„Der Konzern sollte seine Fähigkeitenselbstbewusst präsentieren. Der Gang in Sack und Asche wäre genauso falsch wie die alte Selbstüberhöhung.“

„Dein Stolz hat eine Mauer gebaut, so stark, dass ich sie nicht durchdringe. Gibt es wirklich keine Chance von vorne anzufangen?“ (Scorpions, „Still Loving You“)

Diese Woche war sich der niedersächsische Landtag einig. Ein seltenes Ereignis, das auch deshalb Beachtung verdient, weil’s im Gleichschritt gegen Volkswagen ging. CDU-Fraktionschef Björn Thümler nannte die Aussagen von Vorstandschef Matthias Müller zum Kaufverhalten deutscher Kunden eine schlimme Entgleisung. Seine Grünen-Kollegin Anja Piel machte bei Teilen der VW-Spitze Arroganz aus. Und SPD-Fraktionschefin Johanne Modder tadelte mit Blick auf den Personalabbau, dass nicht die Mitarbeiter Schuld an Dieselgate hätten.

VW-Markenchef Herbert Diess hatte seine Pressekonferenz zur VW-Strategie zeitgleich mit der Landtagsdebatte angesetzt. Das war nicht wirklich diplomatisch und dürfte die Hitze gesteigert haben, zumal sich die Abgeordneten notorisch schlecht informiert fühlen.

Die Frage ist nur, ob schrille Töne der Lage angemessen sind. Natürlich muss immer wieder klar gesagt werden, dass die Verantwortung für die Schwierigkeiten nicht bei den Arbeitnehmern liegt. Den Betrug haben Manager initiiert und gedeckt, der Vorstand hat ihn nicht verhindert und ist den Hinweisen nur zögerlich nachgegangen. Deshalb haben Spitzenmanager ihren Job verloren.

Die Aufseher des Konzerns haben ebenfalls keine gute Figur gemacht. Darunter waren die Vertreter der Landesregierungen, mit Parteibüchern der SPD, der CDU und der FDP. Wer mit dem Finger auf die Versäumnisse der anderen zeigt, wirft zwangsläufig Fragen nach seinen eigenen Fehlern auf...

Der Nachtarock gehört zu den beliebtesten politischen Übungen, bringt aber in der Sache selten weiter. Der „Zukunftspakt“, den VW-Management und -Betriebsrat geschlossen haben, weist nach vorn. Dieser komplexe Vertrag verdient differenziertere Betrachtung. Nicht wegzudiskutieren ist, dass die Einschnitte schmerzhaft werden. Aber unter den obwaltenden Umständen verspricht der Pakt Milderung. Zunächst ist bemerkenswert, dass der Vertrag zustande kam. Im Grunde ist er das Produkt einer Vertrauenskrise. Der Betriebsrat fühlte sich vom VW-Markenchef an der Nase herumgeführt und forderte Klarheit über dessen Pläne. Es ist wenig verwunderlich, dass Diess wenig Bedarf spürte. Personalvorstand Blessing, vor allem aber Konzernchef Müller blickten weiter: In Partnerschaft zwischen Management und Arbeitnehmern ist VW noch immer am besten gefahren.

VW braucht den Sachverstand der Arbeitnehmer, eine Sanierung von oben wäre die deutlich schlechtere Alternative. Denn es geht um eine grundlegende Neuordnung. Die Rolle von Konzernchef Müller ist dabei sehr viel positiver, als flüchtige Beobachter glauben. Da findet eben nicht nur das irritierende Interview statt, das Fragen nach der Beratungsqualität aufwirft, sondern auch sehr viel kluge Führungsarbeit hinter den Kulissen. Die ist für die VW-Beschäftigten und unsere Region deutlich wichtiger.

Die Krise der Marke Volkswagen ist nicht nur das Resultat von Dieselgate. Herbert Diess hat früh auf die viel zu hohen Kosten des Apparats hingewiesen. Der war stark gewachsen, weil Volkswagen in Zeiten des Höhenfluges mit Stückzahlen gerechnet hatte, die nicht annähernd erreicht wurden. Es geht um Hunderttausende von Fahrzeugen. Wenn die produktionsfernen Bereiche nun dem Bedarf angepasst werden, hat das weniger mit Abgasbetrug als mit Planungsfehlern zu tun. Die sollen ja auch in der Politik vorkommen.

Der „Zukunftspakt“ garantiert, dass fest angestellte Mitarbeiter nicht gekündigt werden, der Abbau geschieht durch freiwillige Altersteilzeit. Der Tarifvertrag wird nicht angetastet. Die Sicherung der deutschen Standorte ist mit konkreten Produkten und Stückzahlen hinterlegt. Die Elektromobilität wird an deutschen Standorten vorangetrieben und wandert nicht nach Osteuropa ab. Für die Komponenten-Standorte geht die Abkehr von unrentablen Produkten mit dem Ausbau an anderer Stelle einher – gute Voraussetzung für den Erfolg von Vorstand Thomas Schmall und seiner Mannschaft. Er gehört zu den (wenigen) VW-Spitzenmanagern, denen tiefe Bindung an das Unternehmen und unsere Region nachgesagt wird.

Der „Zukunftspakt“ soll nicht nur Klarheit, sondern auch Sicherheit für die Beschäftigten schaffen. Klar ist: Für viele, wenn auch nicht alle Leiharbeiter gilt das nicht, und auch manche Zulieferer werden die Folgen des Paktes spüren.

Der wichtigste Arbeitgeber darf sich nur nicht vergaloppieren. Schon aus Gründen der Außenwirkung sprach VW zuletzt fast nur noch über Elektrofahrzeuge. Autos mit Verbrennungsmotoren werden aber selbst in zehn Jahren noch das wirtschaftliche Rückgrat von Volkswagen bilden. Betriebsratschef Bernd Osterloh hat darauf diese Woche sehr zurecht hingewiesen. Der Konzern sollte seine Fähigkeiten auf diesem Gebiet selbstbewusster präsentieren. Der Gang in Sack und Asche wäre genauso falsch wie die alte Selbstüberhöhung.

Diese Woche war viel vom Wert des Tradierten die Rede, 70 Jahre nach Auflösung des Landes Braunschweig. Gert Hoffmann, der Präsident der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, und Gerhard Glogowski, der frühere Ministerpräsident, beschworen beim Festakt die Identität des Braunschweiger Landes. Geborgenheit wächst nicht aus der Zukunft, sondern aus der Vergangenheit, wie Glogowski sagte.

Mit dem Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten ist es ebenso. In diesem Sinne sei auch Volkswagen starkes Geschichtsbewusstsein gewünscht.