„Eine kleine Gruppe hat kein Interesse an der Demokratie. Diese Leute ersetzen Argumente durch Brandsätze. In Hamburg zerstörten sie die Chance zur Diskussion.“

„Gewalt ist die letzte Zuflucht des
Unfähigen.“
Isaac Asimov

Armin_Maus_Portraits_517_frei

Ausgerechnet das „Manager-Magazin“ zeigte Verständnis für die Kapitalismus-Kritiker. Zum Hamburger G20-Gipfel schrieb dessen Finanz- und Immobilienspezialist Christoph Rottwilm, der Club der Stärksten der Weltwirtschaft habe „keine Moral, keine Vernunft, keine Gemeinschaft“. Ein Wirtschaftssystem, das auf das Gegeneinander gegründet sei, bleibe den Nachweis schuldig, dass es am Ende dem Gemeinwohl diene.

Rottwilms Text ist ein Beleg dafür, dass nicht nur bei Attac kritisch über die globale Wirtschaftsweise nachgedacht wird. Ein System, das Kriegstreiberei mit steigenden Aktienkursen honoriert, muss hinterfragt werden. Wenn, wie aus einer Studie der Hilfsorganisation „Oxfam“ hervorgeht, acht Männer so viel besitzen wie die gesamte ärmere Hälfte der Weltbevölkerung, kann niemand mehr ernsthaft von Gerechtigkeit sprechen. Innerhalb Deutschlands ist die Lage übrigens nicht viel besser: Hier besitzen 36 Milliardäre so viel wie die ärmeren 50 Prozent der Bürger zusammen.

Die Verteilung des Wohlstands in der Welt und innerhalb der Staaten ist in Schieflage. Über diese Schieflage muss gesprochen werden. Der Gipfel von Hamburg wäre eine Gelegenheit gewesen. Die meisten der 20 wichtigsten Industrie und Schwellenländer sind Demokratien. In diesen Ländern geht es nicht nach dem Willen von Zentralkomitee und Nomenklatura, sondern nach dem Willen des Volkes, kundgetan in freien, gleichen und geheimen Wahlen und Abstimmungen. Diese Willensbildung ist nicht bloß eine Lehrbuch-These. Sobald sich Bürgerinnen und Bürger für ein Thema erwärmen, ändert sich Politik. Umwelt, Atom, Asyl, Bildung, Steuern – zahlreich sind die Beispiele für drastische Kurswechsel aufgrund von Wahlentscheidungen der Bürgerinnen und Bürger.

Eine kleine Gruppe von Menschen jedoch hat kein Interesse, an der demokratischen Willensbildung mitzuarbeiten. Diese Leute ersetzen Argumente durch Brandsätze, die Arbeit im Ortsverein durch Gewalt gegen Polizisten. In Hamburg zerstörten sie die Chance zur Diskussion.

Zehntausende hatten für eine gerechtere und umweltschonendere Weltökonomie demonstriert. Doch wer nahm es wahr? Zeitungen und Nachrichtensendungen waren voll vom Bürgerkrieg, den Chaoten im Hamburger Schanzenviertel vom Zaun brachen. Für Argumente blieb angesichts dieser Dramatik wenig Raum.

Das Ergebnis ist in mehrfacher Hinsicht verheerend. Hamburger Bürger erlebten, dass der Staat sie nicht vor dem Mob schützt. Das Vertrauen in Politiker wie den allzu blauäugigen Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz wurde schwer erschüttert. Fast 500 Polizisten trugen zum Teil schwere Verletzungen davon – die Zahl der Festnahmen blieb deutlich darunter. Und die Weichenstellungen bei diesem Gipfel, der ein informeller Meinungsaustausch ist und dennoch einige Wirkung entfaltet, wurden in der breiten Öffentlichkeit kaum noch wahrgenommen. Ist es Übertreibung, wenn man folgert, die Schläger, Plünderer und Brandstifter hätten alles getan, um eine Diskussion über unsere globale Ökonomie zu verhindern?

Wie geht Deutschland mit der traumatischen Erfahrung von Hamburg um? Wie konsequent verfolgen Politik und Sicherheitsbehörden eine Szene, die sich über den Gewaltakt definiert? Nach dem Krawall-Gipfel gab es kaum noch jemanden, der sich vor den „schwarzen Block“ stellen wollte. Auch ganz links nicht. Die Frage ist nur: Wie ehrlich ist die Distanzierung? Wie viel heimliche Sympathie für Anarchisten und Umstürzler bleibt? Ist der RAF-Terrorist Karl-Heinz Dellwo, Veteran der Hamburger Hausbesetzerszene, allein, wenn er nach dem Gipfel in einem Blogbeitrag schreibt: „Ist der Riot auch das, womit man sich nicht identifizieren kann, so ist es doch falsch, sich von ihm zu distanzieren. Denn er enthält etwas, was über ihn hinaus geht und zu verteidigen ist.“

Nichts rechtfertigt den Abschuss von Stahlkugeln auf Polizisten und Brandschatzung. Niemand darf das Recht in die eigenen Hände nehmen. Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius sagt in unserem Interview, alleine 400 sogenannte Autonome aus Niedersachsen könnten an den Ausschreitungen in Hamburg beteiligt gewesen sein. Wie viele von ihnen werden zur Rechenschaft gezogen werden?

Demokratie geht nur im Rechtsstaat, der Rechtsstaat aber funktioniert nicht, wenn einzelne Gruppen das Gewaltmonopol des Staates angreifen. Eine Demokratie, in der Faustrecht ungestraft bleibt, muss große Probleme bekommen.

Die Frage ist insofern weniger, ob es klug war, den Gipfel in eine Großstadt einzuladen. Der Staat darf nicht vor Chaoten zurückweichen; es wäre armselig, wenn Staatschefs nur noch in Diktaturen oder entlegenen Seebädern tagen könnten.

In Hamburg hatten die gewaltbereiten Kräfte aus Deutschland und halb Europa viel zu viel Bewegungsspielraum. Ein genehmigtes Protest-Camp als Aufmarschplatz, ein „Autonomes Zentrum“ als Schutzraum für Strategieentwicklung? Es kann nicht sein.

Die Lektion von Hamburg lautet: keine Nachsicht mit Gewalttätern. Sie werden Menschen so lange in Gefahr bringen, wie der Staat sie gewähren lässt. Unpolitische Fußballchaoten in unserer Region bekamen Besuch von Polizeikräften. Deutsche und europäische Sicherheitskräfte sollten auch den Brandstiftern von Hamburg mit aller Härte nachsetzen.