Braunschweig. Vier Mobilitäts-Experten diskutierten im Braunschweiger Haus der Wissenschaft über die Vor- und Nachteile der E-Mobilität.

Unsere Leserin Claudia Wilkes fragt zur E-Mobilität:

Unter dem Strich ist das E-Auto auch nicht umweltfreundlicher – oder?

Dazu recherchierte Andreas Schweiger

Unsere Leserin spricht einen zentralen Punkt in der Debatte um die Mobilität der Zukunft an. Wie sauber sind Elektro-Autos wirklich? Dass diese Frage derzeit viele Menschen bewegt, zeigte die Podiumsdiskussion am Dienstagabend im Braunschweiger Haus der Wissenschaft auf dem TU-Campus.

Die Aula war rappelvoll, die Luft stickig, die Vorfreude auf klare Antworten groß, als dort Moderator Ferdinand Klien die Mobilitätsexperten Thomas Cerbe von der Ostfalia-Hochschule in Salzgitter, Martin Kahmann von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig, Udo Lambrecht vom Institut für Energie- und Umweltforschung in Heidelberg und Kirstin Lindloff vom Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin um sich scharrte. Sie diskutierten in der vom NDR und unserer Zeitung organisierten Veranstaltung „Logo – Wissenschaft aus Braunschweig“ zum Thema „Emissionsfrei, aber umweltschädlich? Vor- und Nachteile der E-Mobilität“.

Um es vorweg zu nehmen: Zwar gab es unter den Diskutanten eine große Übereinstimmung in der Einschätzung, dass es an der Zeit sei, den Verbrennungsmotor durch umweltfreundlichere Antriebe abzulösen – allen voran der Elektroantrieb. Unterschiedlicher Auffassung waren sie aber über das Wie und Wann. Und leider blieben ganz wichtige praktische Fragen unbeantwortet.

So wie die eines Zuhörers, der wissen wollte, ob es unter Umweltgesichtspunkten ratsamer sei, seinen älteren Passat weiter zu fahren oder durch ein E-Auto zu ersetzen. Denn schließlich müsse auch der Stromer erst einmal produziert werden, was Energie verschlingt und Schadstoffe freisetzt.

In diesem Fall lieferten die Experten keine Entscheidungshilfe. Dabei könnten klare, lebensnahe Antworten die Verbraucher von Unsicherheit befreien. Lambrecht riet dem Zuhörer stattdessen zu prüfen, wie viel es ihm wert sei, eine neue Technik voranzubringen. Doch ging es dem Zuhörer nicht um Moral, sondern um einen Vergleich der Ökobilanzen.

Auch die von Lambrecht zu Beginn der Diskussion aufgemachte Rechnung hat nur begrenzte Aussagekraft. Nach seinen Angaben ist ein E-Auto 20 bis 40 Prozent sauberer als ein Verbrenner. Die Annahme setzt aber voraus, dass sich der Energiemix in Deutschland weiter zugunsten der erneuerbaren Energie verändert. Sie ist also mehr Zukunftsbeschreibung als Bestandaufnahme.

Wie kann die E-Mobilität so richtig in Fahrt gebracht werden? Nach Einschätzung Lambrechts wird die Ablösung des Verbrenners erst gelingen, wenn die Politik die entsprechenden Weichen stellt und die Hersteller unter Druck setzt – etwa mit einer Quote für E-Autos. „Das Interesse der Industrie ist klein, Elektroautos zu verkaufen“, sagte er.

Professor Cerbe von der Ostfalia vertraut wiederum der Dynamik des Marktes. So würden sich E-Autos von alleine verkaufen, wenn sie nur attraktiv genug seien. In wenigen Jahren würden die Batterien nicht nur viel leistungsfähiger sein als heute, sondern auch viel günstiger. Cerbe: „2021 werden Elektroautos billiger sein als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor, bei einer Standard-Reichweite von 300 Kilometern. Damit ist das Thema gegessen.“

Diesen Optimismus teilte Kahmann von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig nicht. Als Beispiel führte er den Ausbau der Infrastruktur an, beispielsweise den Aufbau von Ladestationen. Während in China bis 2020 eine Million Ladesäulen errichten werden sollen, sei es hierzulande nur ein Bruchteil davon. BMW, Daimler, Ford und VW hatten erst in der vergangenen Woche angekündigt, bis 2020 in Deutschland, Österreich und Norwegen 400 Stationen errichten zu wollen. „Daher werden wir in fünf Jahren nicht viel weiter sein“, sagte Kahmann.

Zudem vermisse er bei der Entwicklung der E-Mobilität eine zentrale Steuerung. Die solle nicht nur zuständig sein für technische Standards und Infrastruktur, sondern zum Beispiel auch für die Förderprogramme – und das gleich auf europäischer Ebene.

Lindloff vom Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin betonte, dass Elektroautos allein das Weltklima und die innerstädtische Lebensqualität nicht retten könnten. So bleibe in Städten der Öffentliche Personen-Nahverkehr „das Rückgrat der Mobilität“ – am besten elektrifiziert.

Um den innerstädtischen Verkehrsinfarkt zu vermeiden, gewinne die Planung an Bedeutung. Dazu gehöre auch, dass das Verkehrsnetz für Radfahrer und Fußgänger attraktiver werde. Und auch Lindloff sprach sich für eine politische Steuerung der Verkehrsentwicklung aus. Als Beispiele nannte sie unter anderem Fahrverbotszonen.

Bekanntlich sind auf den Straßen nicht nur private Autos unterwegs, sondern auch jede Menge Last- und Lieferwagen. Dass auch sie – zumindest in Grenzen – elektrifizierbar sind, zeigt der Streetscooter. Diesen Transporter mit batteriebasiertem E-Antrieb baut die Post in Eigenregie.

Daneben gibt es bereits Versuche, Last- und Lieferwagen aus Oberleitungen mit Strom zu versorgen, um sie langstrecken-tauglich zu machen. Allerdings ist der Aufbau der Infrastruktur entlang von Autobahnen alles andere als banal, wie Lambrecht ausführte. Diese Investition lohne sich erst ab einem großen Fahrzeugaufkommen – um das zu erzielen, wäre wohl auch in diesem Fall eine politische Steuerung Voraussetzung.

Ein Fazit des Abends: Die Entwicklung der Mobilität von morgen im Allgemeinen und die Entwicklung der E-Mobilität im Speziellen ist ungebrochen mit viel Wenn, Aber und Vielleicht verknüpft. Kahmann ist dennoch überzeugt, dass sich alles finden wird. „Das wird schrittweise geschehen, es kommt nicht zu plötzlichen Umbrüchen.“

Einen Kommentar zum Thema finden Sie hier: Unsicherheit bremst