Berlin. In der Bundesregierung gilt Donald Trump als schwer berechenbar. SPD-Chef Sigmar Gabriel nennt ihn „autoritär und chauvinistisch“.

Kanzlerin Angela Merkel lässt sich dreieinhalb Stunden Zeit, bis sie Donald Trump zum Wahlsieg gratuliert. Der kurze Gruß, den sie schließlich im Kanzleramt mit ernstem Gesicht vorträgt, ist eine sorgfältig komponierte Botschaft des Selbstbewusstseins: Merkel bietet Trump eine „enge Zusammenarbeit“ an – aber ausdrücklich auf der Basis gemeinsamer Werte, die sie dem künftigen Präsidenten gleich vor aller Welt ins Stammbuch schreibt.

Merkel spricht etwa von der Würde des Menschen unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung oder politischer Einstellung. Eine klare Anspielung auf diskriminierende Wahlkampf-Parolen Trumps, verbunden mit kaum verhüllten Bedingungen für die Zusammenarbeit.

So klingt es an diesem Tag öfter: Deutschland gratuliert höflich dem künftigen Präsidenten – aber es macht aus seinen Sorgen keinen Hehl. „Ich will nichts schönreden“, meint etwa Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). „Nichts wird einfacher, vieles wird schwieriger werden.“ Die Bundesregierung hatte sehr offen einen Wahlsieg von Trumps Konkurrentin Hillary Clinton herbeigesehnt, jetzt schwankt sie zwischen Schock und Ratlosigkeit.

Trump und Merkel werden es schwer miteinander haben

Bislang ist die Beziehung zu Trump von gegenseitiger Abneigung geprägt: Trump hat nicht nur die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin als „verrückt“ und „Katastrophe“ abgekanzelt – dass er Clinton als „Angela Merkel von Amerika“ bezeichnete, war als Beleidigung gemeint. Merkel wird das so schnell nicht vergessen.

Mit dem impulsiven Milliardär dürfte die nüchtern abwägende Kanzlerin auch menschlich schwer zurechtkommen. Umgekehrt hat Steinmeier den künftigen Präsidenten schon als „Hassprediger“ bezeichnet, vor dessen Wahlsieg ihm „echt bange“ werde.

Treffen mit Trump spätestens im Juli 2017

Und nun? Die Bundesregierung versucht es mit dem Prinzip Hoffnung: Wahlkampf sei eines, Präsidentschaft etwas anderes, heißt es. Trump werde jetzt sicher eine andere Tonlage wählen, erklären Beamte im Auswärtigen Amt. Aber vorerst herrscht viel Unsicherheit in Berlin – und die Furcht vor der „Unberechenbarkeit“ Trumps, wie es Bundespräsident Joachim Gauck ausdrückt.

Alle Versuche der Regierung, im Vorfeld Kontakt zu Trumps außenpolitischen Beratern aufzunehmen, sind gescheitert. Persönlich ist die Regierungsspitze dem Geschäftsmann ohnehin nie begegnet. „Keiner kennt Trump“, sagt ein Minister. „Es gibt wenig belastbare Verbindungen“, beklagt der Regierungskoordinator für die US-Beziehungen, Jürgen Hardt (CDU). Wann die Kanzlerin mit Trump zusammentrifft, ist unklar. Spätestens beim G20-Treffen in Hamburg im Juli 2017 wird es aber zwangsläufig zur Begegnung kommen.

TTIP-Abkommen nun wohl endgültig Geschichte

Bis dahin dominieren große Sorgen: Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat seine Experten schon die ökonomischen Folgen einer Trump-Regierung ausrechnen lassen. Wachstumseinbußen und höhere Arbeitslosigkeit in den USA werden demnach Spuren auch in Deutschland hinterlassen.

Gabriels Experten sind sicher, dass Trump „viel protektionistischer handeln“ werde. Das Aufbegehren gegen Freihandel und Globalisierung war schließlich eines seiner Schlüsselthemen. Das TTIP-Abkommen ist jetzt wohl endgültig tot.

Druck auf Deutschland wird steigen

Befürchtungen gibt es auch in der Verteidigungspolitik: Trump hat im Wahlkampf immer wieder den US-Beistand für Nato-Partner infrage gestellt, explizit auch für Deutschland. Wenn ein Land die Zusagen zu Verteidigungsausgaben nicht einhalte, würden die USA gegebenenfalls Truppen abziehen und ihren Schutz reduzieren.

Europa wird deshalb stärker selbst für seine Sicherheit sorgen müssen, womöglich bekommt die Idee einer europäischen Armee jetzt größere Unterstützung. Der Druck auch auf Deutschland, mehr Geld fürs Militär auszugeben, wird sich erhöhen. In der Regierung heißt es auch, auf Deutschland komme wohl ein stärkeres Engagement im Syrien-Konflikt zu.

Nationaler Populismus im Aufwind

Es gibt aber auch noch eine andere Sorge in der deutschen Politik: Dass nach Trumps Triumph die Empfänglichkeit für national gefärbten Populismus auch hierzulande wächst. Als erster Spitzenmann spricht das SPD-Chef Gabriel aus: Trump sei „Vorreiter einer neuen autoritären und chauvinistischen Internationalen“ und damit „auch eine Warnung an uns“, sagte Gabriel unserer Redaktion.

Die „autoritäre Internationale“ nutze die Abgrenzung von Ausländern und Flüchtlingen nur als Lockmittel für die Wähler, in Wahrheit gehe es um viel mehr: „Es geht ihnen um ein echtes Rollback in die alten schlechten Zeiten, in denen Frauen an den Herd oder ins Bett gehörten, Schwule in den Knast und Gewerkschaften höchstens an den Katzentisch.“ Zu diesen Kräften zählt Gabriel Russlands Präsidenten Putin, den türkischen Präsidenten Erdogan, in Frankreich den Front National mit seiner Vorsitzenden Le Pen oder Ex-Präsident Sarkozy – und in Deutschland die AfD.

Gabriel: Märkte müssen sich Demokratie anpassen

Trump und andere machten sich die Enttäuschung vieler Menschen über die gewachsene soziale Ungleichheit ebenso zunutze wie die gewachsene Distanz der Eliten zu den Bürgern, meint Gabriel. Wenn dem der Boden entzogen werden solle, müssten sich Deutschland und auch Europa ändern.

Es müsse Schluss sein mit Merkels Forderung nach „marktkonformer Demokratie“, stattdessen würden wieder demokratiekonforme Märkte gebraucht mit steigenden Einkommen und fairen Renten für alle.