„Die Firmen müssen sich notgedrungen für Bewerber öffnen, die sie sich bisher nicht aussuchen würden.“

Die Rechnung klingt einfach: Die Lehrstellen, für die Betriebe keine Bewerber finden, lassen sich mit Flüchtlingen besetzen, wie mancher nun vorschlägt. Sind diese doch auch noch zum großen Teil jung.

Viele von ihnen können in der Tat keine Ausbildung nachweisen, die sich mit unserem dualen System vergleichen lässt. Dafür bringen sie oft jahrelange praktische Berufserfahrung mit. Dieses Potenzial sollten wir nutzen, solange Branchen wie das Lebensmittelhandwerk immer größere Schwierigkeiten haben, Lehrlinge zu finden. Selbst mit einer höheren Qualifikation werden viele Flüchtlinge froh sein, erst einmal überhaupt Arbeit zu finden. Angesichts der Sprachbarriere erscheint der Einstieg hier einfacher als etwa an einer Hochschule.

Doch diese Rechnung darf nicht für alle Vertriebenen gelten. Genauso wie bei allen anderen Bewerbern bringt es langfristig wenig, einen Menschen in einen Beruf zu drängen, für den zwar händeringend Mitarbeiter gesucht werden, der aber weder seinen Fähigkeiten noch Interessen entspricht. So bedauerlich es ist, dass tausende Stellen unbesetzt bleiben, obwohl es genügend Junge auf der Suche gäbe – die Lücke ist unvermeidbar. Nicht nur die Lehrlinge wären unglücklich in ihrem Job, auch die Arbeitgeber mit ihnen. Denn nur wenn die Motivation stimmt, ist ein Mitarbeiter auch gut in dem, was er tut.

Die Firmen müssen sich also notgedrungen für Bewerber öffnen, die sie sich bisher nicht aussuchen würden. Wer etwa einem Hauptschüler mit teils schlechten Noten eine Chance gibt, der die Stelle wirklich will, muss am Anfang mehr investieren als in einen anderen Bewerber. Der Lehrling ist dafür mit mehr Leidenschaft bei der Sache – und bleibt nach der Ausbildung auch eher als jemand, der ohnehin nach „Höherem“ strebt. Umgekehrt lohnt sich für die Bewerber ein Blick zur Seite. Viele Berufe haben nette Verwandte.