Hamburg. Mit „Hercules“ startet ein neues Disney-Musical in Deutschland. Kann der antike Held überzeugen? So lief die Premiere in Hamburg.

  • In der deutschen Musical-Hauptstadt Hamburg feierte am Wochenende „Hercules“ Premiere
  • Das Stück basiert auf dem gleichnamigen Film von Disney
  • Schafft es der antike Held in den Musical-Olymp?

„Es war schon dunkel, als ich durch Hamburgs Straßen heimwärts ging, da war ein Theater, aus dem das Licht noch auf den Gehsteig schien. Ich hatte Zeit und mir war kalt, drum trat ich ein“, singt man innerlich, frei nach „Griechischer Wein“ von Udo Jürgens im Stage Theater in der Neuen Flora. Und sieht „Hercules“. Die erste Weltpremiere eines Disney-Musicals in der deutschen Musical-Hauptstadt. Große Kraft, großes Herz, große Bühne. „Zero To Hero“, von der Nulpe zum Helden. Wenn das nicht ein göttliches Spektakel verspricht.

Aber, so viel kann vorab gesagt werden: Schon im Vorfeld waren die Erwartungen nicht sehr hoch, schließlich ist schon die Vorlage des Musicals, der Animationsfilm „Hercules“ aus dem Jahr 1997, sowohl kommerziell als auch künstlerisch eher im Mittelfeld des Zeichentrick-Kanons anzusiedeln. Mit der Suche des Göttersohns nach seiner Bestimmung endete die Disney-Renaissance der 90er-Jahre nach den großen Erfolgen mit „Arielle, die Meerjungfrau“ (1989), „Aladdin“ (1992), „Der König der Löwen“ (1994) und „Pocahontas“ (1995), und der lange Niedergang bis zum Comeback mit „Rapunzel – Neu verföhnt“ (2010) und „Die Eiskönigin“ (2013) begann.

„Hercules“: Vom Disney-Film auf die Musical-Bühne

Da ist es schon mutig, sowohl von Stage Entertainment als auch von Disney, sich des „Hercules“-Stoffes viele Jahre nach dem Kinostart – aber noch vor der 2022 angekündigten geplanten Real-Neuverfilmung – anzunehmen. Klar, die Mischung aus griechischer Mythologie und moderner Komödie und dem kontrastierenden Soundtrack von Alan Menken und David Zippel zwischen Motown-Soul, Gospel und R’n‘B ist wie gemacht für die Bühne.

Aber verglichen mit „Der König der Löwen“ oder „Die Eiskönigin“ hinterließ „Hercules“ weder popkulturellen Einfluss noch Ohrwurm-Hits in Größenordnungen wie „Circle Of Life“ oder „Let It Go“. Zentrale „Hercules“-Songs wie „Zero To Hero“ oder die Oscar-nominierte Ballade „Go The Distance“ sind eher etwas für Pop-Archäologen.

Aber: „Ein wahrer Held wird nicht durch die Größe seiner Kraft bestimmt, sondern durch die Größe seines Herzens.“ Das Musical in der Neuen Flora macht im Großen und Ganzen das Beste aus der eher schwachen Vorlage. Nah am Film erzählend, gerät Hercules schon als Baby in den Zwist zwischen Göttervater Zeus und seinem Bruder Hades, der bei der olympischen Jobverteilung das Totenreich abbekommen hat.

Mit seinen Handlangern Karl und Heinz (im Film Pech und Schwefel) und der als Liebesfalle beauftragten Megara schmiedet Hades ein Komplott, um Hercules aus dem Weg zu schaffen und die Macht über den Olymp zu erlangen. Hercules – übermächtig stark, aber nicht der hellste Stern am Intelligenzhimmel – landet (zunächst ohne Wissen um seine göttliche Herkunft) in der Welt der Sterblichen.

Immer mittendrin und nicht nur dabei – die fünf Musen mit Megara (Mae Ann Jorolan).
Immer mittendrin und nicht nur dabei – die fünf Musen mit Megara (Mae Ann Jorolan). © Johan Persson | Johan Persson

„Hercules“ in Hamburg: Hauptdarsteller Benét Monteiro ist ein alter Bekannter

Um wieder zu seinen Eltern Zeus und Hera zu gelangen, muss Hercules Heldentaten vollbringen. Diesen widmet sich Benét Monteiro in seiner zweiten Hauptrolle nach „Hamilton“ wieder mit brillantem Körper- und Stimmeinsatz. Die Schweißperlen sind echt, wenn er sich in den Clinch mit Monstern wie der Hydra oder in Liebesduette mit Megara (Mae Ann Jorolan) wirft.

Aber wie in den fünf Disney-Stage-Kooperationen zuvor spielt die heimliche Hauptrolle der Bösewicht, hier Detlef Leistenschneider als Hades. Als Mischung aus Scar („König der Löwen“) und einer übernächtigten Olivia Jones nach der fünften Kieztour geizt Hades nicht mit bissigen Einzeilern, während er Lebensfaden auf Lebensfaden durchschneidet und so für charmante wie sehenswerte Geistereffekte sorgt.

Griechische Nacht: An opulentem Kitsch wird nicht gespart im „Hercules“-Musical.
Griechische Nacht: An opulentem Kitsch wird nicht gespart im „Hercules“-Musical. © Johan Persson | Johan Persson

Auch viel beschäftigt sind die fünf Musen Leslie Behann, Chasity Crisp, Uzoh, Shekinah Mcfarlane und Venolia Manale. Sie bilden den griechischen Drama-Chor, wie ihn die Supremes, Ronettes oder Ikettes interpretieren würden. Mit viel Energie, Spielfreude und unzähligen Kostümwechseln erzählen sie (leider akustisch oft nur schwer verständlich) die Handlung weiter, beobachten, bewerten und belächeln das Geschehen zwischen Götter- und Menschenwelt. Auch Hercules-Mentor Phil (Kristofer Weinstein-Storey) und das Trottel-Duo Karl (Mario Saccoccio) und Heinz (André Haedicke) bereichern Cast und Handlung. Komplette Ensemble-Auftritte und -Choreografien sind auf erwartbar hohem Stage-Niveau.

„Hercules“ in Hamburg: Die finalen Action-Einlagen sind erlebenswert

Gleiches gilt auch für Bühne, Ausstattung, Licht- und Videoeffekte. Wobei die Kostüme und das Mosaik-Gewimmel auf dem LED-Hintergrund oft und gern in ihrem weiß-goldenen bis kunterbunten Kitsch an die „Griechische Nacht“ in Hape Kerkelings Pauschalurlaubskomödie „Club Las Piranjas“ erinnern („Griechischer Liebesgott mit vier Buchstaben: Sexy? Porno? Uhse?“). Die Unterwelt von Hades wirkt hingegen wie recycelte Kulissen von „Tanz der Vampire“. Aber die gewitzten Tanzeinlagen auf der Drehbühne und der Action-Höhepunkt des Stücks mit einem titanischen Kampf sind sehr erlebenswert in dem mit zwei Stunden Spielzeit angenehm kompakten Zweiakter.

Kein Grund also, „We Don‘t Need Another Hero“ aus dem „Tina“-Musical anzustimmen. Und doch schaffen es Robert Horn und Kwame Kwei-Armah (Buch) sowie Casey Nicholaw und Tanisha Scott (Regie und Choreografie) nicht ganz nach oben auf den Musical-Olymp. Der Soundtrack, dessen 22 Liedbeiträge schnell aus dem Gedächtnis verschwinden, ist im Vergleich mit anderen Produktionen einfach zu mittelmäßig und beliebig.

Und es fehlt, Unterhaltungs- und Familienmusical hin oder her, am großen Drama, am Verlust und tatsächlich auch an Romantik. Die erst als Falle und dann als wahre Liebe angebahnte Beziehung zwischen Hercules und Megara ist so flach wie eine Phiale, eine antike griechische Opferschale. Noch mal zum Mitschreiben: „Ein wahrer Held wird nicht durch die Größe seiner Kraft bestimmt, sondern durch die Größe seines Herzens.“ Also bitte!

„Disneys Hercules“ bis 22.12., Stage Theater Neue Flora (S Holstenstraße), Stresemannstraße 159 A, Karten ab 59,90 im Vorverkauf; www.stage-entertainment.de