Wolfsburg. VW-Personalvorstand Karlheinz Blessing betont, dass die Mitarbeiter unter der Dauerkritik leiden. Er hofft auf eine sachlichere Debatte nach der Wahl.

Die Ferienzeit hat für VW keine Entspannung gebracht. Der Autobauer war mehr denn je in der öffentlichen Debatte. VW-Personalvorstand Karlheinz Blessing erläutert im Interview mit Andreas Schweiger, wie die Belegschaft zu VW steht, warum der Abschied vom Verbrennungsmotor aus seiner Sicht Jahrzehnte dauert und wie das Unternehmen mit seiner Verantwortung gegenüber Brasilien umgeht.

Herr Dr. Blessing, während der Werksferien ist es nicht ruhiger um VW geworden. Im Gegenteil: Das Unternehmen steht heftig in der öffentlichen Kritik. Wie geht die Belegschaft damit um?

Die ständigen Anwürfe gehen hier vielen unter die Haut. Dabei kann die Belegschaft definitiv nichts dafür. Sie trägt keinerlei Schuld am Diesel-Skandal, und sie ist auch nicht verantwortlich dafür, dass nun die gesamte Automobil-Branche in der Kritik steht. Im Gegenteil: Wir haben allen Grund, auf unsere Beschäftigten stolz zu sein. Sie verteidigen das Unternehmen, sie stehen fest zu Volkswagen. Sie bauen die Autos, die in vielen unabhängigen Tests zu den besten und saubersten zählen. Sie gestalten die Transformation zur Digitalisierung und zur E-Mobilität aktiv mit. Der Konzern hat ein sehr gutes Halbjahresergebnis erzielt, die Marke Volkswagen hat bei der Wirtschaftlichkeit große Fortschritte gemacht – auch das ginge nicht ohne unsere Beschäftigten, die sich voll einbringen. Der Vorstand weiß diese Leistung und diese Einstellung zu schätzen. Dieser Teamgeist macht Volkswagen stark.

Das Verhalten des Unternehmens ist mitunter nicht nachvollziehbar. Warum hat VW nicht selbst über die Kartellvorwürfe gegen die Autobranche informiert?

Ich kann auf diese Frage leider nur sagen, dass wir uns zu Spekulationen und Sachverhaltsvermutungen, die auf der Grundlage der öffentlichen Berichterstattung beruhen, nicht äußern.

Welche Strategie verfolgt VW, um aus dem Image-Tief zu kommen?

Wir werden weiterhin mit Top-Produkten überzeugen. Alle unsere Modelle, die wir in diesem und im nächsten Jahr auf den Markt bringen, werden technisch spitze sein und ein attraktives Preis-Leistungs-Verhältnis haben. Mit dieser Modelloffensive werden wir punkten. Ich gehe außerdem davon aus, dass die öffentliche Debatte nach den Wahlen sachlicher geführt wird. Derzeit ist eben Wahlkampf.

Was meinen Sie konkret?

Der Automobilbranche und damit auch Volkswagen wird vorgeworfen, sie habe Entwicklungen wie die E-Mobilität verschlafen. Dabei wird gern ausgeblendet, wie schnell die Marke Volkswagen die vollelektrische I.D.-Familie auf die Räder gestellt hat. Da haben einige gestaunt. Wir sprechen keineswegs von Showcars, wir werden diese Autos bauen, und zwar bald. Ähnlich sieht es bei unseren anderen Marken aus: Porsche, Audi, Skoda, Seat und die Nutzfahrzeuge – sie alle sind in die Elektromobilität eingestiegen.

Wie muss die Diskussion um die Zukunft der Mobilität und der Auto-Branche künftig geführt werden?

Der Umstieg in die Elektro-Mobilität ist eine Gemeinschaftsaufgabe von Industrie und Politik. Denn es nützt nichts, die Emissionen vom Auspuff lediglich auf die Schornsteine von Kraftwerken zu verlagern. Auch die Verbrennung von Braunkohle, Steinkohle und Gas führt zu CO2-Emissionen. Deshalb gehört zum Ausbau der Elektromobilität auch eine Veränderung der Energieerzeugung. Das ist eine gewaltige Aufgabe, die Politik und Industrie gemeinsam angehen müssen. Volkswagen bringt dafür die richtigen Produkte. Dafür stehen die neuen Modelle der I.D.-Familie und viele andere Entwicklungen unserer Konzernmarken.

Sind die Forderungen aus der Politik, den Verbrennungsmotor bis 2030 abzuschaffen, realistisch?

Ich bin überzeugt, dass der Umstieg vom Verbrennungsmotor zum Elektro-Antrieb Jahrzehnte in Anspruch nimmt. Es geht dabei nicht nur um technische Fragen, sondern auch um soziale Belange. Elektroantriebe sind technisch weniger komplex. Experten erwarten deshalb, dass sich der Zeitaufwand für den Bau eines Autos um 40 bis 50 Prozent reduziert. Wenn dieser Wandel und der absehbare Abbau von Arbeitsplätzen sozialverträglich gestaltet werden sollen, dann erfordert das Zeit.

VW hat angekündigt, 2019 eine neue Generation von E-Modellen auf den Markt zu bringen, 2025 soll der Anteil der E-Autos im Konzern auf 25 Prozent steigen. Scheint da ein Aus des Verbrennungsmotors bis 2030 nicht machbar?

Würde man den Kippschalter umlegen, weil die Politik das so will, käme es zu einem abrupten Aus. Aber das hätte unabsehbare Folgen für den Wirtschaftsstandort Deutschland und viele Industrie-Arbeitsplätze. Ich halte die aktuelle politische Diskussion um ein rasches Ende des Verbrennungsmotors für nicht allzu realitätsnah. Wir leben in einer freien Welt mit selbstbestimmten Kunden, und letztlich werden sie entscheiden, ob Elektro-Mobilität ihren Alltagsanforderungen entspricht. Wir tun unser Möglichstes für den Wandel.

Wie bewerten Sie die erneut aufgeflammte politische Diskussion um das VW-Gesetz und um die Beteiligung des Landes Niedersachsen an VW?

Ich begrüße, dass alle Fraktionen im niedersächsischen Landtag an der Landesbeteiligung festhalten wollen. Durch die Mitbestimmung und die Landesbeteiligung sind wir mehr als andere Unternehmen verpflichtet, einen Ausgleich zwischen Rentabilität und Arbeitsplatzsicherheit zu finden. Das ist Volkswagen bisher gut gelungen. Zudem kann Volkswagen auf Grundlage dieser Konstruktion gut mittel- und langfristig planen, und das sehe ich als klaren Vorteil. Studien über Familienunternehmen zeigen ja, dass sie dank langfristiger Planung auf längere Zeit profitabler sind als Unternehmen, die sich am Quartalsrhythmus des Kapitalmarktes orientieren.

VW wird vorgeworfen, in den 1970er Jahren in Brasilien aktiv an der Verfolgung von Mitarbeitern beteiligt gewesen zu sein, die als Gewerkschafter und Gegner der damals herrschenden Militärjunta gefoltert und eingesperrt wurden. Wie positioniert sich das Unternehmen zu diesen Anschuldigungen?

Für Fehlverhalten werden wir die Verantwortung tragen. Und wir werden uns entschuldigen. Wann und in welcher Form das geschieht, das diskutieren wir.