„Gabriels Vorpreschen hat es der Union nicht leichter gemacht, Freude am gemeinsamen Kandidaten zu empfinden.“

Politiker-Bashing hat Konjunktur. Dabei machen viele unserer Volksvertreter und Amtsinhaber einen guten Job, in der Kommunalpolitik sogar weit überwiegend ehrenamtlich. Ihre Arbeit wirkt im Alltag wenig spektakulär – ein Gesetzgebungsverfahren zum Beispiel ist langwierig, stationen- und kompromissreich. Da müssen Möglichkeiten diskutiert, Interessen abgewogen werden. Das ist nichts für Action-Fans, aber lebenswichtig für die Demokratie. Und wie viele Stunden ein Ratsmitglied, Abgeordneter oder Minister in Gremien und bei öffentlichen Anlässen zubringt, sieht nur, wer sich an seine Fersen heftet.

Das Missverhältnis zwischen Leistung und Bewertung legt nahe: Vielleicht braucht die deutsche Politik einen Vermittler, ein freundliches Gesicht, einen glaubwürdigen Sachwalter? Frank-Walter Steinmeier könnte so einer sein. Und wo könnte er wirkungsvoller für die Akzeptanz von Politik werben als im Amt des Bundespräsidenten, weitab der Tagespolitik, aber mittendrin im demokratischen Prozess?

Steinmeier wäre erste Wahl. Er ist ein in fast allen politischen Lagern geachteter Mann. Als Bundesaußenminister vertritt er unser Land auch auf internationalem Parkett mit Würde und Nachdruck. Wir Niedersachsen haben ihn als engsten Mitstreiter, Chefstrategen und – da ist es wieder – Vermittler des Ministerpräsidenten Gerhard Schröder in guter Erinnerung. Was ihn für die Linkspartei „unwählbar“ macht, ist sein größter Verdienst: Nicht zuletzt der maßgeblich von Steinmeier erdachten Agenda 2010 aus Schröders Kanzlerschaft verdanken wir, dass Deutschland den Krisen trotzte, die unsere europäischen Nachbarn an den Rand des Staatsinfarktes trieb. Und Steinmeier scheint ein besonderer Mensch zu sein. Seine Organspende an seine nierenkranke Frau hat viele Menschen berührt.

Sigmar Gabriels Vorpreschen hat es der Union nicht leichter gemacht, Freude am gemeinsamen Kandidaten Steinmeier zu empfinden. Aber die Selbstüberwindung wird sich auszahlen: Nachdem Bundestagspräsident Norbert Lammert abgewunken hatte, war weit und breit kein geeigneterer Kandidat in Sicht.