Berlin/Paris. In Frankreich könnte der Front National die Wahl gewinnen. Wie stark sind andere rechte Parteien im Rest von Europa? Ein Überblick.
Ganz Europa blickt am Sonntag nach Frankreich: Dann beginnen im Nachbarland die Präsidentschaftswahlen, bei denen ein Sieg von Front-National-Chefin Marine Le Pen denkbar ist. Wenn die Politikerin vom rechten Rand tatsächlich französische Präsidentin werden sollte, könnte dies das Ende der EU einläuten. Aber auch in Deutschland steht eine rechte Partei am Wochenende im Blickpunkt: Bei einem Parteitag in Köln will die AfD ihr Programm für die Bundestagswahl beschließen.
Die Hoffnung von Parteistrategen, das deutsch-französische Doppel werde rechten Bewegungen in Europa Auftrieb geben, geht aber womöglich nicht auf. Ein verschärfter Machtkampf und sinkende Umfragewerte machen der AfD schwer zu schaffen – und auch in anderen EU-Ländern verfehlten Rechts-Ausleger zuletzt ihre Ziele.
Schon sprechen Experten von einer „Trendwende“: Die offensichtlichen Probleme mit dem Brexit und der unglückliche Start von US-Präsident Donald Trump haben in Europa das Vertrauen in rechte Vereinfacher auch bei Wutwählern schmelzen lassen. EU-Kommissar Günther Oettinger sagte kürzlich dieser Redaktion: „Wo Demokraten keine Fehler machen, haben die Populisten in Europa ihren Höhepunkt hinter sich.“ Wunschdenken oder scharfe Analyse? Eine Bestandsaufnahme in Europa:
Deutschland: Genau drei Monate ist es her, dass AfD-Chefin Frauke Petry mit Marine Le Pen aus Frankreich und Geert Wilders aus den Niederlanden die Führungsfiguren der großen rechtspopulistischen Parteien in Koblenz empfing – und sich von Wilders loben ließ. „Europa braucht Frauke statt Angela“, erklärte der Niederländer, Petry hörte es gern.
Drei Monate später jedoch ist nicht einmal klar, ob Petry bei der Wahl im September überhaupt noch an der Spitze der AfD stehen wird. Seit die 41-Jährige kurz vor dem Bundesparteitag der AfD an diesem Wochenende erklärt hatte, dass sie als Spitzenkandidatin nicht zur Verfügung steht, ist nicht nur ihre eigene politische Zukunft offen – auch ihre Partei schlingert mehr denn je.
Landete die AfD Anfang des Jahres in Umfragen noch bei bis zu 15 Prozent – sind es inzwischen oft weniger als zehn Prozent. Über die Gründe sind sich die Wahlforscher uneinig. „Die Flüchtlingsfrage war ein Magnet für die AfD – seit die Diskussion darüber abflaut, verliert die Partei wieder in Umfragen“, sagte Forsa-Chef Manfred Güllner dieser Redaktion. Auch die Zerrissenheit in der Parteispitze verschrecke Wähler.
Das sind die Gesichter der AfD
Personen sind in der AfD nicht so wichtig
Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen sieht das anders: „Der Rückgang in den Umfragen liegt vor allem am Rechtsruck der Partei, an der Debatte um Björn Höcke, an der Positionierung in Richtung rechte Schmuddelecke“, so Jung. „Bürgerliche AfD-Wähler schreckt das ab.“
Der Machtkampf zwischen Frauke Petry und ihren parteiinternen Widersachern dagegen spiele nur eine geringe Rolle: „Bei einer Protestpartei wie der AfD sind Personen nicht so wichtig wie in anderen Parteien“, so Jung. Frauke Petry, Alexander Gauland oder andere aktuelle AfD-Politiker seien noch nie in der Liste der zehn wichtigsten Politiker Deutschlands aufgetaucht. „Die Zerstrittenheit an der Spitze ist deswegen nicht so gefährlich. „Sie interessiert den Großteil der AfD-Wähler gar nicht.“
AfD wird laut Wahlforscher bei sieben Prozent bleiben
Gut möglich also, dass die Partei am Ende mit einem scharfen, populistischen Profil aber ohne Spitzenkandidat oder Spitzenteam in den Wahlkampf ziehen wird – vertreten nur durch die 16 vordersten Kandidaten auf den Landeslisten und durch den Bundesvorstand. In beiden Fällen wäre Petry weiter im Spiel – als sächsische Spitzenkandidatin und als Parteichefin. Das hätte auch für ihre erbittertsten Gegner Vorteile. Denn: So einsam es um Petry in der Parteispitze geworden ist, sollte sie sich ganz zurückziehen, verlöre die AfD zum zweiten Mal nach Bernd Lucke ihr bekanntestes Gesicht.
Unabhängig vom Ausgang der Personalkrise rechnet Wahlforscher Jung damit, dass die AfD ihren Höhenflug hinter sich hat, aber bleiben wird: Grundsätzlich gebe es im Parteiensystem eine Berechtigung für eine rechte Partei – genauso wie für eine linke. „Die AfD dürfte auf Dauer bei sieben bis acht Prozent stehen.
Frankreich: Der Front National ist seit drei Jahrzehnten eine feste Größe in Frankreich, 2002 gelang Parteigründer Jean-Marie Le Pen spektakulär der Einzug in die Stichwahl um die Präsidentschaft. Danach schien die rechte Partei in die Bedeutungslosigkeit zu sinken. Aber jetzt versucht seine Tochter und Nachfolgerin im Parteivorsitz, Marine Le Pen, einen neuen Anlauf auf das Präsidentenamt.
Beim ersten Wahlgang am Sonntag hat sie nach Umfragen gute Chancen, es in die Stichwahl am 6. Mai zu schaffen. Dass sie im zweiten Durchgang den Sieg einfährt, ist zwar nicht wahrscheinlich, aber möglich – etwa dann, wenn der Linksaußen-Kandidat Jean-Luc Melenchon ihr Konkurrent in der Stichwahl werden sollte. Schicksalswahl für ganz Europa: Le Pen will Frankreich aus der Euro-Zone führen, ein Referendum über den EU-Austritt abhalten und die Zuwanderung stoppen.Sie heizt zwar seit der Flüchtlingskrise gezielt Ressentiments gegen muslimische Ausländer an, bemüht sich aber um ein bürgerliches Image.
Die Kandidaten der Frankreich-Wahl
Front National in Frankreich stärkste Partei
Mit Erfolg: Bei der Europawahl 2014 wurde der FN mit fast 25 Prozent der Stimmen stärkste Partei in Frankreich, auch bei anderen Wahlen holte die Partei zweistellige Ergebnisse. Der FN profitiert dabei auch von der Verunsicherung durch Terroranschläge und die schwächelnde Wirtschaft in Frankreich.
Umfragen sehen sie in der ersten Runde zusammen mit dem parteilosen Kandidaten Emmanuel Macron mit jeweils 22 bis 24 Prozent der Stimmen vorn. Würde Le Pen tatsächlich Präsidentin, wäre das ein Schock für Europa – der Euro geriete schnell in Turbulenzen. Ob die Wähler in Frankreich ein solches Risiko am Ende wirklich eingehen wollen, ist offen. Aber für einen Erfolg der Rechtspopulisten im ersten Durchgang am Sonntag dürfte es reichen.
Österreich: Die Präsidentschaftswahlen im vergangenen Dezember haben den Rechtspopulisten in der Alpenrepublik einen Schlag versetzt. Die FPÖ hatte auf den Sieg ihres Kandidaten Norbert Hofer gesetzt, der mit einer Anti-Ausländer-Kampagne Stimmung machte – in Erwartung des Triumphes waren aus ganz Europa Vertreter rechter Parteien nach Wien gereist. Doch es siegte der Grüne Alexander Van der Bellen, der entschieden für alles eintrat, was Hofer entsorgen wollte: Europa, Liberalität, Toleranz.
Allerdings: Die 46,2 Prozent für Hofer waren immer noch das beste Ergebnis, das die FPÖ jemals bei Wahlen auf Bundesebene erzielte; im Parlament ist sie mit 20 Prozent drittstärkste Kraft, polarisiert mit Parolen wie „Österreich zuerst“ und Forderungen nach einem Minarettverbot oder einem Zuwanderungsstopp.
Doch die große Koalition von SPÖ und ÖVP hat längst reagiert, zeigt eine härtere Hand gegen Asylbewerber und Ausländer. Ergebnis: Die sozialdemokratische SPÖ führt in den Umfragen und verdrängte die FPÖ auf Platz zwei.
Niederlande: Bei den Parlamentswahlen im März hatte der Rechts-Ausleger Geert Wilders vom Durchmarsch zur stärksten Kraft geträumt – am Ende verfehlte er sein Wahlziel trotz eines leichten Zuwachses deutlich. 19 Sitze entfielen auf seine PVV, 30 hatte Wilders angepeilt.
Stattdessen fuhr der rechtsliberale Ministerpräsident Mark Rutte den Sieg ein. Wilders hatte eine EU-Mitgliedschaft und den Euro infrage gestellt, hetzte in scharfen Tönen gegen Muslime und Migranten; die anderen Parteien hatten diesmal eine Koalition mit ihm von vornherein ausgeschlossen. Allerdings zeigt sich in den Niederlanden eine andere Tendenz: Wilders hat die Themen gesetzt, die andere Parteien im Wahlkampf übernommen haben. Dennoch gilt seine Niederlage allen Pro-Europäern als Hoffnungssignal.
Italien: Schon seit Ende der 80er-Jahre gibt es die rechtspopulistische und europafeindliche Lega Nord. Vor zwei Jahrzehnten begann unter Parteichef Umberto Bossi eine Blütezeit, mehrmals war die Lega Nord an Rechts-Regierungen beteiligt. Aber bei den Wahlen 2013 schaffte sie nur noch ganz knapp den Sprung ins Parlament. In der Flüchtlingskrise hat Parteichef Matteo Salvini den fremdenfeindlichen Kurs verschärft. Doch das hilft kaum gegen die starke Konkurrenz der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung, die sowohl linke als auch rechte Wähler anzieht.
Dänemark: Lange war die einwanderungs- und europakritische Dänische Volkspartei (DF) auf Erfolgskurs: Bei der Parlamentswahl 2015 fuhr sie mit 21 Prozent der Stimmen ihr bislang bestes Ergebnis ein und stützt die konservativ-liberale Minderheitsregierung.
Die stramm national orientierte DF fordert eine rigide Ausländerpolitik, frühere Regierungen haben einen Teil der Positionen übernommen. Den Brexit hat die DF begrüßt, Schlagzeilen machte sie jüngst mit der Forderung, den nördlichen Teil Schleswig-Holsteins Dänemark zuzuschlagen. Doch ein Skandal um EU-Gelder hat die Partei schwer erschüttert, in Umfragen hat sie im Vergleich zur Parlamentswahl ein Viertel der Stimmen eingebüßt.
Ungarn: Ministerpräsident Viktor Orbán hat seine konservative Partei Fidesz mit einem islamfeindlichen und europaskeptischen Kurs weit rechts positioniert. Bei den Wahlen 2018 dürfte Fidesz nach Umfragen ihre Mehrheit im Parlament verteidigen. Doch die nationalistische Jobbik-Partei, die mit Hetze gegen Roma, Flüchtlinge und Juden bei den letzten Wahlen 20 Prozent der Stimmen holte, sitzt Orbán weiter im Nacken – sie kann nach Umfragen zulegen, will jetzt zur nationalen Volkspartei werden.
Um dieses Ziel zu erreichen, will Jobbik den bislang scharfen, neonazistischen Ton dämpfen. Orbán umgekehrt buhlt um die Jobbik-Anhänger. „Stoppt Brüssel“ lautet das Motto einer von ihm initiierten Volksbefragung, die sich gegen das angebliche „EU-Diktat“ in der Wirtschafts- und Flüchtlingspolitik wehrt. So hat Politik am rechten Rand in Ungarn weiter Auftrieb.