Braunschweig. Die Historikerin Ute Daniel sieht die Freiheit von Forschung und Lehre als bedroht an.

Wie schätze ich ganz persönlich und fachlich die künftige Entwicklung unter besonderer Berücksichtigung meines wissenschaftlichen Fachgebietes ein?

Als Neuzeit-Historikerin muss ich die Perspektiven meines Fachs und die aktuelle gesellschaftliche Situation immer zusammen bedenken; denn die Bedeutung, die historischer Forschung und Lehre zugemessen wird, hängt immer eng zusammen mit der jeweiligen Gegenwart und deren drängenden Fragen. Prophezeiungen aller Art sind allerdings unter Historikerinnen und Historikern extrem unbeliebt – aus dem einfachen Grund, weil die Menschheitsgeschichte ein unerschöpfliches Reservoir an erhofften oder befürchteten Zukünften darstellt, die nie eingetreten sind. Dieses wohl wissend, gebe ich dennoch eine Prognose ab: Keine Gesellschaft, kein individueller Mensch und keine Gruppe kommt ohne Geschichte aus. Deswegen wird es immer Bedarf an der Erforschung und Vermittlung von Geschichte geben – was unsere Aussichten vielleicht nicht glänzend, aber nachhaltig macht. Und wenn wir Glück haben, wird hierzulande das Geschichtsbild auch weiterhin nicht den herrschenden Autoritäten überlassen, die es zur eigenen Imagepflege nutzen (wie es in einigen anderen Ländern unserer Jetztzeit der Fall ist).

Inwiefern haben sich solche wissenschaftlichen Einschätzungen von Zukunftsaussichten aus meiner ganz persönlichen Sicht im Verlauf der vergangenen zehn Jahre bereits verändert?

Den vorangegangenen Satz vom Glück freien Denkens, Lehrens und Forschens, das wir hoffentlich weiter genießen können, hätte ich wahrscheinlich vor zehn Jahren nicht geäußert. Wir sehen aber heute weltweit, wie die Freiheit von Forschung und Lehre – und auch die Demokratie als solche – unter Druck gerät.

In der krassen Form, in der dies derzeit andernorts geschieht, erwarte ich dergleichen für Deutschland nicht. Doch die Geschichtswissenschaft ist heute weltweit wichtiger denn je – kann sie doch an historischen Fällen zeigen, was für Gesellschaften man sich einhandelt, wenn man auf Autokratie als Lösung aller Probleme setzt oder das allgemeine Wahlrecht abschaffen will, weil Wahlen unbequeme Ergebnisse bringen. Demokratie ist eine schwierige Regierungsform: teils, weil sie langsam ist, teils, weil sie langweilig ist, und vor allem deswegen, weil sie gesellschaftliche Unzufriedenheit sichtbar macht statt diese zu verdecken. Genau das alles ist jedoch gleichzeitig das Großartige an dieser Regierungs- und Lebensform (ja, auch die Langeweile...). Ohne sie kehren wir ins 19. Jahrhundert zurück, das bekanntlich damit endete, dass die damaligen Eliten einen Weltkrieg anzettelten, den hauptsächlich diejenigen austragen mussten, die von der politischen Willensbildung ausgeschlossen waren.

Wie beurteile ich ganz persönlich die Entwicklung der Forschungsregion Braunschweig und was an Impulsen ist für sie notwendig?

Die Forschungsregion Braunschweig ist derzeit in einem schwierigen Fahrwasser, weil die Autoindustrie, mit der die technischen Kernbereiche der TU so vielfältig verbunden sind, sich ihrerseits in schweres Gewässer gesteuert hat. Doch wie in der Politik bieten auch hier stürmische Zeiten Gelegenheit zum produktiven Neuerfinden, und ich bin sicher, dass die TU diese Gelegenheit nutzen wird.

Die historische Forschung würde sich an diesen wichtigen Fragen sehr gern beteiligen: etwa mit regionalgeschichtlichen Arbeiten, die die wichtige Rolle der Mobilität oder die Geschichte der Arbeit und des Konsums in der Epoche vom Zweiten Weltkrieg bis heute unter aktuellen Fragestellungen untersuchen.