Braunschweig. Immer häufiger eskalieren die Auseinandersetzungen. 16.000 Menschen unterzeichnen eine Berliner Petition.

Als die Fahrräder ihn umzingeln, rastet der Mann aus. Ende August in Hamburg, die Radler-Demo „Critical Mass“: Ein 70 Jahre alter Autofahrer fährt mehrere Demonstranten an und schlägt auf einen Polizisten ein, der ihm den Zündschlüssel abnehmen will. Erst als Verstärkung eintrifft, gelingt es den Beamten, den Mann festzunehmen. Ein Glück, dass die Radfahrer mit leichten Verletzungen davonkamen.

Doch immer öfter gehen Zusammenstöße zwischen Auto- und Radfahrern traurig aus. In vielen Städten eskalieren solche Situationen. „Autofahrer reißen die Tür auf und greifen Passanten an. Oder sie schlagen Radfahrer an der Ampel durch das geöffnete Fenster“, berichtet die Berliner Rechtsmedizinerin Saskia Etzold.

„Es gibt einen Kampf, einen Krieg in der Stadt“, hat die Prüfgesellschaft Dekra beobachtet. „Die Aggressionen im Straßenverkehr nehmen zu.“ Bundesweit kamen 2016 fast 400 Radfahrer ums Leben. Oft sind es Unfälle, etwa vor wenigen Tagen in Berlin. Dort achtete der Fahrer eines Transporters beim Aussteigen nicht auf den Verkehr, ein 77-jähriger Radler krachte gegen die Tür und starb. Auch gezielte Provokationen sind keine Seltenheit. In der Hauptstadt haben bald 16.000 Menschen eine Onlinepetition gegen „Automachos“ unterschrieben. „So oft wie auf dem Fahrrad werde ich nirgendwo als Schlampe oder Fotze beschimpft“, sagt Mit-Initiatorin Johanna Dickershoff.

Brave Fahrradfahrer als ständige Opfer? Nein, so eindeutig ist es nicht. Auch skrupellose Radler verbreiten in vielen Innenstädten Schrecken. Wenn sich Fußgänger bei Zweiradfahrern über eine zu rasante Fahrweise beschwerten, bekämen sie mitunter als Antwort eine Faust ins Gesicht, berichtet Rechtsmedizinerin Etzold aus ihrem Praxisalltag. „Das geht über Rücksichtslosigkeit weit hinaus, das ist pure Gewalt. Und die Hemmschwelle sinkt.“ Ein weiteres Ärgernis: „Die Akzeptanz von Verkehrsregeln ist nicht gerade auf dem Vormarsch, besonders wenig bei Radfahrern“, urteilt Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer. Einer regt sich über den anderen auf - so schaukeln sich Konflikte hoch, die eigentlich harmlos wären. Vor kurzem musste sich das Oberlandesgericht Hamm mit so einer Gewaltspirale beschäftigen: Ein Radler hatte einem Pkw die Vorfahrt genommen, daraufhin bremste das Auto den Mann aus, der Beifahrer riss die Tür auf, um ihn zu Fall zu bringen – der Disput endete mit schweren Verletzungen des Radlers.

Experten sehen einen Grund für die zunehmende Aggressivität darin, dass die meisten Städte nicht für ein Nebeneinander von Vier- und Zweirädern geschaffen sind. Das Problem werde sich weiter verschärfen, da sich Biker für mehr Radverkehr einsetzen. „Doch die meisten Kommunen sind darauf gar nicht vorbereitet“, sagt Unfallforscher Brockmann.

Die Frage lautet, wie Innenstädte gestaltet werden müssten, um die Lage zu entschärfen. Denn breitere Radwege allein bringen laut Brockmann wenig. Es bleibe das Problem, dass Autos Wege oft zuparken. Besser geeignet seien attraktive Radspuren auf verbreiterten Bürgersteigen. Mehr Platz für Räder bedeutet allerdings weniger Fahrspuren auf den Straßen. Kaum vorstellbar, dass die Autolobby das kritiklos mitträgt. „Es wird in den Kommunen Auseinandersetzungen um den Platz auf der Straße geben“, prognostiziert Christian Kellner vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat.