Wolfsburg. Die Jobcenter in der Region fordern von Flüchtlingspaten Millionen von Euro. Der Bund und das Land Niedersachsen untersagen finanzielle Unterstützung.

Unser Leser Klaus Richter fragt:

Weshalb mussten Bürgschaften von Bürgern übernommen werden? Bislang dachte ich, Flüchtlinge werden vom Land betreut und versorgt?

Die Antwort recherchierten Andre Dolle und Hendrik Rasehorn

Engagierte Bürger aus unserer Region übernahmen Bürgschaften für Flüchtlinge, damit diese nach Deutschland kommen konnten. Doch die Helfer sollen länger zahlen als gedacht.

Worum geht es genau?

Wie viele andere Bundesländer legte auch das Land Niedersachsen 2014 ein eigenes Flüchtlingsprogramm auf, machte dieses öffentlich bekannt. Das Ziel war, noch mehr Schutzsuchende aus dem syrischen Bürgerkrieg zu retten, den Schleusern ein Schnippchen zu schlagen. Es brauchte nur eine Unterschrift, und die Bereitschaft, ein vermeintlich überschaubares finanzielles Risiko einzugehen, und schon konnte ein Einzelner oder eine Familie ganz legal nach Deutschland kommen. Flüchtlingsinitiativen und Kirchen warben darum, sich eines Flüchtlings anzunehmen, für ihn und seinen Lebensunterhalt zu bürgen. Es sei ja nur, bis das Recht auf Asyl oder der Schutzstatus feststehe. Das war sehr optimistisch, wie sich herausstellt.

Denn nun fordern Jobcenter in der gesamten Republik viel Geld von den Bürgen. Oft geht es um 10 000 Euro und mehr. Alleine in Wolfsburg haben 45 Personen Anhörungsschreiben vom dortigen Jobcenter bekommen. Sie übernahmen Bürgschaften für 94 Bedarfsgemeinschaften, in denen etwa 250 Flüchtlinge untergebracht sind oder waren. Die Gesamtsumme beläuft sich auf etwa 2,3 Millionen Euro.

Wie ist die Gesetzeslage?

Die Stimmung kippte, aus der allgemeinen Willkommenskultur und dem „Wir schaffen das“ von Kanzlerin Angela Merkel erwuchs durch den starken Flüchtlingszuzug der Wunsch, diesen zu stoppen. Diese Auffassung wurde am 6. August 2016 Gesetz. „Eine Verpflichtungserklärung erlischt nicht durch eine Änderung des Aufenthaltsstatus“ heißt es seitdem im Paragrafen 68 des Aufenthaltsgesetzes. Verpflichtungen, die vor dem 6. August 2016 eingegangen wurden, enden nach drei, die anderen nach fünf Jahren. Und die Flüchtlingspaten? Waren auf einen Schlag die Gekniffenen.

Das Bundesverwaltungsgericht Leipzig gab dem Gesetzgeber im Januar 2017 in einem Grundsatzurteil Recht. Die Sache ist damit rein rechtlich geklärt: Die Jobcenter können den Bürgen für jeden Monat und jeden Flüchtling eine Rechnung stellen, solange diese staatliche Leistungen beziehen. Die moralische Frage ist aber eine ganz andere.

Was sagt das Land Niedersachsen?

Matthias Eichler, Sprecher des Innenministeriums, sagt unmissverständlich: „Das Land hat 2014 nicht aktiv dazu aufgerufen, diese Bürgschaften zu unterschreiben. Im Gegenteil: Wir haben die niedersächsischen Ausländerbehörden aufgefordert, auf die Risiken hinzuweisen.“ Damit habe das Land alles in seiner Verantwortung stehende getan, um sicherzustellen, dass die Risiken einer Verpflichtungserklärung unmissverständlich deutlich würden. Eichler schlussfolgert: „Das Land kann deshalb nicht in der Pflicht stehen, den Betroffenen durch finanzielle Unterstützung zu helfen.“ Einen Hilfsfonds wird es, wie von Betroffenen und von der Flüchtlingshilfe gefordert, also nicht geben.

Eigentlich müsse laut Eichler diese Frage auch der Bund beantworten, der seinerzeit rechtlichen Interpretationsspielraum gelassen habe, nachdem Niedersachsen gehandelt und dem ausdrücklichen Wunsch vieler Syrer entsprochen habe, möglichst schnell möglichst viele Schutzsuchende nach Niedersachsen zu holen. Das Innenministerium fordert die Jobcenter mit Blick auf die finanziellen Forderungen gegenüber den Flüchtlingshelfern nun dazu auf, mit „Augenmaß vorzugehen“.

In Hessen reagiert die schwarz-grüne Koalition mehr im Sinne der Betroffenen. Im Mai kündigte das Innenministerium an, „Ansprüche derjenigen, die im Vertrauen auf die Rechtsauffassung des Landes gehandelt haben”, wohlwollend prüfen zu wollen.

Was sagen Betroffene?

Ulrich Raschkowski, Vorsitzender der Flüchtlingshilfe Wolfsburg, kennt zahlreiche Fälle von Betroffenen in Wolfsburg. Er sagt: „Die Erklärung, die das Innenministerium Ihrer Zeitung gegeben hat, kann und wird nicht das letzte Wort sein. Die neue Landesregierung muss zu diesem Thema wohl erst eine Haltung finden. Wir verlangen eine Erklärung, die definitiv und für uns akzeptabel ist. Wenn es die nicht gibt, werden wir gegen die Stadt Wolfsburg klagen. Deren Ausländerbehörde hat uns damals bei der Abgabe der Verpflichtungserklärung beraten und erklärt, wir müssen nur bis zu dem Zeitpunkt haften, bis die Flüchtlinge anerkannt sind.“

Einen Kommentar zum Thema finden Sie hier: Schock für die Helfer