„Sie griffen das ihnen so verhasste politische System an, indem sie seine Offenheit nutzten, die Versammlungs- freiheit und die Meinungsfreiheit.“

„Es gibt keine Freiheit ohne gegenseitiges Verständnis.“ Albert Camus, Schriftsteller und Philosoph (1913-1960)

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Es war ein besonderer Tag der Einheit in diesem Jahr – gefeiert in Dresden, einer Stadt, die sich seit 1990 deutlich gewandelt hat. Attraktionen wie die Altstadt und der Zwinger, die wieder errichtete Frauenkirche, aber auch die bunte Dresdener Neustadt sorgen dafür, dass die Touristen in die sächsische Landeshauptstadt strömen. Nein, Dresden ist nicht durchweg schön. Kriegsschäden, sozialistischer Plattenbau, aber auch manch zu gewagte Investition nach der Wiedervereinigung haben nicht nur Bau-Wunden zurückgelassen. Und dennoch: Es ist eine Stadt, die anzieht. Das zeigt ein Blick auf steigende Einwohnerzahlen – selbst wenn Eingemeindungen statistisch helfen.

Es gäbe also durchaus einiges zu feiern an einem Tag der Einheit in Dresden – und tausende taten dies auch. Doch einige hundert lautstarke Pegida-Anhänger ließen ihrer schlechten Laune am Montag freien Lauf. Sie pöbelten, schrien, lärmten mit Trillerpfeifen und beleidigten Politiker – darunter Kanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Joachim Gauck – als Volksverräter. Sie griffen das ihnen so verhasste politische System an, indem sie seine Offenheit nutzten, die Versammlungsfreiheit und die Meinungs- freiheit. Rechte und Werte, für die 1989 friedlich gekämpft worden ist, für die Menschen in der DDR ihre Existenz riskierten. Das Schlimme: Diesen Widerspruch zwischen angeblicher Unterdrückung und der Möglichkeit, selbst hanebüchenen Unsinn an einem solchen Tag geschützt absondern zu dürfen, nahmen und nehmen die Pöbler gar nicht wahr.

Wie weit geht Meinungsfreiheit? Wer darf wo wann wie demonstrieren? Solche Fragen stellten sich diese Woche durchaus. Dazu ist zunächst eine Feststellung wichtig: Eine Demokratie hält viel aus – und selbst ihre Gegner müssen zu Wort kommen können. Doch in Dresden ging es zumindest einigen hundert nicht um Kritik, es ging schlichtweg darum, andere zu stören und zu beschimpfen. Wenn hier ein Polizist den Pegidisten noch einen erfolgreichen Tag wünscht, wenn deren Recht, sich zu äußern, mehr wertgeschätzt wird, als das der gewählten Politiker, muss das auch für schlechte Laune sorgen.

Dabei wäre gerade der Tag der Einheit doch geeignet, Patriotismus der schönsten Art zu zeigen, den Stolz auf das Heimatland. Stolz auf ein Land, das es geschafft hat, 40 Jahre Teilung zu überwinden. Stolz auf ein Land, in dem eine friedliche Revolution stattfand. Stolz auf ein Land, das seitdem Herausforderungen – wirtschaftlich und gesellschaftlich – positiv angegangen ist. Stolz auf ein Land, in dem über strittige Themen offen diskutiert werden kann.

Und natürlich gibt es Grund zur Kritik etwa an der Flüchtlingspolitik. Das Management in diesem Bereich war teils katastrophal. Es gibt Gründe, warum Angela Merkel die neue Zahl an Menschen, die im Jahr 2015 als Asylsuchende nach Deutschland gekommen sind, nicht nutzt. Denn eigentlich hätte sie doch Grund zur Freude haben müssen: Immerhin sind es 890 000 Menschen gewesen und damit deutlich weniger als die zu Beginn des Jahres angenommenen mehr als eine Million. Doch einerseits ist nicht klar, wie viele der Flüchtlinge aufgrund Merkels Entscheidung im letzten Jahres mehr gekommen sind. Dies wird übrigens immer offen bleiben und weiter Raum für kämpferische Debatten bieten zwischen denen, die Merkels Entscheidung als alternativlos ansehen und denen, die sie als ihren größten Fehler einordnen. Und andererseits zeigt der Zeitpunkt der Bekanntgabe eines der größten Probleme auf: Erst Anfang Oktober – zehn Monate später – steht sicher fest, wie viele Menschen 2015 in unser Land kamen. Noch immer hinkt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bei der Bearbeitung der Anträge hinterher. Deutschland, früher als Verwaltungsweltmeister lächelnd bewundert, versagt in der Bürokratie. Das sorgt zwangsläufig – dafür muss man kein Pegida-Anhänger sein – für Unsicherheit und Probleme bei der Integration. Wer nicht weiß, wer wo ist, kann etwa schlecht dafür sorgen, dass es passende Sprachkurse und Unterkünfte gibt. Die vielen Helfer vor Ort wissen um diese Probleme und geben doch nicht auf . Gut, dass niedersächsische Stiftungen – darunter viele aus unserer Region – nun einen Fonds gegründet haben, der diese ehrenamtliche Arbeit unterstützt.

Noch immer sind Millionen Menschen auf der Flucht, viele haben den Traum von einem Leben in Europa. Dies ist eine Aufgabe, die den neuen Generalsekretär der Vereinten Nationen fordern wird. In dieser Woche einigte sich der Sicherheitsrat auf António Guterres. Der Portugiese soll in der UN-Vollversammlung gewählt werden. Er ist als früherer Ministerpräsident und vor allem als Ex-Chef des Flüchtlingshilfswerks UNHCR ein Idealkandidat in diesen Zeiten. Jemand, der schon lange dazu aufruft, in den Krisenländern mehr zu tun. Und damit jemand, der zumindest einen Plan hat. Wer ihn später unterstützt, bleibt offen. Doch dass sich etwa die USA und Russland im Sicherheitsrat auf ihn verständigen konnten, ermöglicht zumindest einen guten Start und gibt etwas Hoffnung.