„Die meisten Kandidaten werden das Parlament bestenfalls als Mitglied einer Besuchergruppe betreten. Es sind bemerkenswert engagierte Menschen.“

„Ich hatte keinen festen Glauben,
außer daran, dass unsere Sache gerecht und sehr stark war und mehr und mehr Unterstützung finden würde.“
Nelson Mandela

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Was wundern wir uns über Pöbelei, gefälschte Nachrichten und wüste Propaganda im Internet? Warum stören wir uns noch an diesem Himalaya-Massiv von Häme und Herablassung? Vielleicht ist dies ja einfach das Zeitalter der Rechthaberei, der rücksichtslosen Ego-Befriedigung, der Abwesenheit jeglichen Respekts vor dem Mitmenschen. Der ist im Netz ja so angenehm anonym, wie der Avatar beim Killerspiel.

Nun: Wir stören uns, weil die Pöbler, Hetzer und Hyänen ihre Freiheit gebrauchen und ihre Verantwortung missachten. Wir stören uns, weil eine verschwindend kleine Gruppe von Verbal-Heckenschützen die Diskussionskultur belastet und denen zusetzt, die ihr Gesicht zeigen, die sich exponieren, die Verantwortung übernehmen.

Das Internet ist ein grandioses Kommunikationsmittel. Und die allermeisten nutzen es sinnvoll und kultiviert. Welche Jugendfußballmannschaft wäre ohne Whatsapp und seine Geschwister noch zu organisieren, wenn irgendwie immer ein Spieler gerade Schule hat? Wie viele wunderbare Diskussionen finden wir in den Foren, in denen sachverständige Menschen konstruktiv debattieren? Es steht besser um die Diskussionskultur, als man meinen möchte. Auch im Netz.

Dennoch ist der Tag vor der Bundestagswahl die beste Gelegenheit, denen Respekt zu zollen, die sich mitten ins Gefecht geworfen, die sich dem Wahlkampf gestellt und den Verächtern Angriffsfläche geboten haben, als Kandidaten, Parteimitglieder, Wahlkampfhelfer. Denn sie haben sich zum Engagement für unsere Demokratie entschlossen, haben organisiert und für politische Konzepte argumentiert, damit wir die Wahl haben. Wir haben die Kandidaten in den Fußgängerzonen und Veranstaltungssälen gesehen, bei Sturzregen und Sonnenschein, täglich bis in die Nacht hinein. Das waren keineswegs nur die Vertreter großer Parteien mit konkreter Aussicht auf ein Parlamentsmandat. Die allermeisten Kandidaten werden das Parlament bestenfalls als Mitglied einer Besuchergruppe betreten. Es sind bemerkenswerte Menschen, denen es um die Sache geht – und von denen man nach durchkämpften Wochen noch ein heiseres „Hat Spaß gemacht!“ hören kann.

Mit Kanzleramtsminister Peter Altmaier hat sich einer der einflussreichsten Politiker unseres Landes zu der Aussage verstiegen, Nichtwählen sei besser, als die Stimme einer ihm missliebigen Partei zu geben. Er hat unrecht und schadet seiner Partei. Denn Politik funktioniert nicht in Gegnerschaft, sondern im Wettbewerb – die allermeisten Bürger entscheiden sich für die Lösung und nicht gegen das Feindbild. Wer wie der Harzer Abgeordnete Rudolf Götz wenige Tage vor der Bundes- und gut drei Wochen vor der Landtagswahl ein nicht ausermitteltes Verfahren gegen zwei Flüchtlinge thematisiert, spielt mit Vorurteilen – und tut damit genau das, was sein Parteifreund Altmaier an der neuen Rechten kritisiert. Es ist gut, dass wir sagen können: Solche Beiträge waren in diesem Wahlkampf selten.

Demokratische Freiheit ist ein Gut, das durch Nichtgebrauch verdirbt. Egal, für wen wir uns am Sonntag entscheiden: Wir dürfen uns frei entscheiden, wem wir die Lenkung unseres Landes anvertrauen wollen und sollten es tun, auch wenn Café und Couch locken! Die Freiheit der Wahl trägt eine Verantwortung in sich, der wir an diesem Wochenende gerecht werden können. Und: Durch unsere Teilnahme zeigen wir den Kandidaten, dass wir zu schätzen wissen, was sie für unser Land auf sich genommen haben.