Washington/Baltimore. Mitten in der Nacht rammt ein Schiff die Brücke im Hafen von Baltimore. Die Brücke bricht komplett zusammen, reißt Autos und Menschen mit sich ins Wasser. Die Suche nach Überlebenden läuft.

Es ist noch dunkel, als das Containerschiff „Dali“ in der Nähe der US-Metropole Baltimore in der Nacht plötzlich den Antrieb verliert. Der schwer beladene Frachter rammt einen Pfeiler der Francis Scott Key Bridge zu und bringt die vierspurige und mehr als 2,5 Kilometer lange Autobrücke zum Einsturz.

Erst mit dem Sonnenaufgang wird das Ausmaß des Kollapses richtig sichtbar: Die Bogenstreben der Brücke, die als Teil der überregionalen Verkehrsader Interstate 695 den Hafen der Ostküsten-Metropole überspannte, ragen wie ein Gerippe aus dem Wasser.

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Polizei und Rettungskräfte suchten nach dem Einsturz der Brücke im US-Bundesstaat Maryland aus der Luft und mit Tauchern im Wasser weiter nach Überlebenden. Offiziellen Angaben zufolge werden noch sechs Menschen vermisst, zwei konnten bereits gerettet werden. US-Präsident Joe Biden sprach von einem „schrecklichen Unfall“ und versprach weitreichende finanzielle Hilfe zum Wiederaufbau der Brücke. Zuvor hatte die zuständige Hafenbehörde den Schiffsverkehr dort bis auf weiteres ausgesetzt. Anscheinend half ein Notsignal der Schiffsbesatzung dabei, Schlimmeres zu verhindern.

Schiffsbesatzung meldete Stromproblem

Auf dem Schiff hatte es ersten Erkenntnissen zufolge ein Problem mit dem Strom gegeben. Der Crew sei es aber gelungen, die Behörden in Maryland mit einem Notsignal davor zu warnen, dass das Schiff die Kontrolle verloren habe. So seien die Beamten in der Lage gewesen, den Verkehr zu stoppen, damit nicht noch mehr Autos auf die Brücke gelangten, „was zweifellos Leben rettete“, sagte Biden. Es gebe keine Hinweise auf einen Terroranschlag oder eine vorsätzliche Tat, alles deute auf einen Unfall hin. Ein Ermittler der Bundespolizei FBI hatte sich zuvor ähnlich geäußert.

Man gehe davon aus, dass es sich bei den Opfern um Bauarbeiter handele, teilte Verkehrsminister Wiedefeld mit. Nach den Vermissten werde aktiv gesucht. Die Bauarbeiter auf der Brücke hatten demzufolge Schlaglöcher repariert, es habe sich nicht um Bauarbeiten an der Struktur der Brücke gehandelt. Ingenieure seien vor Ort, um den Zustand der Brücke und das Trümmerfeld näher zu untersuchen.

Neben Hilfe aus der Luft und vom Wasser aus wurde für die Rettungsaktion nach Angaben der Behörden auch Infrarot- und Sonar-Technologie eingesetzt. Auf diese Weise seien fünf Fahrzeuge unter Wasser identifiziert worden, darunter drei Autos und ein Betonmischer. Ob sich in den Fahrzeugen Menschen befanden, teilten die Behörden bisher nicht mit.

Reporterin: Brücke „im Prinzip komplett verschwunden“

Gegen 1.40 Uhr (Ortszeit) waren offiziellen Angaben zufolge erste Notrufe eingegangen. Bereits um 1.50 Uhr seien Einsatzkräfte vor Ort gewesen. Auf Videos einer Überwachungskamera, die in sozialen Netzwerken verbreitet wurden, war zu sehen, wie das Schiff einen der Stützpfeiler rammte und daraufhin große Teile der Brücke ins Wasser stürzten.

US-Medien berichteten unter Berufung auf einen örtlichen Behördenmitarbeiter, dass das Wasser an der Stelle rund 15 Meter tief sei und es starke Strömungen gebe. Die Wassertemperatur lag den Berichten zufolge am frühen Morgen bei etwas unter zehn Grad.

Eine CBS-Reporterin vor Ort berichtete sichtlich geschockt, die Brücke sei „im Prinzip komplett verschwunden“. Bei der Brücke handelt es sich um die Francis Scott Key Bridge, die über den Patapsco River führt. Die Brücke ist demnach nach dem Autor der US-Nationalhymne „The Star-Spangled Banner“ benannt und wurde 1977 eröffnet.

Blick auf die Francis Scott Key Bridge in Baltimore (Archivbild).
Blick auf die Francis Scott Key Bridge in Baltimore (Archivbild). © Patrick Semansky/AP/dpa

„Vorübergehender Antriebsverlust“ sorgt für Kursverlust

Auf dem Schiff selbst gebe es keine Verletzten, berichtete die „New York Times“. Das knapp 290 Meter lange Schiff mit dem Namen „Dali“ sollte unter der Flagge Singapurs von Baltimore nach Sri Lanka fahren, berichteten die Zeitung unter Berufung auf die Küstenwache. Das von der Chartergesellschaft Synergy Group betriebene Schiff sei von Maersk auf Zeit gechartert worden, hieß es in einer Mitteilung des dänischen Reedereiunternehmens Maersk. Darauf soll Fracht von Maersk-Kunden transportiert worden sein.

Den Angaben zufolge sei keine Besatzung oder Personal von Maersk auf dem Schiff gewesen. Maersk ist hinter MSC die weltweit zweitgrößte Containerreederei. Das Schiff sei „mit acht Knoten, also mit sehr schneller Geschwindigkeit“ auf die Brücke zugesteuert, sagte Marylands Gouverneur Wes Moore.

Wie US-Medien die See- und Hafenbehörde von Singapur zitierten, kam es zu einem „vorübergehenden Antriebsverlust“, weshalb das Schiff seinen Kurs nicht halten konnte. Die Besatzung habe vor dem Aufprall im Rahmen seiner Notfallmaßnahmen geankert, hieß es demnach in der Mitteilung. Bei der Besatzung handele es sich um eine 22-köpfige Crew, die vollständig und in Sicherheit sei. Das Schiff selbst halte nach dem Unfall seine Position und sei in einem stabilen Zustand.

Kein Einzelfall

Ein Unfall dieser Art ist selten, aber weltweit betrachtet kein Einzelfall: Erst im Februar 2024 starben in der südchinesischen Provinz Guangdong fünf Menschen, nachdem ein Frachter eine Autobrücke gerammt und teilweise zum Einsturz gebracht hatte. In Brasilien stürzte im April 2019 eine fast 900 Meter lange Straßenbrücke über den Moju-Fluss ein, nachdem eine Fähre einen der massiven Pfeiler gerammt hatte.

Im US-Bundesstaat Kentucky riss im Januar 2012 ein mit Raketenteilen für die US-Luftwaffe und die Raumfahrtbehörde Nasa beladenes Schiff eine mehr als 90 Meter lange Lücke in eine Straßenbrücke. Der Kapitän war eine falsche Route unter der Brücke gefahren, die nur für Wassersportler, nicht aber für schwere Schiffe ausgewiesen war.

Ähnlicher Vorfall in Deutschland unwahrscheinlich

Mehrere Sicherungsmaßnahmen beim Bau von Brücken über Wasserwege machen einen folgenschweren Einsturz wie den in Baltimore einem Experten zufolge in Deutschland sehr unwahrscheinlich. „Bei einer Brücke sind die Anforderungen an die statische Sicherheit noch um einiges höher als bei einem Wohngebäude“, sagte Prof. Josef Hegger vom Lehrstuhl und Institut für Massivbau der RWTH Aachen der Deutschen Presse-Agentur. Als Hochschullehrer, Tragwerksplaner und Prüfingenieur ist er Experte für Brückenbau. Wenngleich ein solcher Havariefall nie auszuschließen sei, erreiche man doch durch die Kombination verschiedener konstruktiver Maßnahmen ein Höchstmaß an Sicherheit.

„So muss der Pfeiler eine gewisse Resilienz haben, dass er nicht beim leichten Anprall schon einstürzt“, erläuterte der Fachmann. Die Bundesanstalt für Wasserbau lege etwa feste Regeln zugrunde, welcher Anpralllast Pfeiler je nach Schifffahrtsweg und Größe der dort fahrenden Schiffe standhalten müssen. Zusätzlich gebe es auch auf Wasserwegen Einrichtungen ähnlich einer Leitplanke, die einen Aufprall verhindern sollen.