Hannover. Niedersachsens Ministerpräsident (SPD) wirft der CDU vor, puren Machtwillen vor die Sachpolitik zu setzen. Mehr dazu im Interview:

Der Verlust der rot-grünen Mehrheit im Landtag und der Wechsel der langjährigen Grünen Elke Twesten zur CDU schlagen weiter hohe Wellen. Mit Ministerpräsident und SPD-Landeschef Stephan Weil sprach darüber unser Redakteur Michael Ahlers.

Herr Weil, wie sehr ärgert Sie es, dass Ihre Regierung zumindest vorläufig gescheitert ist? Nach dem Wechsel der Grünen Elke Twesten zur CDU wirkten Sie reichlich angefasst.

Ich sehe das nicht als Scheitern. Wir erleben eine vorzeitige Beendigung der Legislaturperiode auf einigermaßen undurchsichtige Art und Weise. Mich stört, dass durch einen ausschließlich persönlich begründeten Schritt einer Abgeordneten eine demokratische Entscheidung von Wählerinnen und Wählern in ihr Gegenteil verkehrt worden ist. Sie wollten 2013 eine rot-grüne Mehrheit und keine schwarz-gelbe. Und mich stört auch, dass die Umstände nach wie vor ungeklärt sind. Stichwort: unseriöse Angebote. Das schreit geradezu nach Klärung.

Deswegen hatten wir „vorläufiges Scheitern“ gesagt. Sie können mit der Wahl am 15. Oktober ja wiederkommen.

Das habe ich auch vor – und vor allem bin ich da.

Ins Kriseln gekommen war Ihre Koalition aber schon vor dem Fall Twesten, unter anderem wegen Fehlern bei der Vergabe von Aufträgen. Eine Staatssekretärin musste gehen. Es gab diverse erfolgreiche Verfassungsklagen der Opposition, und zum neuen Schuljahr wieder eine Menge Ärger mit Abordnungen von Gymnasiallehrern an Grundschulen. Wie erklären Sie sich solche Mängel beim Regieren?

Das ist, mit Verlaub, eine ziemlich einseitige Sichtweise. Wer nichts macht, macht nichts verkehrt, sagt der Volksmund. Und wir haben sehr viel gemacht. Dabei waren sicherlich auch Fehler. Aber wenn ich mal die Vergaben als Maßstab nehme, haben wir natürlich eine große Zahl absolut sauberer Vorgänge. Ich bin sehr problembewusst, wenn es um Fehler geht. Aber in der Gesamtschau waren die letzten viereinhalb Jahre für Niedersachsen ausgesprochen gute Jahre. Ich nenne Ihnen ein paar Beispiele: Der Haushalt ist zum ersten Mal saniert. Wir haben Turboabitur und Studiengebühren abgeschafft. Wir sanieren überall im Land die Krankenhäuser.

Jetzt aus der Defensive den Wahlkampf zu führen, kostet aber viel Kraft. Haben Sie persönlich nie an Rücktritt gedacht, und wäre es für die SPD trotz Ihrer guten Beliebtheitswerte im Land nicht vielleicht einfacher, mit einem anderen Kandidaten in die Wahl zu gehen?

Nein, ich habe zu keiner Sekunde daran gedacht, aufzuhören. Ich bin sehr mit mir im Reinen und gleichzeitig ein durchaus selbstkritischer Mensch. Aber wenn ich jetzt sehe, was für Vorwürfe es gibt, muss ich sagen: Die Vorwürfe sind falsch und vor allem böswillig konstruiert…

...Sie meinen die Anschuldigungen vom Wochenende, VW habe Ihre Regierungserklärung von 2015 weichgespült...

…und deswegen bin ich ausgesprochen motiviert, eine solche Kampagne nicht unwidersprochen zu lassen. Vor allem freut es mich, dass ich sehr erkennbar das Vertrauen meiner Partei habe.

Bisher hat es immer geheißen, Sie und der CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann seien als eher ruhige Politiker-Typen Garanten eines fairen Wahlkampfs. Nun haben Sie Althusmann für Schärfen verantwortlich gemacht. Glauben Sie, dass die CDU-Führung die Abgeordnete Twesten gezielt aus der Grünen-Fraktion herausgebrochen hat?

Ehrliche Antwort: Ich weiß es nicht. Aber mich und viele andere Menschen macht es stutzig, wenn die Hauptbetroffene selbst nachweislich von unseriösen Angeboten gesprochen hat. Wer hat das gemacht, und mit welchem Inhalt? Das schreit nach Aufklärung. Die Wählerinnen und Wähler sollten wissen, ob das sauber zugegangen ist oder nicht.

Sie sind Jurist und wissen, dass juristisch die Freiheit des Mandats nicht angetastet werden kann.

Ich führe hier keine formale Diskussion, sondern eine sehr politische. Allen Juristen ist der Unterschied zwischen legal und legitim sehr bewusst. Nicht alles, was erlaubt ist, darf man auch machen. Nicht von ungefähr hat es gerade eine Welle der Empörung in Niedersachsen gegeben.

Was ist denn ein unmoralisches Angebot? Ein Jobangebot im Fall des Wechsels oder auch, wenn die CDU einfach sagt: Komm zu uns, wenn Du Dich bei den Grünen nicht mehr wohlfühlst?

Letzteres wäre für sich genommen sicher nicht unmoralisch. Aber nicht einmal das wird von Herrn Althusmann eingeräumt. Man muss wissen, um was es geht, dann hat niemand einen Anlass, von unmoralisch zu sprechen. Aber nun steht der Begriff im Raum, von Frau Twesten selbst benutzt. Es bleiben viele Fragen.

Die Gräben zwischen den Parteien sind nun in Niedersachsen wieder tiefer geworden. Können Sie sich als SPD-Landesvorsitzender noch eine Große Koalition mit der CDU vorstellen?

Es ist für eine Demokratie niemals gut, wenn anstelle des Streites um die Sache ein inhaltsleerer Streit um die Macht entsteht. Was ich der CDU vorwerfe, ist, dass sie fünf Monate vor einer sowieso anstehenden Wahl die erste Gelegenheit beim Schopf gepackt hat, eine demokratische Entscheidung der Wählerinnen und Wähler umzudrehen. Das war meines Erachtens sehr unüberlegt und schädlich für unsere Demokratie. Darüber wird im Wahlkampf zu reden sein. Macht kann niemals Selbstzweck sein.

Die FDP hat deutlich gemacht, dass sie ein Misstrauensvotum gegen Sie im Landtag nicht will. Vorbote einer „Ampel“ nach der Wahl?

Das wird die FDP selbst sicherlich dementieren, und auch ich habe derzeit keinen Anlass, darüber nachzudenken. Wir haben im Moment klare Lager in Niedersachsen. Rot-Grün auf der einen und Schwarz-Gelb auf der anderen Seite. Das ist nicht das, was ich mir wünsche, aber ich kann auch mit solchen Bedingungen umgehen.

Für Sie kommt der Verlust der Mehrheit zusammen mit erneuten Diskussionen um VW. Der Einfluss des Landes scheint eher begrenzt... Ist das zwangsläufig so?

Gerade in der Region Braunschweig/Wolfsburg weiß man sehr genau, was man dem Einfluss des Landes Niedersachsen zu verdanken hat. Und daran hat sich auch nichts geändert, wenn ich mir die Entwicklung und die Sicherheit für die Standorte in Braunschweig, Wolfsburg und Salzgitter anschaue. Das hat unmittelbar mit der Rolle des Landes zu tun. Das ist für mich die Triebfeder des Engagements. Gleichwohl ist Niedersachsen ein Minderheitsaktionär und bei Volkswagen nicht etwa Herr im Haus – auch wenn Kollegen von CDU und FDP das behaupten. Wir können Gutes für das Land durch unseren Einfluss bei Volkswagen bewirken, wenn wir richtig und klug agieren auch sehr viel Gutes. Und so muss es auch bleiben.