Braunschweig. Der Verkehrsforscher Matthias Klingner ist gegen ein Fahrverbot für Dieselautos.

Unser Leserin Frau Meyer aus Braunschweig fragt:

Ich halte die Luftverschmutzung durch Kamine für ein unterschätztes Problem. Wie stark belasten Kamine die Luftqualität tatsächlich?

Die Antwort recherchierte Tobias Bosse

Dieselfahrer gelten neuerdings als Umweltsünder. Damit sind sie aber nicht allein. Muss es auch Kaminbesitzern an den Kragen gehen? Seit Anfang dieses Jahres gibt es ein Gesetz, das besagt: Kaminöfen, die älter als dreißig Jahre sind, müssen mit einem Spezialfilter nachgerüstet oder stillgelegt werden. Aber wo liegen denn nun wirklich die Ursachen für die überhöhten Schadstoff-Werte in deutschen Innenstädten? Ist der Diesel in Wahrheit nur ein Bauernopfer im Bundestagswahlkampf?

Über diese Fragen sprach Tobias Bosse mit Matthias Klingner, dem Leiter des Fraunhofer-Instituts für Verkehrs- und Infrastruktursysteme in Dresden.

Herr Klingner, sind Kleinfeuerungsanlagen wie Kamine oder Holzöfen ein unterschätztes Problem?

Nein. Wenn die Luftzirkulation normal funktioniert, werden die Abgase aus den Schornsteinen in eine Luftwalze eingespeist und nach oben hin abgetragen. Die haben keinerlei Einfluss auf das, was man am Boden einatmet. An extrem kalten Wintertagen wird diese Zirkulation allerdings durch mangelnde Sonnenwärme gehemmt – und die Abgase wabern zu Boden.

Wie stark schätzen Sie die Belastungen durch Industrie-Anlagen ein?

Was den Feinstaub angeht, sind das schon erhebliche Anteile im Vergleich zu dem, was man dem PKW-Verkehr zuordnen kann. Das ist aber nicht das eigentliche Problem, sondern die natürlichen Feinstäube, die wir messen.

Wie werden diese natürlichen Feinstäube freigesetzt?

Durch die Sonne. Sie erwärmt den Boden und die darüberliegende Luftschicht. Dadurch steigt die warme Luft vom Boden bis zu einer Höhe von zwei Kilometern in die unterste Atmosphärenschicht auf und transportiert den Feinstaub dorthin. An sonnenreichen Tagen lässt sich der erlaubte Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter allein auf die Sonneneinwirkung zurückführen.

Wird die Dieseldebatte demnach künstlich aufgebauscht?

Ja. Das Grundproblem sind die Grenzwerte, die es zu hinterfragen gilt. Das trifft vor allem auf den Feinstaub zu, da doch die Auswirkungen des Verkehrs auf die Feinstaubbelastung kaum messbar sind. Außerdem werden die Gefahrenpotenziale maßlos überschätzt, um damit Politik zu machen.

Was halten Sie von Minderungsmaßnahmen wie etwa dem umweltorientierten Verkehrsmanagement in Braunschweig, das den Verkehr flüssiger laufen lässt?

Das halte ich für sehr sinnvoll. Ein flüssiger Verkehr, in dem weniger Autos zum Erliegen kommen, ist deutlich emissionsärmer. Die Einführung von einem Tempo-30-Limit ist hingegen kontraproduktiv und sorgt für eine Erhöhung der Emissionen um bis zu 30 Prozent. Denn Autos arbeiten am effektivsten bei Tempo 50 – dort liegt der optimale Wirkungsgrad.

Sind Sie für ein grundsätzliches Fahrverbot von Dieselautos in Innenstädten?

Nein, grundsätzlich nicht. Das ist nicht die Lösung. Die generelle Lösung muss sein, die Richtlinien zur Luftqualität mit den neuesten Erkenntnissen aus der Wissenschaft seriös zu hinterfragen. Außerdem muss dieses widersinnige Feinstaub-Gesetz gekippt werden. Die Stickoxide kommen hingegen vom Verkehr und sollten aber mit vernünftigen Grenzwerten versehen werden.

Was wäre denn für Sie ein vernünftiger Grenzwert?

Das kann ich ehrlich gesagt nicht genau beurteilen, weil ich kein Mediziner bin. Bei welcher Konzentration der menschliche Organismus Schaden nimmt, kann nur ein Mediziner beurteilen. 40 Mikrogramm sind es mit Sicherheit nicht. Wenn man sich auf einen Grenzwert von 100 oder 150 einigen könnte, ist man immer noch weit von den Grenzwerten für Büroräume entfernt und hätte trotzdem alle Probleme auf einen Schlag gelöst.

Weitere Infos zum Thema finden Sie hier: Weniger Schadstoffe in der Braunschweiger Luft