Braunschweig. Einige Parteien wollen die „Bürgerversicherung“, andere setzen auf das bewährte System.

Unser Leserin Anja Raithel aus Braunschweig fragt:

Das Gesundheitssystem ist eine Zweiklassengesellschaft. Welche Partei setzt sich denn für einen Wandel ein?

Die Antwort recherchierte Tobias Bosse

Schreiende Ungerechtigkeit? Oder bloß ein populistischer Spruch? Jedenfalls ist die „Zweiklassenmedizin“ ein alter Hut. Seit 1883 unter Otto von Bismarck die Grundlage für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) gelegt wurde, fährt Deutschland zweigleisig im Gesundheitssystem. Denn bereits damals hatten Handwerker, Kaufleute und freie Gruppen wie Anwälte und Ärzte sich in eigenständigen Genossenschaften oder privat abgesichert.

Die Grünen

Daran hat sich wenig geändert – besser Verdienende genießen eine Art Sonderbehandlung, Kassenpatienten erhalten das Standardprogramm. Die Parteien haben unterschiedliche Vorstellungen darüber, ob sich daran etwas ändern sollte. Was ist mit der sogenannten Bürgerversicherung, in der ausnahmslos alle Bürger gesetzlich krankenversichert werden und gleichermaßen von den Leistungen partizipieren?

AfD

Hilko Holzkämper, Professor für Gesundheitswesen an der Ostfalia Hochschule, hat das Konzept Analyse zur Bürgerversicherung durchgeführt. Für ihn ist es „lediglich ein schön plakatives Thema, um Wähler zu ködern“. Denn eine Reform in Richtung einer alle Bürger umfassenden Krankenversicherung brächte „erhebliche rechtliche und ökonomische Probleme“ mit sich, sagt Holzkämper und verweist auf den Bestandsschutz für Altverträge der Privatversicherten: Ein administrativ erzwungener Wechsel in die GKV sei infolge des Vertrauensschutzes, der besagt, dass bei Gesetzesänderungen keine nachteiligen Effekte für den Bürger entstehen dürfen, juristisch nicht haltbar. Ebenso sprächen rechtliche Gründe dagegen, die Altersrückstellungen der PKV-Mitglieder in Höhe von 189 Milliarden Euro der GKV zu zuführen und umzuverteilen. Holzkämper: „Gerade weil in der privaten Krankenversicherung ein Kapitalstock aufgebaut wurde, ist diese deutlich unabhängiger von der demografischen Entwicklung und die mit ihr einhergehenden steigenden Ausgaben infolge der gesellschaftlichen Alterung.“

SPD

Eine Auflösung der privaten Krankenkasse sei ökonomisch kontraproduktiv. Fraglich sei auch, wie der Staat in diesem Fall mit der Fürsorgepflicht für Beamte umginge. „Diese müssten dann statt einer teilweisen Kostenübernahme (Beihilfe) im Krankheitsfall, quasi einen Arbeitgeberanteil zahlen“, sagt Holzkämper. Zumal der Bund hier ohnehin nur Regelungen für Bundesbeamte herbeiführen kann und nicht für diejenigen anderer Gebietskörperschaften.

CDU

So stellt der Professor für Gesundheitswesen fest: Eine Bevorzugung von privaten gegenüber gesetzlichen Patienten sei zwar zweifelsohne gegeben, diese liege aber an den unterschiedlichen Möglichkeiten der abrechenbaren Leistungen sowie der Höhe der jeweiligen Leistungsvergütung. Der Experte meint: „Eine Vereinheitlichung der Vergütungssysteme könnte dieses Problem lösen und zwar ohne dass dafür die PKV abgeschafft werden müsste!“

FDP

Wie die Parteien zum Thema Bürgerversicherung stehen, haben wir – leicht verkürzt – unten stehend aufgeführt:

Grüne: „Die ärztliche Versorgung sowie die Pflege von Menschen stellen für die Grünen ein Grundrecht dar. Sie sollen deshalb jedem Menschen in gleicher Art und Weise zur Verfügung gestellt werden. Aus diesem Grund setzen sich die Grünen für eine Abschaffung der privaten Krankenversicherungen ein, um junge und besserverdienende Menschen an einem Austritt aus der gesetzlichen Krankenkasse zu hindern. Gleichzeitig sollen die Beiträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern angeglichen werden, so dass beide Seiten in gleicher Höhe in die Krankenkasse einzahlen.“

AfD: „Die Finanzierung unseres Gesundheitswesens wird durch allgemeine politische Fehlentwicklungen bedroht: Die von den Kassen zu tragenden Kosten für Migranten, Flüchtlinge und Asylbewerber laufen aus dem Ruder und durch die verfehlte Zinspolitik der europäischen Zentralbank können die kapitalgedeckten privaten Krankenversicherungen keine ausreichenden Rücklagen mehr bilden.“

Linke: „Der Zwei-Klassen-Medizin stellen wir unser Modell einer Solidarischen Gesundheitsversicherung entgegen. Wir wollen, dass alle in Deutschland lebenden Menschen Mitglied der Solidarischen Gesundheitsversicherung werden, auch die derzeit Privatversicherten. Alle auch Beamtinnen und Beamte, Abgeordnete und Selbstständige zahlen entsprechend ihrem gesamten Einkommen ein. Alle erhalten eine gleichermaßen hochwertige medizinische Versorgung – ohne Zuzahlungen und Zusatzbeiträge, paritätisch von Arbeitgebern und Beschäftigten finanziert. Wir wollen Arbeitseinkommen nicht weiter benachteiligen und keine Ausnahmen für Kapitaleinkommen und Gewinne. Auch die Benachteiligung von kleinen und mittleren Einkommen wollen wir beenden, dazu wird die Beitragsbemessungsgrenze abgeschafft.“

SPD: „Wir wollen alle Bürgerinnen und Bürger auf die gleiche Weise versichern. Ziel ist die paritätische Bürgerversicherung. Paritätisch bedeutet: Arbeitgeber und Versicherte werden wieder den gleichen Anteil am gesamten Versicherungsbeitrag zahlen. Daher schaffen wir den einseitigen Zusatzbeitrag der Versicherten ab. Alle erstmalig und bislang gesetzlich Versicherten werden wir automatisch in die Bürgerversicherung aufnehmen. Dazu zählen auch Beamtinnen und Beamte, für die in der Bürgerversicherung ein beihilfefähiger Tarif geschaffen wird.“

CDU: „Wir werden sicherstellen, dass Menschen im Falle von Krankheit, Pflegebedürftigkeit eine gute medizinische und pflegerische Versorgung erhalten unabhängig von ihrem Einkommen und Wohnort. Die Freiheit der Arzt und Krankenhauswahl und ein Wettbewerb unter den Krankenkassen und Versicherungen ermöglichen den Patienten die Auswahl nach Qualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung. Unser Gesundheitswesen hat sich mit der freiberuflichen Ärzteschaft, seiner Selbstverwaltung und mit seinen gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen bewährt. Die Einführung einer Bürgerversicherung lehnen wir ab.“

FDP: „Wir Freie Demokraten stehen für Eigenverantwortung und Solidarität im Gesundheitssystem, in dem die Wahlfreiheit des Versicherten durch Kassenvielfalt gewährleistet ist. Dazu setzen wir uns neben einer starken privaten Krankenversicherung (PKV) auch für eine freiheitliche gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ein. Einer als „Bürgerversicherung“ getarnten staatlichen Zwangskasse erteilen wir eine klare Absage. Staatlich organisierte und rationierte Zuteilungsmedizin führt langfristig zu einer drastischen Verschlechterung der Versorgung der Bevölkerung und verschärft die demografischen Probleme der gesetzlichen Krankenversicherung.“