Braunschweig. Reiche und ärmere Städte und Gemeinden liegen oft nur wenige Kilometer voneinander entfernt.

Unsere Leser Doris und Dietrich Lüders aus Königslutter bemerken:

Die Stadt Königslutter hat die Grundsteuer für unseren Grund und Boden stark erhöht und kommt trotzdem nicht von ihren Schulden herunter.

Zum Thema recherchierte Andre Dolle

Marode Schulen, von Schlaglöchern übersäte Hauptstraßen und geschlossene Jugendtreffs zeugen von der angespannten Haushaltslage vieler deutscher Städte und Gemeinden. Jede fünfte Kommune befindet sich laut einer neuen Studie der Bertelsmann-Stiftung dauerhaft im Haushaltsloch. Auch in unserer Region ist dieses Szenario ein Thema – etwa in den Landkreisen Helmstedt, Goslar und Osterode oder in der Stadt Salzgitter.

Finanzreport Bertelsmann Stiftung Version 2

Dabei stiegen die Steuereinnahmen der Städte, Gemeinden und Landkreise in Deutschland zwischen 2005 und 2015 um bemerkenswerte 56 Prozent. Alleine 2016 erzielten sie einen Überschuss von 4,5 Milliarden Euro.

Doch der Finanzreport zeigt: Längst nicht allen Kommunen in Deutschland geht es so blendend. Der Osten fällt stark ab, das bundesweite Plus liegt vor allem an den Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg.

Unsere Region ist dabei so etwas wie das Spiegelbild der Republik im Kleinen. Das sieht auch Friederike-Sophie Niemann, Finanz- und Kommunalexpertin der Bertelsmann-Stiftung, so. Sie sagt: „Wolfsburg hat 2015 mit 1457 Euro je Einwohner eine fast doppelt so hohe Steuereinnahmekraft wie Helmstedt mit 731 Euro je Einwohner.“ Im Report heißt es: „Die schwachen Kommunen fallen weiter zurück. Die Schere zwischen den armen und reichen Kommunen öffnet sich.“

Laut den Autoren verfestigen sich die Unterschiede immer mehr. Demnach haben Finanzschwache Landkreise wie Helmstedt kaum Chancen, die Spitzenreiter wie Wolfsburg jemals einzuholen. Viel hänge davon ab, ob sich vor Ort Unternehmen angesiedelt haben oder nicht. So machen die Einnahmen aus Gewerbe- und Einkommensteuer im bundesweiten Durchschnitt mehr als 80 Prozent der kommunalen Steuereinnahmen aus.

Niemann sieht es so: „Die Wirtschaftsstruktur vor Ort kann dabei nur zum Teil durch die Lokalpolitik beeinflusst werden. Vielfach sind auch Standortentscheidungen von Unternehmen in der Vergangenheit, Strukturwandel, die Nähe oder Ferne zu Universitäten zur Gewinnung von Nachwuchskräften, infrastrukturelle oder geografische Gegebenheiten mit Gründe dafür, warum es manchen Regionen besser oder schlechter als anderen geht.“ Unterschiede in dieser Hinsicht könnten durchaus auch in räumlicher Nähe zueinander existieren – wie beim Kreis Helmstedt und dem Nachbarn Wolfsburg.

Ein zweiter Punkt sind die Schulden, die auch unsere Leser ansprechen. Sie nehmen Bezug auf Königslutter im Landkreis Helmstedt, ihrem Wohnort.

Dabei stehen die Niedersachsen bei den Kassenkrediten – das ist eine Art Dispo-Kredit der Kommunen – unterm Strich besser da als der Bundesdurchschnitt. In den vergangenen fünf Jahren sanken diese von fünf Milliarden Euro auf 2,3 Milliarden 2015.

Dennoch stecken laut der Stiftung immer noch einige Kommunen in Haushaltskrisen. Der Schuldenabbau sei zum großen Teil dank eines Umschuldungsprogramms des Landes zustande gekommen, an dem bis 2015 satte 42 Kommunen teilnahmen. Die Kreise Göttingen, Goslar, Hildesheim, Lüchow-Dannenberg und Uelzen wurden um mindestens

50 Prozent der Kassenkredite entlastet.

Nach 2015 erhielt der Kreis Helmstedt eine Finanzspritze des Landes in Höhe von 70 Millionen Euro. Auch die nun miteinander fusionierten Landkreise Osterode und Göttingen erhielten als „Hochzeitsprämie“ einen Zuschuss in Höhe von 80 Millionen. Beides ist in den Grafiken oben noch nicht berücksichtigt.

Braunschweig wählte unter OB Gert Hoffmann (CDU) bereits ab 2002 einen anderen Weg, verkaufte eine Reihe städtischer Betriebe. Aus eigener Kraft schaffte jedoch kaum eine Kommune den Weg aus den Schulden – trotz der deutlich höheren Steuereinnahmen. Marco Trips, Präsident des Städte- und Gemeindebundes in Niedersachsen, weiß, warum. „Die Kommunen haben ganz einfach mehr Ausgaben als Einnahmen. Die starke Konjunktur der letzten Jahre war zwar sehr erfreulich. Das reicht aber noch nicht.“

Trips nennt Zahlen: So habe es seit 2004 eine Steigerung bei den Sozialausgaben um etwa 110 Prozent gegeben. Einen großen Teil nehmen die zusätzlichen Kosten für die Plätze in Krippen und Kindergärten ein. Seit August 2013 haben Eltern einen Anspruch auf einen Betreuungsplatz für Ein- und Zweijährige. Hinzu kommt ein riesiger Investitionsstau der Kommunen. Trips beziffert ihn auf gut 132 Milliarden bundesweit.

„Wir brauchen eine ausreichende Finanzierung der Kommunen. Sie sind das Rückgrat des Staates“, sagt Trips. Dabei wollten Bund und Länder die Kommunen auch noch an der Ärzteversorgung und am Breitbandausbau finanziell beteiligen.

Trips nimmt auch Bezug zum aktuellen Landtags-Wahlkampf. Fast alle Parteien versprechen eine Beitragsfreiheit in Kindergärten. „Dann soll das Land künftig auch zwei Drittel der Betriebskosten übernehmen.“ Weiterhin fordert er, dass die neue Landesregierung – welcher Farbe auch immer – den Kommunen Mittel für den kommunalen Finanzausgleich zurückerstattet. Unter dem ehemaligen Finanzminister Hartmut Möllring (CDU) habe die damalige schwarz-gelbe Landesregierung den Anteil Niedersachsens am kommunalen Finanzausgleich um 150 Millionen Euro pro Jahr zurückgefahren. „Das Geld wollen wir zurück“, sagt Trips.

Rund vier Milliarden sind im Topf des kommunalen Finanzausgleichs. Es gibt Nettozahler wie die Stadt Wolfsburg und viele, viele Empfänger. Der Finanzausgleich ist neben den Steuereinnahmen und den Gebühren und Beiträgen die Haupteinnahmequelle der Städte und Gemeinden. Herbert Freese, Finanzexperte vom Landkreistag in Niedersachsen, sagt: „Der Finanzausgleich ist zwar ein wirksames Instrument, er kann aber längst nicht alle Ungleichheiten auffangen. Ein Teil der Kommunen ist chronisch unterfinanziert.“ Alleine die Kosten für die Kitas hätten 2014 bei gut einer Milliarde Euro gelegen. „Das ist seitdem sicher deutlich gestiegen“, sagt Freese. Auch er stellt eine Forderung an die neue Landesregierung: „Wir werden darüber reden müssen, wie wir den Kommunen helfen können. Es braucht ein neues Entschuldungsprogramm.“