Hannover. Das sagt die Ärztekammer zu Telemedizin.

Marion Charlotte Renneberg ist stellvertretende Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen und Vorsitzende der Bezirksstelle Braunschweig. Mit ihr sprach Michael Ahlers.

Frau Renneberg, man hat den Eindruck, dass mit der Telemedizin vor allem aus der Not eine Tugend gemacht werden soll. Wo so schnell kein Arzt ist, ob auf dem Land, ob auf der Bohrinsel, braucht man eben andere Lösungen.

So würde ich das nun nicht sehen. Ich glaube, es wächst eine Generation heran, die ganz anders mit dem technischen Fortschritt und auch den möglichen Vorteilen umzugehen weiß. Wir sollten die Möglichkeiten erkennen, nutzen und positiv begleiten, dabei aber auch kritisch bleiben.

In vielen nordischen Ländern gibt es schon seit längerem Videosprechstunden. In Niedersachsen möchte ich beispielhaft die Telemedizin-Zentrale am Klinikum Oldenburg nennen, von der die Versorgung potenzieller Patienten zum Beispiel auf den Offshore-Windparks in der Nordsee, auf Halligen oder Schiffen kilometerweit vom Festland entfernt gesteuert wird. Aus großer Entfernung können so die Lebensfunktionen von Patienten überwacht werden, mit Helfern kann kommuniziert werden. In ländlichen oder strukturschwachen Regionen könnte der Einsatz der Telemedizin durchaus eine erfolgversprechende Ergänzung zum Arztbesuch in der Praxis sein und entstehende Versorgungslücken schließen. Aber sie wird nie den Arzt ersetzen können.

Wo sehen Sie die größten Chancen? In der Diagnostik, in der Überwachung, in der Therapie?

Chancen der Telemedizin sehe ich besonders in der Überwachung, etwa von chronisch kranken Patienten. So gibt es Modelle für Patienten mit einer Herzschwäche oder Herzinsuffizienz, bei denen mehrfach täglich die Vitalwerte der Patienten gemessen, an ein Zentrum übertragen und von Medizinern beurteilt werden. Bei Verschlechterung des Gesundheitszustandes kann so zeitnah reagiert und eine Dekompensation oder sogar ein Krankenhausaufenthalt verhindert werden.

Wo noch?

Auch die Verlaufskontrolle einer Operationswunde, einer chronischen oder offenen Wunde. Der Patient kann, natürlich, nachdem der Arzt ihn persönlich gesehen hat, über die Videosprechstunde Fotos an die Praxis senden und diese diskutieren. Dem Patienten bleiben Wartezeiten in überfüllten Wartezimmern und längere Fahrzeiten erspart. Auch für den Arzt ist der Zeitaufwand überschaubar und es bleibt mehr Zeit für andere Patienten.

Was ist denn heute schon Alltag in der Medizin?

Bereits regelmäßig durchgeführte Videokonferenzen beteiligter Ärztinnen und Ärzte sowohl aus der Klinik als auch aus der Praxis führen zu einer weiteren Verbesserung des innerärztlichen Austausches und damit zu einer Qualitätssteigerung. Hier möchte ich auf die Tumorkonferenzen oder auf die Konferenzen mit spezialisierten Kliniken verweisen. Wenn die nächste Fachklinik in großer Entfernung liegt, können Patientendaten, Röntgenbilder oder Videos zur Beurteilung des Krankheitsbildes ausgetauscht und die Behandlung mit den Ärzten vor Ort festgelegt werden. In den Hausarztpraxen gibt es das Modell der Tele-VERAH, einer Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis, und NÄPA, das ist eine nichtärztliche Praxisassistentin. Diese sind in der Regel langjährige und vor allem speziell ausgebildete medizinische Fachangestellte, die in enger Absprache mit den Ärzten unter anderem Hausbesuche machen dürfen und die telemedizinisch ausgestattet sind. Das ist eine sinnvolle Entlastung der Hausärzte, der gesparte Zeitaufwand kommt anderen Patienten zugute und weit von der Praxis entfernt wohnende Patienten sind gut versorgt. Auch Patienten aus dem stationären Pflegebereich können von der telemedizinischen Versorgung profitieren.

Wo sind die Grenzen? Der direkte Dialog zwischen Arzt und Patient ist doch eigentlich das Herzstück der Medizin.

Zunächst einmal sind die Grenzen überall da, wo der Arzt den Patienten sehen, anfassen und untersuchen und sprechen muss. Die Telemedizin bietet sicher Chancen, aber auch mögliche Risiken.

Unsere Berufsordnung untersagt die ausschließliche Fernbehandlung ohne physischen Arzt-Patientenkontakt. Ärzte dürfen Patienten nicht behandeln, wenn sie diese nicht wenigstens einmal physisch gesehen haben. Der Arzt soll sich ein unmittelbares und persönliches Bild von dem jeweiligen Patienten und dessen Beschwerden gemacht haben.Eine wichtige Rolle spielt die Datensicherheit, die neuen Möglichkeiten müssen patientengerecht und praxistauglich sein.Und auf dem Land ist die Voraussetzung eine gute digitale Infrastruktur.