Berlin. Immer mehr Initiativen engagieren sich gegen Hate Speech im Netz. Nun will auch die Tagesschau Online-Pöbler aus der Anonymität locken.

Das Phänomen ist vor allem bei Themen wie Migration und Flucht, den USA, Israel oder der Türkei zu beobachten: Sobald sich die Berichterstattung in den Medien um besonders emotional besetzte Meldungen dreht, werden die sozialen Netzwerke von Hasskommentaren überflutet. Zeitungen, Online-Portale und Fernsehsender suchen schon seit geraumer Zeit nach Möglichkeiten, der Lage Herr zu werden.

Die Tagesschau will nun mit einer Innovation in Dialog mit den Verfassern von Hasskommentaren treten. „Sag’s mir ins Gesicht“ heißt das Format, das die Kommentatoren auffordert, aus der Anonymität zu treten. Und zwar auf einer Plattform, die eine der beliebtesten für anonyme Hate Speech ist: Facebook.

Viele Internetnutzer trauen sich nicht mehr, ihre Meinung frei zu äußern

Live sollen sich dort bekannte ARD-Gesichter wie Anja Reschke und Isabel Schayani ihren Kritiker im Video-Dialog stelle, teilte der NDR am Freitag mit. „ARD-aktuell“-Chefredakteur Kai Gniffke selbst wird im ersten Live-Event der Ansprechpartner sein. Am Sonntag, den 28. Mai, ab 19 Uhr können Zuschauer mit ihm über das Thema „Glaubwürdigkeit“ diskutieren.

„Hetze, Mobbing und Pöbeleien sind an der Tagesordnung“, begründet Gniffke den Vorstoß. Auch bei der Tagesschau beobachteten die Mitarbeiter, dass viele Internetnutzer aus Angst vor Hass oft nicht mehr wagten, ihre Meinung zu äußern, so Gniffke.

Warum reagieren manche Nutzer besonders emotional?

ARD-Journalist Kai Gniffke ruft Internet-Pöbler mit seinen Kollegen zu einem Video-Dialog auf.
ARD-Journalist Kai Gniffke ruft Internet-Pöbler mit seinen Kollegen zu einem Video-Dialog auf. © dpa | Ralf Hirschberger

Die Diskussionskultur im Internet wieder zu verbessern, ist darum das erklärte Ziel der Tagesschau-Macher. Zudem wollen sie damit der Frage nachgehen, warum manche Nutzer besonders emotional reagieren und hasserfüllte Kommentare schreiben. „Würden Menschen anders miteinander umgehen, wenn sie ihrem Gegenüber ins Gesicht sähen, statt vermeintlich anonyme Hasskommentare zu schreiben? Wir glauben, ja“, meint Gniffke.

Den Rest wird das Experiment zeigen. Auf den ersten Dialog werden rasch weitere folgen – am Montag, den 29. Mai, und Dienstag, 30. Mai, ebenfalls jeweils ab 19 Uhr mit Anja Reschke und Isabel Schayani. Themen sollen dann weitere, häufig von Online-Hass begleitete Themen wie Islam und Fremdenfeindlichkeit oder die Erinnerungskultur in Deutschland sein.

Twitter entfernt nur ein Prozent der Hasskommentare

Über Hate Speech wird zurzeit auch auf Regierungsebene heiß debattiert. Erst vor wenigen Tagen hatte sich der Bundestag erstmals mit dem Gesetzentwurf von Justizminister Heiko Maas gegen Hasskommentare in sozialen Netzwerken befasst. Maas hofft, dass das Netzwerk-Durchsetzungsgesetz schnell in Kraft tritt, doch unter anderem die Ausschüsse im Bundesrat fordern Nachbesserungen der Gesetzesvorlage. Die Empfehlungen werden im Bundesrat am 2. Juni abgestimmt.

Laut einer Studie von jugendschutz.net gehen die Betreiber sozialer Netzwerke sehr unterschiedlich beim Entfernen von Hasskommentaren vor. Die Video-Plattform YouTube löscht 90 Prozent aller Hasskommentare, Facebook jedoch nur 39 Prozent und Twitter lediglich ein Prozent. Maas fordert darum eine rechtliche Regelung.

(nsa)