„Auch die Fische des Königs haben Gräten.“ Italienische Volksweisheit

Wir wollen Sie hier nur ungern mit Erinnerungen an Karpfen quälen, jenen Speisefisch, der in manchen Regionen als Festspeise arriviert ist, das brackige Aroma und die unbeherrschbare Grätenzahl nicht achtend. Das Thema scheint wichtig zu sein. Es hat mit Martin Winterkorn zu tun und vielleicht auch mit der Lust manches Zeitgenossen an der schlechten Nachricht.

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Die klugen Japaner haben den Karpfen kulinarisch unschädlich gemacht, indem sie ihn zur Zierde züchten. Je nach Zeichnung und Größe kann er dann sechsstellige Summen kosten oder auch nur ein paar Euro. Man sollte ihn niemals „Koi-Karpfen“ nennen, denn die Menschen im Lande des frisch entthronten Weltmarktführers Toyota würden uns dies als „Karpfenkarpfen“ übersetzen.

Der Koi dient dieser Tage als Chiffre für Hybris des Volkswagen-Konzerns und seines ehemaligen Lenkers; Ausfluss des beheizten Koi-Beckens in der VW-Dienstvilla zu Groß Schwülper war eine wahre Schlagzeilenflut. Denn das Becken wurde sozusagen mit den Mitteln des Volkes beheizt. Die Temperierung an sich ist so sensationell nicht, weil man den Koi ja schlecht in der Dienstbadewanne überwintern kann und die lieben Fische andernfalls ab Januar kieloben treiben würden.

Die Frage ist eher, warum Volkswagen es immerhin bis 2014 für nötig hielt, seinen Topmanagern zum sieben- bis achtstelligen Gehalt auch noch Karpfenheizung, atemberaubende Altersversorgung und mache andere Wohltat hinterherzuwerfen. Unser Faktencheck hat zwar ergeben, dass manche Skandalmeldung schlecht recherchiert war – siehe die Quadratmetermiete von fünf Euro, die faktisch dann doch wesentlich höher war. Aber warum die schrankenlose Rundumversorgung, die nicht nur die Belegschaft irritiert? Der Steuerzahler hat den Luxus mitbezahlt, weil Betriebsausgaben die Steuer mindern. Politiker wollen nun eine Grenze ziehen. Recht so. Doch die Bewilliger – darunter Ministerpräsidenten und Wirtschaftsminister Niedersachsens – und die Nutznießer dieser Überversorgung hätten gut daran getan, sich aus eigener Klugheit zu bescheiden. VW und seine Gremien sollten sich nun offensiver erklären. Die Aussage, zu Vertragsbestandteilen äußere man sich nicht, führt nur zu weiterer Selbstbeschädigung.

Die peinlichen Details aus Volkswagens Vergangenheit haben die unangenehme Eigenschaft, gute Ergebnisse der Jetztzeit zu überschatten. Toyota ist als Weltmarktführer passé, die Aufarbeitung des Diesel-Betrugs macht Fortschritte, in den Werken zeichnen sich zukunftsträchtige Entwicklungen ab, die der Zukunftspakt vorzeichnet.

Aufarbeitung ist die Voraussetzung für den Schlussstrich. Erst dann wird man einen Mann wie Martin Winterkorn, der diese Woche zum ersten Mal seit langer Zeit wieder öffentlich auftrat, seinen Fehlern UND seinen Leistungen entsprechend beurteilt werden. Und erst dann werden beeindruckende Leistungen ungeschmälerte Beachtung finden wie die des Teams der Braunschweiger VW Financial Services. Da haben Management, Mitarbeiter und Partner der Krise einen Rekord-Ertrag abgetrotzt; der Vorstand um Lars Henner Santelmann präsentierte den Erfolg beim Jahresempfang in schönem Teamgeist. Ähnliches lässt sich über die Autostadt sagen, die sich der digitalen Autowelt stellt und bescheidener, aber unverändert nachhaltig ihre Arbeit als VW-Botschafter leistet. Wenn so der neue Geist des Autobauers aussieht, kann die VW-Region froh sein.

Àpropos froh: Die entspannte Stimmung beim Neujahrsempfang der Industrie- und Handelskammer Braunschweig mag mit Goslars wunderschöner Kaiserpfalz zu tun gehabt haben. Sie speist sich aber auch aus dem wachsenden Bewusstsein der eigenen Stärke – und einem neuerdings erstaunlich kraftvollen Wir-Gefühl. Es hat auch die ehemals kontaktarmen Kammern aus Braunschweig und Wolfsburg-Lüneburg erfasst.

Ministerpräsident Weil artikuliert nicht nur Artigkeit, wenn er unserer Region gute Chancen nachsagt. Man darf die Höflichkeit erwidern, ohne rot zu werden: Auch stramm Konservative bestätigen der Regierung Weil, dass sie mehr für die Verbesserung der Infrastruktur unserer Region tut als ihre Vorgänger.

Kunststück mag man rufen, angesichts der Steuerflut. Aber auch die will in die rechten Kanäle geleitet werden. Finanzminister Schneider schützt seine Kabinettskollegen mit Festigkeit und Phantasie vorm Übermut. Niedersachsen kam schon 2016 ohne neue Schulden aus, Schneider verkündete es erst nach den Haushaltsberatungen. Einziger Mitwisser soll Weil gewesen sein. Ein Schlitzohr...

Die Ingenieur-Region, von der Kammerpräsident Helmut Streiff sprach, könnte die Quelle moderner Mobilitätslösungen von weltweiter Relevanz werden. Wer verstehen will, welches Potenzial allein das selbstfahrende Auto hat, sollte nicht bei Google fragen, sondern bei Prof. Karsten Lemmer in Braunschweig – hier bei uns verstehen sie mehr vom Thema als sonst irgendwo. Zum Reinblättern empfohlen: diese sehr gut verständliche Präsentation Lemmers (zum Ansehen hier klicken).

Ein Quell der Freude ist ja der Neid der anderen. Mit freudiger Erregung entnahmen wir der „Hannoverschen Allgemeinen“ einem Bericht zur Laune an der Leine: Man hatte auch dort feststellt, wie viel besser die Region Braunschweig-Wolfsburg in allen wesentlichen Kennzahlen abschneidet. Die Replik aus der Landeshauptstadt wirkte etwas zittrig. Die Wirtschaftsräume könne man ja eigentlich gar nicht trennen, hieß es. Da zeigt der Hiesige Größe und stimmt milde lächelnd zu.