„Mehr Lehrer, mehr Polizisten, ein Bekenntnis zur Infrastruktur – diese Regierung könnte populär werden. Sie darf schwierige Themen aber nicht ausklammern.“

„Wenn man vorsichtig ist, kann man jedes Pferd reiten.“
Tom Clancy

Wenn vernünftige Leute handeln, gelingt schneller der Abschluss. Deshalb erfuhren Niedersachsens Bürger schon vor diesem Wochenende, wer künftig das Land regiert. Die Parteitage von CDU und SPD dürften der Koalitionsvereinbarung zustimmen.

Stephan Weil, der klare Wahlsieger, hat seine Position mit erkennbar hoher Motivation genutzt, um die Verhandlungen voranzutreiben. Personell ist ihm ein überzeugendes Angebot gelungen: Die starken Minister Olaf Lies und Boris Pistorius hält er im Kabinett, mit der engagierten Braunschweiger Bundestagsabgeordneten Carola Reimann holt er einen der besten Köpfe der niedersächsischen SPD in die Landespolitik. Schade nur, dass Peter-Jürgen Schneider, der Koalitionsräson folgend, nicht weitermacht. Der Ruhestand passt zu seinem Alter, aber nicht zu seiner Leistung als Finanzminister.

Bernd Althusmann, der Wahlverlierer, machte in schönem Pragmatismus das Beste aus der Lage. Das wird manche Verletzung aus dem Wahlkampf nicht aus der Welt schaffen, zeugt aber von Professionalität. Die neuen Gesichter im Kabinett sind eine mutige Antwort auf den Mangel der CDU an profilierten Köpfen. Gerade angesichts dieses Mangels ist es erstaunlich, dass Jens Nacke, in der Opposition ein Kraftwerk seiner Partei, auf CDU-Seite ebensowenig eine Rolle spielt wie CDU-Generalsekretär Ulf Thiele. Wie soll man es deuten? Die Rolle des Sündenbocks haben beide nicht verdient.

Programmatisch gehen SPD und CDU vieles an, was den Bürgern wichtig ist. Mehr Lehrer für verlässlichen Unterricht an unseren Schulen, mehr Polizisten und Zuarbeiter für die Sicherheit, ein klares Bekenntnis zur Verkehrsinfrastruktur, namentlich zu A39 und Weddeler Schleife – diese Regierung könnte sehr schnell populär werden. Voraussetzung ist, dass die Koalition liefert, was sie versprochen hat. Einfach wird das nicht. So stehen ausgebildete Polizisten und Lehrer nicht vor den Personalbüros Schlange. Vielfach müssen sie erst ausgebildet werden. Da lohnt sich der Blick auf die Kapazitäten an Hochschulen und Akademien, da muss noch einiges zur Steigerung der Attraktivität der neuen und der bestehenden Arbeitsplätze geschehen.

Über alles gesehen spricht aus der Koalitionsvereinbarung sympathischer Pragmatismus. Das 138 Seiten starke Werk bildet die wichtigsten Themen meist ohne ideologische Überhöhung ab. Und offensichtlich haben beide Partner wahrgenommen, dass in Niedersachsen manches besser klappen könnte. So war die Bündelung der Zuständigkeiten beim Digitalausbau überfällig; das bisherige, so abschreckende wie umständliche Nebeneinander kostet unser Bundesland Zeit und Chancen.

Umso unverständlicher ist, dass auch die neue Supermacht im Landtag offensichtlich nicht die Absicht hat, die unsinnigste Verwaltungsreform der Landesgeschichte zu revidieren. Kaum jemand bestreitet noch, dass die Abschaffung der Bezirksregierungen ein schwerer Fehler war. Die Einsparungen, die sich der damalige Ministerpräsident Christian Wulff versprach, blieben im Wesentlichen im Stadium der Behauptung. Dagegen wird der Verlust der Verwaltung an Koordinationsfähigkeit überall beklagt – von Unternehmern wie von Kommunen oder Hochschulen.

Die Vereinbarung der künftigen Koalitionspartner bleibt nicht nur in diesem Punkt unklar. Auch die Ausführungen zur Zukunft der Kommunen sind von einer Unverbindlichkeit, die nichts Gutes ahnen lässt. Der dort angekündigte Feldversuch zur Neuordnung der Verwaltungen erscheint als Ausdruck der Ratlosigkeit – wer sich an eine große Aufgabe nicht herantraut, verschafft sich mit solchen Projekten ein preiswertes Alibi. Ein strukturell schwer benachteiligter Landkreis wie Helmstedt wird dadurch nicht gesünder.

Jede neue Regierung braucht die „quick wins“ – Projekte, die schnell vorzeigbare Ergebnisse zeitigen. Aber wenn eine Große Koalition die Chance auf grundlegende Weichenstellungen nicht nutzen würde, bliebe sie den Bürgern den Beweis schuldig, dass sie über den nächsten Wahltag hinausdenkt. Schon der rot-grünen Koalition, die mit nur einer Stimme Mehrheit regierte, durfte man ihre Zögerlichkeit kaum nachsehen. Die rot-schwarze Riesenmehrheit steht in der Pflicht.

Dürfen wir hoffen, dass die Koalitionsvereinbarung nur eine Momentaufnahme ist? Oder müssen wir uns über weitere Jahre bei komplizierten Themen die Ausrede anhören, dass „so etwas nicht von Hannover aus gemacht werden kann“? Die Regierung ist gut beraten, wenn sie den Schwung des Anfangs nutzt.

Immerhin, und da kann man als Niedersachse ein wenig stolz sein, arbeiteten unsere Landespolitiker an der Einigung – und nicht an der gegenseitigen Demontage. Ein angenehmer Kontrast zur Berliner Szenerie.

Vielleicht widerlegen CDU, CSU, FDP und Grüne im Bund ja noch die Skeptiker, die längst mit Neuwahlen rechnen. Die würden nicht nur über 90 Millionen Euro, sondern auch wertvolle Zeit kosten. Möglicherweise sollten wir Andrea Nahles’ enervierende Serien-Deklamationen der SPD-Verweigerung als Anfeuerungsrufe deuten?

Es ist jedenfalls schwer auszuhalten, dass die SPD-Linke trotz ihres Anteils an der Wahlniederlage das Bild der Bundespartei beherrscht, während Realpolitiker aus der erfolgreichen Niedersachsen-SPD bald auf die parlamentarische Hinterbank wechseln. Sigmar Gabriel als einfacher Abgeordneter? Schade um einen sehr guten Außenminister.