Berlin. Zu wenige Lehrer in vollen Klassenzimmern: Warum Lern-Apps und Künstliche Intelligenz künftig unverzichtbar für Schulen werden könnten.

Zugang zu guter Bildung – das ist in Deutschland nach wie vor auch vom wirtschaftlichen Hintergrund und von der Bildung der Eltern abhängig. Luis von Ahn (45) will das ändern. Er hat eine Vision: Der Chef der Lern-App Duolingo will diese Bildungslücke schließen. In einigen Jahren, so glaubt er, könnte mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) möglicherweise jeder Zugriff auf einen persönlichen Tutor haben, der sich auf die individuellen Leistungen einstellen kann.

Duolingo ist eine App, die ursprünglich dazu gedacht war, Menschen auf der ganzen Welt kostenfreien Sprachunterricht zu ermöglichen. Die Finanzierung erfolgt über Werbung, ein Premium-Modell und standardisierte Tests zur Ermittlung des Sprachniveaus. Doch von Ahns Vision geht über das bloße Sprachenlernen hinaus. Seit neustem bietet Duolingo auch Unterricht in Mathematik und Musik an. „Es werden noch viele weitere Fächer folgen“, kündigte von Ahn im Gespräch mit dieser Redaktion an.

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    Duolingo-Chef glaubt an kostenlose Bildung für alle dank Apps und KI

    Von Ahn wurde in Guatemala geboren, er erzählt, dass er dort auf einer amerikanischen Schule war und so die Bildung der Oberschicht genoss, obwohl er aus der Mittelklasse stammt. Seine Überzeugung: Mithilfe von Apps und KI können alle Menschen Schulbildung erfahren, unabhängig von der Qualität der Schule. Auch im regulären Unterricht sollten nach seiner Überzeugung so viele technische Hilfsmittel wie möglich eingesetzt werden.

    Eine aktuelle Studie des Forschungsinstituts für Bildung und Sozialökonomie sagt voraus: „Bis in die Mitte der 2030er-Jahre wird der Lehrkräftemangel in den allgemeinbildenden Schulen voraussichtlich mindestens 115.000 Personen betragen, es können aber auch über 175.000 werden.“ Müssen Schulen also in Zukunft die fehlenden Lehrerinnen und Lehrer durch mehr Technologie ausgleichen?

    Digitalisierung: Lehrer spielen eine wichtige Rolle

    Uta Hauck-Thum, die an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) unter anderem zu KI in der Schule lehrt und forscht, glaubt daran, dass Technologie einen großen Platz in der Bildung der Zukunft einnehmen muss. Damit könnten auch neue Lehrkräfte motiviert werden: „Wir müssen die Lehr- und Lernsituationen verändern, damit auch der Beruf des Lehrers wieder attraktiver wird“, so Hauck-Thum. Im Umgang mit digitalen Technologien habe die Lehrkraft „eine wichtige Rolle, denn sie schafft Räume, in denen Kinder lernen, sich auch in der digitalen Welt Informationen zu holen und diese zu bewerten“.

    Für die Nutzung von KI-Programmen wie ChatGPT sei eine umfangreiche sprachliche Kompetenz nötig, die zunächst erworben werden müsse, so Hauck-Thum weiter. Es gehe darum, „Kinder kompetent zu machen, damit sie sich in einer immer komplexer werdenden Welt zurechtfinden“. Doch wie ist es um den Einsatz von Lern-Apps und KI in deutschen Schulen bestellt? Diese Redaktion hat bei den Bildungs- und Kultusministerien aller 16 Bundesländer nachgefragt, bis Redaktionsschluss hatten sich dreizehn zurückgemeldet.

    KI und Lern-Apps in den einzelnen Bundesländern

    Der Tenor: Künstliche Intelligenz und Lern-Apps sind überall Thema. Bei einem Schulversuch in Bayern würden in 19 Schulen über mehrere Jahre verschiedene Konzepte für Unterricht mit KI erprobt, erklärte das dortige Kultusministerium. Aus Rheinland-Pfalz heißt es, die KI-Plattform fobizz sei angeschafft worden, immerhin mehr als 500 Schulen hätten die Lizenz schon aktiviert. Das Hessische Kultusministerium nutzt die Plattform ebenfalls, zusätzlich zu einer KI namens Fiete, die bei der Schreibentwicklung helfen soll.

    Auch Sachsen-Anhalt will den Einsatz von Fiete testen, zunächst an 35 Schulen. Aus vielen Bundesländern ist die Rückmeldung aber weniger konkret. „Das Kultusministerium geht davon aus, dass einzelne Schulen und Lehrkräfte bereits KI im Unterricht einsetzen“, heißt es etwa aus Baden-Württemberg. Erhoben würde dies aber nicht. Auch andere Länder verweisen auf die Verantwortlichkeit der einzelnen Schulen und Lehrkräfte und können keine genauen Daten bereitstellen. Bei den Lern-Apps sieht es ähnlich aus, auch hier verfügen nicht alle Länder über konkrete Zahlen.

    Digitale Lernhilfen sind relevant und bieten viele Chancen

    Ob ein Schüler also tatsächlich bereits an den Umgang mit digitaler Lerntechnologie herangeführt wird, hängt im Zweifel nicht nur von Bundesland und Schule ab, sondern von der individuellen Lehrkraft. Dabei erkennen alle Ministerien, die auf die Anfrage antworteten, die Relevanz an. „KI zu verstehen und kompetent nutzen, ist ein wichtiger Bestandteil der Bildung in der digitalen Welt geworden – und die Bedeutung wird noch deutlich zunehmen“, heißt es etwa aus dem Bildungsministerium Rheinland-Pfalz.

    Dass der richtige Einsatz viele Chancen bietet, bleibt ebenfalls unbestritten: „Der reflektierte Einsatz von Lern-Apps und KI-Anwendungen im Unterricht schafft Gelegenheit, Schülerinnen und Schülern eine personalisierte Lernunterstützung zu bieten und ihre Medienkompetenz zu entwickeln“, schreibt beispielsweise das brandenburgische Bildungsministerium. Wichtige Voraussetzung dafür: geschulte Lehrkräfte.

    Es braucht vor allem Lehrerinnen und Lehrer, die sich auskennen

    Verständnis für KI-Grundlagen, die kritische Bewertung von den Produkten und die Integration in den Unterricht sind die „Kernkompetenzen“ für Lehrerinnen und Lehrer, die das Bildungsministerium Mecklenburg-Vorpommern für die Nutzung von KI-Systemen im Unterricht voraussetzt. Etwa 31 Prozent der Lehrerfortbildungen seien im Jahr 2023 auf das Thema „Digitale Bildung“ entfallen, heißt es aus Bayern. Bremen meldet, die Fortbildungen zu generativer KI seien „rappelvoll“.

    Die größten Herausforderungen sehen die Bildungs- und Kultusministerien daher in der Schulung der Lehrkräfte und damit dem richtigen Umgang mit KI, aber auch Datenschutz- und Ethikfragen spielen eine Rolle. Eine sorgfältige Auswahl der Tools sei nötig, so der Berliner Bildungssenat. Als Ersatz für Lehrkräfte, auch da ist die Rückmeldung der Ministerien eindeutig, seien die digitalen Angebote nicht geeignet.

    KI und Lernapps sind kein Ersatz für Lehrerinnen und Lehrer

    „Lern-Apps und KI-Systeme können niemals Lehrkräfte ersetzen, sondern können einen signifikanten Beitrag zur individuellen Förderung von Schülerinnen und Schülern und zu deren personalisiertem Lernen leisten. Wenn sie als Hilfsmittel richtig eingesetzt werden, kann KI die Lehrerinnen und Lehrer entlasten und die Unterrichtsqualität gleichzeitig steigern“, schreibt etwa das Bildungsministerium Nordrhein-Westfalen.

    Die neusten digitalen Entwicklungen sind also nicht auf dem Weg, die menschlichen Lehrerinnen und Lehrer zu ersetzen. „Ich weiß nicht, ob man alles über eine App lernen kann“, erkennt auch Luis von Ahn an. „Die Lehrkraft ist nach wie vor zentral, weil gerade in dieser technologischen Welt die Beziehungsarbeit sehr wichtig ist“, meint Uta Hauck-Thum. Eine ausreichende Zahl kompetenter Lehrkräfte bleibt also weiterhin essenziell für das deutsche Schulsystem.