Berlin. Linda W. aus Sachsen reiste zur Terrormiliz IS. Irakische Soldaten fassten die 16-Jähige jetzt in Mosul. Droht ihr nun die Todesstrafe?
Linda W. ist 16 Jahre alt. In ihrem Teenager-Leben ging sie im beschaulichen Pulsnitz zur Schule, eine Stadt mit 8000 Einwohnern in Sachsen, sie wohnte gemeinsam in einem Haus mit ihrer Mutter, dem Stiefvater und dessen Tochter. Freundinnen und Nachbarn von Linda W. erklären in diesen Tagen sehr häufig in Fernsehkameras oder die Notizblöcke der Reporter, was für ein unauffälliges, fast schüchternes Mädchen Linda war. Gute Schülerin, ließ sich konfirmieren.
Jetzt droht Linda die Todesstrafe.
Vor ein paar Tagen ging ein Bild von ihr um die Welt. Das Mädchen ist umringt von irakischen Soldaten, um sie herum liegt der Schutt der Ruinen von Mossul, einst Hochburg der Terrororganisation „Islamischer Staat“. Doch mittlerweile verliert der IS Kampf um Kampf in Syrien und Irak. Soldaten nahmen Linda W. und vier andere Frauen und mutmaßliche IS-Unterstützer aus Russland, der Türkei, Kanada und Tschetschenien in einer Tunnelanlage in Mosul fest, wie sie der IS massenhaft zur Verteidigung der Stadt angelegt hatte. Angeblich sollen auch Waffen und Sprengstoff bei den Frauen gefunden worden sein.
Linda W. radikalisierte sich über Netzwerke im Internet
Linda W. trägt auf dem Foto ein schwarzes Gewand, um den Hals ein Tuch. Sie sieht erschöpft und ängstlich aus. Ein Soldat macht ein Foto mit seinem Handy. Sie führen das Mädchen vor wie eine Trophäe im Kampf gegen die Terroristen. Wird Linda W. im Irak als IS-Dschihadistin verurteilt, kann das die Todesstrafe bedeuten.
Die flüchtenden Kinder von Mossul
Die 16-Jährige sei inzwischen identifiziert worden und werde durch die deutsche Botschaft im Irak konsularisch betreut, teilte die Staatsanwaltschaft Dresden mit. Nach Informationen des „Spiegel“ besuchten deutsche Diplomaten sie sogar schon in einem Gefängnis in Bagdad. Den Frauen gehe es nach einer ersten Einschätzung der Diplomaten „den Umständen entsprechend gut“.
In Deutschland droht Prozess wegen Mitgliedschaft in Terror-Organisation
Unklar ist, ob die irakischen Behörden ein Interesse daran haben, die junge Frau im Land zu behalten und ihr in Bagdad den Prozess zu machen. Sicherheitsbeamte gehen im Gespräch mit unserer Redaktion davon aus, dass die deutsche Regierung auf jeden Fall versuchen wird, das Mädchen zurückzuholen, vor allem um ein rechtsstaatliches Verfahren sicherzustellen.
Kommt Linda W. zurück nach Deutschland, würde ein Prozess wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung eröffnet. Es wäre einer von den mehreren Dutzend Verfahren gegen die „Rückkehrer“ aus dem IS-Gebiet. Von den seit 2014 knapp 1000 ausgereisten meist jungen Menschen schätzen die Kriminalämter die Zahl der Frauen auf etwa 200, ein Fünftel. Untersuchungen der deutschen Kriminalpolizei von fast 800 deutschen Islamisten zeigt: Die ausgereisten Frauen sind deutlich jünger als Männer, im Schnitt drei Jahre. Und in einigen Fällen nehmen Frauen ihre in Deutschland frisch geborenen oder jüngeren Kinder sogar mit in Richtung „Islamischer Staat“.
Ihre Radikalität verheimlichte Linda W. vor ihren Eltern
Laut Medienberichten soll sich Linda W. Anfang 2016 verändert haben, interessiert sich für die politischen Hintergründe zum Krieg in Syrien und Irak und für den Islam. Sie hört Gebetsmusik, lebt nach den Regeln der strengen Auslegung des Glaubens. Schnell knüpft sie Kontakte zu Radikalen über die sozialen Netzwerke, gibt sich auf Facebook einen muslimischen Namen. Alles heimlich, die Eltern sollen nichts bemerken.
Dann plant sie ihre Ausreise. Am 1. Juli 2016 gibt Linda W. an, das Wochenende bei Freunden verbringen zu wollen. Als sie am Sonntag nicht nach Hause kommt, informieren die Eltern die Behörden. Die finden daraufhin eine versteckte Flugbuchung im Zimmer des Mädchens, einen Gebetsteppich sowie IS-Propaganda auf ihrem Tablet. Über Hamburg und die Türkei ist Linda nach Syrien gelangt. Was sie auf Seiten des IS im vergangenen Jahr genau getan hat, ist unklar. Belege für die Teilnahme Kampfhandlungen haben die Sicherheitsbehörden selten. Es ist eine schwierige Beweisführung.
Radikalität verspricht vielen jungen Frauen Halt
Nach Einschätzungen von Präventionsexperten ist die schnelle Radikalisierung wie bei Linda W. typisch für junge Mädchen, die zu Dschihadisten überlaufen. Auch die Manipulation über Islamisten in den sozialen Netzwerken kennen Fachleute aus anderen Fällen. Junge Islamistinnen sind „extremistische Familienarbeiterinnen“, sagte kürzlich Diana Schubert, Geschäftsführerin vom Kriminalpräventiven Rat Augsburg, im Gespräch mit dieser Redaktion. Ein ranghoher Polizist ergänzt, dass es vielen Mädchen um das Zugehörigkeitsgefühl zu einem „islamischen Staat“ gehe – darum, im „Kalifat“ einen Dschihadisten zu heiraten, Kinder groß zu ziehen und nach den strengen Vorschriften des IS zu leben.
Die Radikalität des IS verspricht Halt, rigoroses Denken drängt die Zweifel der Pubertät beiseite – aber auch die inneren Konflikte. In einem Aufsatz für eine Fachpublikation erklärt der Wissenschaftler und Chef des Bremer Landeskriminalamtes, Daniel Heinke, die Attraktivität des Extremismus auch mit dem Austesten von Grenzen junger Menschen – radikaler Islam als Form des pubertären Angriffs auf Autoritäten: Eltern, Lehrer, Gesellschaft.
Flucht aus dem IS-Gebiet ist kaum noch möglich
Doch die Ausreise zum IS ist in Deutschland ein schwerwiegendes Delikt: Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat – auch wenn die Personen nicht zur Waffe greifen. Dabei gibt es zunehmend auch Hinweise auf Gewalttaten durch IS-Frauen. Mit den militärischen Niederlagen wuchs die Radikalität des IS. Immer häufiger wurden zuletzt auch junge Kämpferinnen an die Front geschickt, etwa als Selbstmordattentäterinnen. Entsprechende Erkenntnisse gibt es bei den Sicherheitsbehörden. Terrorexperten analysieren zudem Blogs der IS-Kämpfer, auf denen zuletzt immer wieder auch Frauen als Märtyrerinnen heroisiert wurden.
Eine Flucht aus dem IS ist derzeit kaum noch möglich, die Wege Richtung Türkei sind abgeschnitten, den Menschen Geld für Schmuggler. Das gilt noch mehr für Frauen, die häufig in „Frauenhäusern“ gefangengehalten werden. Ohne Kontakt zur Außenwelt, oft der Gewalt der Männer ausgesetzt.
Zum Risiko der Jugendlichkeit gehöre dann eben auch die fatale Fehleinschätzung darüber, was es heißt, sich einer brutalen Organisation wie dem IS anzuschließen, schreibt Terrorexperte Heinke. Linda W. hat es zu spät realisiert. Ihr Dschihad endet in einem irakischen Gefängnis.