„Wer hier Schmalspur fahren will, wird an der ersten Steigunghängenbleiben.“

„Die größte Gefahr im Straßenverkehr sind Autos, die schneller fahren, als ihr Fahrer denken kann.“
Robert Lembke

Armin_Maus_Portraits_517_frei

Manche sagen, sie hätten es kommen sehen. Otto Ferdinand Wachs, unter Carl Hahn beim Volkswagen eingetreten, unter Ferdinand Piëch zum Kommunikationschef des Konzerns aufgestiegen, dann Geburtshelfer, Gestalter und Gesicht der Autostadt, verlässt den Fahrersitz. Was steckt dahinter? Was verrät dieser Wechsel über den weltgrößten Autohersteller?

Wachs ist ein loyaler, ausgesprochen diskreter VW-Mitarbeiter. Aber er pflegt seine Meinung zu sagen, höflich und wohlabgewogen, aber ohne Angst vor großen Tieren. Wachs gehört zum Kreis derer, denen selbst der als sehr kritisch geltende Piëch zuhörte. Hätte der vielbeschworene Kulturwandel bei Volkswagen nicht Rückenwind für diesen Querdenker bedeuten müssen?

Im VW-Konzern hat man gelegentlich unterschätzt, welchen Beitrag die Autostadt zum Bild Volkswagens in der Öffentlichkeit leistet. Gerade weil hier nicht Produktwerbung, nicht Vertrieb im Mittelpunkt steht, gab die Autostadt dem ehemals biederen Industrieunternehmen Glanz. Wo sich Produktwerbung in der Flüchtigkeit elektronischer Verbreitung gerne mal „versendet“ stiftet die Autostadt Beziehung mit Millionen von Menschen, ganz direkt, persönlich, körperlich. Dies Erlebniswelt sorgt im besten Sinne für Aufsehen. Da ist, natürlich, die Überhöhung des Autos zum Kultobjekt mit den Mitteln der Architektur. Das Forum, die Türme, sie wirken wie Kult-Orte eines Zeitalters, in dem sich die Religionsgemeinschaften aus dem Zeichen setzenden Bauschaffen zurückgezogen haben. Diese Architektur ist mit höchstem Qualitätsanspruch realisiert worden. Fast mühelos behauptet sich die Autostadt gegen ihren Nachbarn Phaeno, die Schöpfung des Architektur-Weltstars Zaha Hadid – was zeigt, wie stark der Henn-Entwurf tatsächlich ist. Vergleichbares gibt es im Kontext der Autoindustrie nirgendwo auf der Welt, in jedem anderen müsste man lange suchen.

Mit 430 Millionen Euro kann man einen grandiosen Rahmen schaffen. Ohne Zweifel wäre die Autostadt der Vision des großen Automannes Ferdinand Piëch nicht so nahe gekommen, wenn Wachs sie nicht entwickelt und mit Leben erfüllt hätte.

Der Auftrag, so hat er zu einem Jubiläum der Autostadt gesagt, lautete: Holen Sie die Welt nach Wolfsburg. Und so geschah’s. Große Tanzkunst und Weltstars der Musik bei Movimentos. Große Geister von globalem Rang im philosophischen Diskurs. Liebevoll inszeniertes Lernen für Kinder aus der ganzen Republik. Smarte Technik im „Level Green“, welche die Nachdenklichkeit über die ökologischen Folgen der Industriezivilisation stützt – deren wesentlicher Antreiber das Auto ist. Dazu hochklassige Gastronomie mit Nachhaltigkeitsanspruch – selbst eine Öko-Bachmanufaktur fehlt auf dem Campus nicht. Für die Stadt Wolfsburg ist dieser Park ein Jahrhundertgeschenk. Plötzlich war sie nicht länger nur Industriezentrum, sondern ein bedeutendes touristisches Reiseziel.

Wachs führte die Autostadt, als sei er nicht Geschäftsführer, sondern Unternehmer. Sein Perfektionsanspruch ist Legende, seine Identifikation mit dem Projekt auch. Wer Otto Wachs ohne den Autostadt-Aufnäher auf dem Anzug treffen wollte, musste ihm schon auf sehr privatem Terrain begegnen. Als gelernter Kaufmann nahm er die Rolle Kunst-Impresarios so selbstverständlich ein wie die des Gastronomie-Managers oder des staatstragenden Repräsentanten eines Weltkonzerns. Wachs wäre übrigens der Erste, der auf die Rolle des Teams hinweist. Über 1000 Mitarbeiter hat die Autostadt. Ohne sie läuft nichts.

Die Liste derer, die Wachs über 21 Jahre Rückhalt gaben, ist lang und prominent besetzt. Sie trägt Namen wie den Piëchs, des Betriebsratschefs Bernd Osterloh oder des Aufsichtsratsvorsitzenden Hans Dieter Pötsch. Pötsch und der Vorstandsvorsitzende Matthias Müller kamen persönlich, um die Mitarbeiter der Autostadt über Wachs’ Abgang zu informieren. Die Nachrede ist unzweideutig positiv – Wachs sei „beispielgebend“ für das Unternehmen, steht in der Pressemitteilung.

Aber: Wachs ist nicht amtsmüde und mit seinen knapp 60 Jahren offenkundig auch nicht bereit zum Ruhestand. Und doch geht er. Ist unter dem Eindruck der Krise doch mehr Stromlinienform gefragt, als Wachs anzunehmen bereit war? Er hat in seinen mehr als 30 Jahren bei VW Haltung gezeigt, er blieb sich treu, wenn andere in Deckung sprangen oder sich bis zur Unkenntlichkeit verbogen.

Der Konzern steckt sehr viel Kraft in seinen Umbau. Aus der positiven Entwicklung der Verkaufszahlen bei der Marke Volkswagen und aus der Ertragsstärke des Konzerns mag man schließen, dass die Kraft Wirkung zeigt. Doch würde dieses große und trotz aller Anfechtungen zukunftsträchtige Unternehmen die Autostadt zu einer PR-Plattform verballhornen, wäre nicht nur ein beeindruckendes Lebenswerk in Gefahr. Volkswagen würde sich einer Chance berauben, glaub- würdig mit einer neuen Generation ins Gespräch zu kommen, die sich um gute Lebensführung mehr Gedanken macht als über Pferdestärken.

Die Neuen in der Geschäftsführung haben einen guten Namen, das lässt auf Kontinuität hoffen. Wer auch immer den Wechsel betrieb, muss wissen: Otto Ferdinand Wachs hat Verantwortung für das Projekt Autostadt übernommen. Wer hier Schmalspur fahren wollte, würde an der ersten Steigung hängenbleiben. Betriebsratschef Bernd Osterloh verband seine Würdigung für Otto Wachs mit einer Art Garantie-Erklärung für die Autostadt. Ungewöhnlich, aber beruhigend.