Braunschweig. Bundesfamilienministerin Schwesig und die SPD-Abgeordnete Carola Reimann sprechen sich im Interview für flexiblere Arbeitsmodelle aus.

Bis zur Bundestagswahl im September sollen noch ein paar Gesetze umgesetzt werden. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig und die Braunschweigerin Carola Reimann, stellvertretende Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, erklären im Interview, welche Vorhaben sie noch durchsetzen wollen und mit welchen Forderungen ihre Partei in den Wahlkampf zieht. Mit den SPD-Politikerinnen sprach Katrin Schiebold.

Frau Schwesig, Frau Reimann – Sie machen sich für ein Demokratiefördergesetz stark. Warum brauchen wir das so dringend?

Carola Reimann: Wir erleben, dass Flüchtlinge angefeindet werden, rechtsextreme Hetze zunimmt. Auf der anderen Seite lassen sich zum Beispiel immer mehr Jugendliche von Islamisten ködern. Unsere Demokratie ist in diesen Zeiten sehr gefährdet. Noch als der Untersuchungsausschuss zu den NSU-Verbrechen lief, haben wir uns geschworen, dass wir eine verlässliche systematische Demokratieförderung brauchen, um Extremismus an der Wurzel zu bekämpfen. Im Koalitionsvertrag haben wir schließlich vereinbart, mit einem entsprechenden Gesetz die Grundlage dafür zu schaffen.

„Man sollte den Vätern mehr Freiräume geben, sich Zeit für die Familie zu nehmen.“
„Man sollte den Vätern mehr Freiräume geben, sich Zeit für die Familie zu nehmen.“ © Manuela Schwesig, Bundesfamilienministerin

Wie soll denn die systematische und verlässliche Förderung konkret aussehen?

Manuela Schwesig: Wir haben bereits ein sehr gutes Bundesprogramm „Demokratie leben“, das Initiativen, Vereine und Projekte fördert, die sich für ein vielfältiges, gewaltfreies und demokratisches Miteinander einsetzen. In dieser Legislaturperiode ist es von 30 auf über 100 Millionen Euro aufgestockt worden. Bislang unterstützen wir solche Projekte zur Demokratieförderung von Jahr zu Jahr. Doch besser wäre eine dauerhafte Struktur. Dafür brauchen wir eine gesetzliche Grundlage.

Reimann: In Braunschweig haben wir zum Beispiel schon sehr lange einen Präventionsrat, in dem viele Initiativen Hand in Hand arbeiten. Im letzten Jahr gab es etwa einen Workshop für Erstwähler zur Kommunalwahl, um Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund an Demokratie heranzuführen. Solche Projekte sind wichtig, aber um sie dauerhaft zu etablieren, brauchen die Mitarbeiter Planungs- und Finanzierungssicherheit.

„Wir brauchen eine verlässliche Förderung, um Extremismus zu bekämpfen.“
„Wir brauchen eine verlässliche Förderung, um Extremismus zu bekämpfen.“ © Carola Reimann, SPD-Bundestagsabgeordnete aus Braunschweig

Wie stellen Sie denn sicher, dass nur solche Projekte dauerhaft gefördert werden, die auch erfolgreich arbeiten?

Reimann: Das Gesetz ist keine Förderzusage, Projekte werden nicht zwangsläufig bis in alle Ewigkeit gefördert. Es ist vielmehr eine Fördergrundlage, die erst die Möglichkeit schafft, gute Initiativen dauerhaft zu unterstützen.

Schwesig: Wir brauchen auch weiterhin Modellprojekte, um etwas auszuprobieren. Gleichzeitig brauchen wir aber auch dauerhafte Strukturen etwa für die Arbeit an Schulen. Gerade dort ist Demokratieförderung, das Lehren von Toleranz und Respekt enorm wichtig, das kann man nicht nur auf den Schultern der Lehrer abladen. Sie brauchen Unterstützung durch entsprechende Programme. Momentan fragen sich diese Initiativen, wie und ob es im nächsten Jahr für sie weitergeht. Außerdem hangeln sich die Mitarbeiter in solchen Projekten von einer befristeten Beschäftigung zur nächsten. Wenn wir wollen, dass sie mit Jugendlichen zusammenarbeiten, müssen wir ihnen auch eine langfristige Perspektive geben.

Die Förderung bezieht sich auf die Bekämpfung aller Extremismusformen – also auf Projekte gegen Islamismus/Salafismus ebenso wie gegen Rechts- und Linksextremismus?

Schwesig: Wir fördern derzeit die Demokratiezentren in den Ländern, die konkret auf die Probleme vor Ort eingehen. In Mecklenburg-Vorpommern ist das der Rechtsextremismus im ländlichen Raum, in NRW eher die Bekämpfung von Islamismus und Salafismus, bestimmte Regionen und Großstädte wie Berlin haben auch mit linker Militanz zu kämpfen. Wir möchten nicht von Berlin aus vorschreiben, wofür die Mittel eingesetzt werden, sondern bauen da natürlich auf die Expertise vor Ort. In einer zweiten Säule haben wir die lokalen Partnerschaften für Demokratie: Die Kommunen bekommen Gelder für konkrete Projekte. Und dann haben wir noch die dritte Säule, wo wir bundesweit Projekte fördern – zum Beispiel an Schulen.

Wie wahrscheinlich ist es, dass das Demokratiefördergesetz noch zügig kommt?

Reimann: Der Gesetzentwurf wurde vom zuständigen Familienministerium vorgelegt. Die SPD-Fraktion ist bereit, das Gesetz so schnell wie möglich zu verabschieden, aber leider steht die Union nicht zu ihrem Wort und blockiert das Vorhaben. Wir beobachten, dass Intoleranz und demokratiefeindliche Tendenzen zunehmen, solche Haltungen erreichen auch die Mitte der Gesellschaft. Insofern ist es wichtig, dass wir für eine wehrhafte Demokratie auch eine systematische Prävention ermöglichen.

Ein weiteres Anliegen der SPD ist das Rückkehrrecht für teilzeitarbeitende Frauen in Vollzeit. Gleichzeitig fällt es vielen Frauen jetzt schon schwer, Beruf und Kinder unter einen Hut zu bekommen. Ist Vollzeit wirklich die Lösung?

Schwesig: Dass beide Partner in Vollzeit arbeiten oder nur einer in Vollzeit und der andere sich Zuhause um die Kinder kümmert, ist für viele keine Option - sie wünschen sich eine Mischung. Das bedeutet, viele Paare wollen beide berufstätig sein, gleichzeitig aber auch Zeit für die Familie haben. Diesen Wunsch greifen wir mit dem Vorschlag der Familienarbeitszeit auf. In intensiven Lebensphasen, also in Zeiten mit kleinen Kindern oder mit pflegebedürftigen Angehörigen, wollen wir ermöglichen, dass Frauen und Männer in einem Stundenkorridor von 26 bis 36 Stunden arbeiten können und das finanziell mit 150 Euro pro Person unterstützen.

Ist diese Summe nicht viel zu klein, um beide Partner zu einer Reduzierung ihrer Arbeitszeit zu motivieren?

Schwesig: Das Familiengeld ist ein Anreiz und hilft insbesondere Familien mit kleinem und mittleren Einkommen. An diesem Punkt zeigt sich aber auch, dass das Rückkehrrecht in Vollzeitarbeit so wichtig ist. Es gibt Phasen, in denen Eltern weniger arbeiten wollen, weil die Kinder noch klein sind. Aber wenn sie später wieder mehr Freiräume haben, möchten viele voll in den Beruf zurückkehren. Ein Rückkehrrecht ist auch entscheidend dafür, dass sich mehr Männer für eine zeitweise Reduzierung ihrer Arbeitszeit entscheiden. Aus Umfragen wissen wir, dass sich viele mehr Zeit für die Familie wünschen.

Reimann: Die Familienarbeitszeit ist auch ein Angebot für pflegende Angehörige. Nicht alle haben Kinder, aber alle haben Eltern. Und in jeder Familie ist die Thematik da: Was passiert, wenn meine Eltern nicht mehr alleine für sich sorgen können? Viele schaffen den Spagat zwischen Arbeit und Pflege nicht.

Aber stellen solche Modelle nicht vor allem kleine Betriebe vor Probleme, wenn sie Arbeitszeitverluste ausgleichen müssen?

Reimann: Das Problem stellt sich beim Teilzeit- und Befristungsgesetz ja auch und da haben wir bislang kein Problem. Wenn jemand in Teilzeit geht und ankündigt, dass er in anderthalb Jahren wieder auf sein altes Volumen zurück möchte, ist das doch planbar. Außerdem gibt es immer noch die Möglichkeit, den Wunsch abzulehnen, wenn gewichtige betriebliche Gründe dagegen sprechen.

Schwesig: Ich finde diese ganze Debatte verlogen: Auf der einen Seite wird die Altersarmut beklagt, die vor allem Frauen trifft. Auf der anderen Seite gibt es Frauen, die gerne mehr arbeiten würden und denen das nicht ermöglicht wird. Gerade für die Existenzsicherung von Frauen, für die Absicherung ihrer Rente, ist das Rückkehrrecht elementar. Außerdem arbeiten nur dann mehr Männer in Teilzeit, wenn sie auch eine Garantie haben, auf ihre volle Stelle zurückkehren zu können.

Im Hause Schwesig leben Sie das bislang noch seltene Familienmodell: Sie sind Karrieremama und ihr Mann Vollzeitpapa. Wer muss sich denn mehr rechtfertigen?

Schwesig: Es ist ein Dilemma, dass sich Familien immer für ihre Lebens- und Rollenmodelle rechtfertigen müssen. Der gesellschaftliche Druck muss aufhören. In unserem persönlichen Umfeld haben wir aber positive Erfahrungen gemacht. Mein Mann und ich sind beide in Familien groß geworden, in denen es üblich war, dass Mutter und Vater gearbeitet haben und beide für Kinder und Haushalt zuständig waren. In der nächsten Zeit wird mein Mann wieder stärker in den Beruf einsteigen, weil seine Elternzeit endet. Er sagt immer: Es ist noch kein Unternehmen wegen der Elternzeit von Vätern pleitegegangen.

Man sollte den Vätern mehr Freiräume geben, Zeit für die Familie zu nehmen. Die Frauen sollten ihren Männern aber auch mehr zutrauen: Sie sind keine Mütter zweiter Klasse, sondern können das mit den Kindern genauso gut – wenn nicht an manchen Stellen sogar besser.

Die SPD zieht mit der Forderung nach einem weiteren Kita-Ausbau und kostenfreier Bildung in den Wahlkampf. Das klingt gut, aber wie sollen Sie das finanzieren? In Braunschweig hat die Stadt unter einem SPD-Bürgermeister die Kita-Gebühren gerade wieder eingeführt...

Schwesig: Die Kommunen können die Gebührenfreiheit alleine nicht tragen. Deshalb schlagen wir vor, dass sich der Bund stärker daran beteiligt. Es ist berechnet worden, dass die Kita-Gebührenfreiheit ungefähr 3,5 Milliarden Euro kosten würde. Der Spielraum im Bundeshaushalt dafür ist in den nächsten Jahren da.

Herr Schäuble schlägt ja vor, die Steuern um 15 Milliarden Euro abzusenken. Der Verteidigungshaushalt soll bis 2021 um insgesamt 8,3 Milliarden Euro ansteigen. Wer so mit den Milliarden um sich wirft, muss auch mehr Geld für die frühkindliche Bildung haben. Das ist eine Frage der Entlastung von Familien und der Leistungsgerechtigkeit. Eine Verkäuferin, die Mindestlohn bekommt, aber 600 Euro an Kitagebühren zahlen muss, fragt sich: Wie wird hier meine Arbeit anerkannt, wenn die Hälfte meines Lohnes von den Kita-Gebühren aufgefressen wird?

Reimann: Gerade die erste Zeit ist für die Entwicklung der Kinder entscheidend. Wichtig ist also, so früh wie möglich mit individueller Förderung anzufangen. Wenn in die frühkindliche Bildung investiert wird, zahlt sich das später doppelt und dreifach aus.