Friedrich Merz, Vorsitzender der CDU urteilte knapp, aber streng: „unpatriotisch“. Nicht nur die Nationalmannschaft, auch das Trikot und sein Hersteller, haben den Rang eines Nationalheiligtums. Sogar der Bundeskanzler äußerte sich, der immerhin staatstragend: „Das ist Sache des Verbandes“, sagt Olaf Scholz (SPD).

DFB unterschätzt den Frust der Fans

Viele Fans frustriert die Aufgabe der eigenen Fußball-Geschichte. Die Bundesminister Robert Habeck und Karl Lauterbach sprangen auf den Empörungszug auf, der mit ihnen an Bord noch einmal Fahrt aufnahm. „Ich kann mir das deutsche Trikot ohne die drei Streifen kaum vorstellen. Adidas und Schwarz-Rot-Gold gehörten für mich immer zusammen. Ein Stück deutscher Identität. Da hätte ich mir ein Stück mehr Standortpatriotismus gewünscht“, hatte Habeck erklärt. Lauterbach hatte auf X (vormals Twitter) geschrieben, er halte es „für eine Fehlentscheidung, wo Kommerz eine Tradition und ein Stück Heimat vernichtet“.

Adidas selbst wirkte nach der Verkündung überrumpelt. Und der DFB hatte die Gegenreaktion der Öffentlichkeit offenbar grob unterschätzt. Er sah sich zu einer fast schon entschuldigenden Stellungnahme gezwungen. Das unwürdige Ende einer Ära.