„Solidarität ist eine großartige Sache. Juristisch ist sie nicht eindeutig fassbar.“

Solidarität ist ein großes Wort. In ihrem Namen wurden Ungarn und die Slowakei per europäischem Gerichtsurteil verpflichtet, sich am Umverteilungsprogramm für Flüchtlinge zu beteiligen. So weit, so schlecht. Denn die Notlage, auf die sich die Bundeskanzlerin beruft, um ihren Beschluss zur Aufgabe der Grenzkontrollen zu rechtfertigen, entstand dadurch, dass Italien und Griechenland seit Jahren mit der Flüchtlingsproblematik alleingelassen wurden. Der Beschluss der EU-Innenminister, 120 000 Menschen aus beiden Ländern auf andere Mitgliedstaaten zu verteilen, mag formaljuristisch korrekt gewesen sein. Sinnvoll war er nicht. Das ist daran zu erkennen, dass bis heute nicht einmal 30 000 Flüchtlinge umgesiedelt wurden.

Auch weil Ungarn, Slowaken oder Polen nicht die einzigen waren, die keine Flüchtlinge aus dem Verteilprogramm wollten. Die meisten haben sich einfach weggeduckt. Und wer jetzt an Mittelkürzungen für die Widerspenstigen denkt, sei daran erinnert, dass es sich nicht um Almosen, sondern um rechtlich verbindliche Investitionen handelt, die vor allem auch Firmen aus dem Westen günstige Standortbedingungen inklusive gut ausgebildeter und weniger gut bezahlter Arbeitnehmer bieten. Solidarität ist eine großartige Sache. Juristisch ist sie nicht eindeutig fassbar. Wird sie wie im Fall der Flüchtlingsfrage herangezogen, um unsolidarische Entscheidungen nachträglich zu rechtfertigen, tut man der europäischen Idee keinen Gefallen.