Braunschweig. Der Braunschweiger Oliver Blume führt den Sportwagenbauer Porsche. Im Interview erläutert er die Philosophie der VW-Tochter.

Mit einer Umsatzrendite von 17,4 Prozent gehört der Sportwagenbauer Porsche zu den profitabelsten Autobauern der Welt. Was den Erfolg des Unternehmens ausmacht, warum es sich im VW-Konzern wohlfühlt und wie sich Porsche künftig aufstellen will, erläuterte Porsche-Vorstandschef Oliver Blume im Interview mit Armin Maus und Andreas Schweiger.

Wie viel Spaß macht es dem Vorstandsvorsitzenden eines Sportwagenherstellers, in einem Ballungsraum wie Stuttgart zu Hause zu sein, wo das Auto oft nur im zweiten Gang gefahren werden kann?

Natürlich ist man froh, wenn der Verkehr fließt – zumal es rund um Stuttgart sehr schöne Strecken gibt. Denken Sie nur an den Schwarzwald oder an den Bodensee. Das Faszinierende bei Porsche ist die Rennstreckentauglichkeit auf der einen Seite und gleichzeitig der Fahrkomfort. Man fühlt sich in einem Porsche auch gut, wenn man mal in einem Stau steht.

Porsche ist die eigenständigste Marke des VW-Konzerns. Inwieweit ist der Konzern für Porsche eine Chance – oder ein Problem?

Porsche ist jetzt schon seit einem halben Jahrzehnt im Volkswagen-Konzern. Und wie gut das läuft, beweisen die Zahlen: Seitdem Porsche zum VW-Konzern gehört, haben sich Absatz, Umsatz und die Mitarbeiterzahl verdoppelt. Unter der Führung von Matthias Müller haben alle Marken im Konzern viel Freiraum und Eigenständigkeit. Die Markendifferenzierung ist richtig, weil so jede Marke ihre Stärke auf den Märkten ausspielen kann. Auch innerhalb des Konzerns bringt jede Marke ihre Stärken ein, damit alle voneinander profitieren können.

Das heißt, ohne die Zugehörigkeit zum VW-Konzern wäre die Marke Porsche nicht so erfolgreich?

Ja. Wir haben sehr viele Synergien erschlossen, zum Beispiel in der Entwicklung, wo gemeinsame Module und Plattformen entstehen. Ohne die Unterstützung des VW-Konzerns wäre das so nicht möglich gewesen. 2016 war das erfolgreichste Jahr in der Porsche-Geschichte. Wir sind bei Porsche stolz, dass wir von diesem Erfolg dem Konzern etwas zurückgeben können.

Woher kommt die Begeisterung der Kunden für diese Marke?

Porsche ist eine extrem wertvolle Marke mit faszinierenden Produkten, mit einer starken Organisation und guten Prozessen. Bei allem, was wir machen, steht der Mensch im Mittelpunkt. Ein Porsche wird immer von Menschen gemacht, in einem Porsche steckt viel Handarbeit, Liebe und Herzblut. Innerhalb der Porsche-Mannschaft gibt es einen starken Zusammenhalt, alle Abteilungen spielen sehr gut zusammen – so, wie man das aus dem Sport kennt. Außerdem gibt es den Ehrgeiz, stets für die beste Lösung zu kämpfen. So entstehen Produkte, die von ihrer Exklusivität leben, ihrer Qualität und dem Fahrspaß. Dafür sind die Kunden gerne bereit, auch etwas mehr zu zahlen.

Wie viel Deutschland muss in einem Porsche stecken?

Porsche ist ein global agierendes Unternehmen mit Produkten, die in Deutschland entwickelt und hergestellt werden. Etwa ein Drittel unseres Geschäfts machen wir in den USA, ein Drittel in Europa und ein Drittel in Asien. China und die USA sind die beiden stärksten Einzelmärkte. Insofern sind wir sehr international. Wir spüren aber, dass unsere Kunden Wert darauf legen, dass in einem Porsche immer ein Stück Deutschland steckt.

Wie wird das Stück Deutschland für die Kunden spürbar?

In der Entwicklungsleistung, im Design und in der Qualität. Natürlich spielt auch die Porsche-Tradition eine besondere Rolle, die wir mit modernen Technologien verbinden. Der 911er trägt immer noch die Gene des Ur-911er aus den 60er Jahren.

Was können die Marken im VW-Konzern von Porsche lernen?

Stärken von Porsche sind die Prozess-Effizienz, die hohe Qualität und die Kunden-Orientierung. Jede Marke hat ganz spezielle Stärken. Der Vorteil eines so großen Konzerns ist, dass jede Marke diese Vorzüge einbringen kann und alle Marken voneinander profitieren. Überall gibt es helle Köpfe mit intelligenten Ideen. Das nutzen zu können, ist der große Vorteil des Konzerns. Auch ich lerne so jeden Tag hinzu. Es gibt viele verschiedene Zusammenarbeitsmodelle. Erst vor zwei Wochen haben wir eine größere Kooperation mit Audi vereinbart.

Worum geht es?

Um die Zusammenarbeit bei einer Premium-Elektro-Plattform. Alles, was für den Kunden nicht sichtbar ist, entwickeln wir in diesem Fall mit Audi gemeinsam. Alles, was sichtbar ist, wird von der jeweiligen Marke entwickelt. Wenn beide Marken ihr Wissen zusammenlegen, wird der VW-Konzern unschlagbar.

Würde Porsche allein die technologischen Umbrüche nicht bewältigen können?

Porsche ist im Vergleich zum VW-Konzern ein sehr kleines Unternehmen. Der Konzern-Baukasten bringt uns erhebliche Vorteile. Auf der anderen Seite ist Porsche bereit, sich bei Technologien einzubringen, in denen wir führend sind.

Sind Sie froh, dass Porsche nicht so viele Diesel verkauft?

Bei Porsche spielt der Diesel traditionell keine so große Rolle. Wir haben keine eigene Diesel-Entwicklung und wir bauen auch keine Diesel-Motoren. Wir bedienen uns an der Stelle aus dem Baukasten des Konzerns. Die hocheffizienten Motoren sind für unser Portfolio aber eine sehr gute Ergänzung.

Wie geht Porsche mit der aufgeheizten öffentlichen Diskussion um den Diesel-Motor um?

Die CO2-Gesetzgebung in Europa macht es erforderlich, dass wir noch eine längere Zeit auf Diesel-Motoren angewiesen sind. Porsche setzt auf einen Mix aus Verbrennungsmotoren, Hybrid-Antrieben und reinen Elektro-Antrieben. Diese Kombination ist für die nächsten zehn Jahre notwendig. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Entwicklung in den verschiedenen Weltregionen sehr unterschiedlich ist. Das gilt insbesondere für die Infrastruktur. Deshalb müssen wir uns so flexibel wie möglich aufstellen.

Porsche fahren ist ein sinnliches Erlebnis, zu dem ein röhrender Motor gehört. Das Elektroauto ist dagegen nahezu geräuschlos. Akzeptiert der Porsche-Kunde das E-Auto?

E-Mobilität und Porsche passen hervorragend zusammen. Elektro-Antriebe haben zum Beispiel sensationelle Beschleunigungswerte. Wichtig ist, dass die E-Fahrzeuge Porsche-typisch ausgelegt werden – mit Porsche-Design, Porsche-Qualität und Porsche-Fahrdynamik. So können wir unsere Tradition in die Zukunft übertragen. Wie unsere Elektromotoren klingen werden, erleben Sie jetzt schon auf der Rennstrecke in Le Mans.

Inwieweit unterscheiden sich die Kunden in Deutschland, in den USA und in China?

Insbesondere in den USA ist die Liebe der Kunden zu Porsche sehr ausgeprägt – getragen von den Porsche-Motorsport-Erfolgen und Prominenten wie James Dean, die Porsche gefahren haben. In den USA gibt es den weltweit größten Porsche-Club. Ähnlich ist es in Europa. In Asien dagegen gibt es diese lange Tradition noch nicht. Unsere Kunden dort sind oft noch sehr jung. Und wir begeistern auch sehr viele Frauen.

Wird es für Porsche im Zeitalter des autonomen Fahrens noch einen Platz geben?

Klar, Porsche wird immer eine Marke sein, die man selbst fahren möchte. Aber auch für den Porsche-Fahrer gibt es Situationen, in denen er gerne auf Module des autonomen Fahrens zurückgreifen wird. Nichts spricht gegen das autonome Fahren im Stau, im Stop-and-go-Verkehr. Es ist doch reizvoll, wenn ich Zeitung lesen kann und das Auto fährt mich zur Arbeit. Es ist außerdem praktisch, wenn ich zum Essen verabredet bin und das Auto parkt automatisch ein. Darüber hinaus arbeiten wir an Konzepten, wie wir autonomes Fahren Porsche-typisch interpretieren können. Wir denken hier etwa an eine Mark-Webber-App. Die können Sie sich herunterladen und ein virtueller Mark Webber chauffiert Sie dann um die Nordschleife am Nürburgring. Er ist eine Art Instrukteur und coacht Sie virtuell.

Wie viel Digitalisierung braucht Porsche?

Digitalisierung ist dort absolut sinnvoll, wo wir einen Kundennutzen erzielen und wo wir unsere Prozesse verbessern. Wir werden aber nicht jedem Ball hinterherlaufen, sondern nur dort digitalisieren, wo es einen Mehrwert bringt.

Wie entwickeln Sie die Modellpalette weiter?

In vier Dimensionen: Wir werden rein-elektrische Fahrzeuge anbieten mit hohem Digitalisierungsgrad. Wir untersuchen unsere Basis-Produktpalette außerdem auf Modellergänzungen. Wir werden unsere straßentauglichen Rennsportmodelle erweitern und wir werden puristische Modelle anbieten, die statt beispielsweise des Automatikgetriebes eine Handschaltung haben. Dieses puristische Autofahren wird von vielen Kunden geliebt. Wir sind überzeugt, dass die Kombination des Puristischen mit moderner Technik sehr gut angenommen wird.

Welchem Leitbild folgen Sie?

Das Grundprinzip von Führung und Kultur ist immer gleich– egal, ob in einem großen oder in einem kleinen Unternehmen. Eine Kultur entsteht über die agierenden Personen. Sie muss von oben vorgelebt werden. Ich war bei Audi, bei Seat, bei VW und bei Porsche. Dort habe ich immer gleich gearbeitet. Für mich ist entscheidend, jeden Menschen im Unternehmen so zu behandeln, wie ich selbst behandelt werden möchte. Was Matthias Müller im VW-Konzern angestoßen hat, finde ich ganz hervorragend. Allerdings braucht die Veränderung einer Kultur Zeit und Geduld.

Was sind die Unterschiede zwischen Braunschweig und Stuttgart, aber auch die Gemeinsamkeiten?

Stuttgart ist eine andere Größenordnung, in der Region dort leben mehr als eine Million Menschen, in der Stadt 600 000. Ich schätze an beiden Städten die traditionellen Werte, die Bodenständigkeit und Heimatverbundenheit. In beiden Städten wird das kombiniert mit technologischem Fortschritt. Es gibt in beiden Städten viele Forschungsinstitute und Unternehmen, die partnerschaftlich zusammenarbeiten. Außerdem wollen beide Fußballvereine in die erste Liga.

Was verbindet Sie noch mit Braunschweig?

Ich bin in Braunschweig geboren, zur Schule gegangen, habe in Braunschweig studiert. Obwohl ich seit 20 Jahren nicht mehr in der Region lebe, ist das doch immer noch meine Heimat. Ich habe meine Familie und viele Freunde noch hier und komme immer wieder gerne nach Braunschweig.

Wie bewerten Sie die Entwicklung der Forschungslandschaft in Braunschweig und den Aufbau des Niedersächsischen Forschungszentrums Fahrzeugtechnik (NFF)?

Die Erweiterung der TU Braunschweig begrüße ich sehr. Hier sind tolle Möglichkeiten und Räumlichkeiten für die Forschung entstanden. Braunschweig hat als Forschungsstandort einen ganz hervorragenden Ruf, deshalb ist es wichtig, dass sich die TU für die Zukunft aufstellt.

Wie ordnen Sie das NFF in der deutschen Forschungslandschaft ein?

Es hat schon eine Leuchtturmfunktion. Das ist eine Folge der Vernetzung mit weiteren Hochschulen in Norddeutschland. Wie im VW-Konzern gilt auch hier: Gemeinsam ist man immer stärker. Die niedersächsische Forschung ist mit der TU Braunschweig in Deutschland eine der führenden.

Wie wichtig ist für einen Autobauer wie Porsche die Nähe zu einer Forschungseinrichtung?

Enorm wichtig. Wir arbeiten zum Beispiel bei Neuentwicklungen sehr eng mit Universitäten zusammen, auch mit der TU Braunschweig und dem NFF. Kooperationen mit Hochschulen sind für uns aber auch unter dem Aspekt der Nachwuchsgewinnung von großer Bedeutung.

Wie groß sind die Unterschiede in der Forschungsarbeit zwischen den Hochschulstandorten Stuttgart und Braunschweig?

Die Unterschiede sind gar nicht so groß. Für Braunschweig wird es ganz wichtig sein, sich für die vielen neuen Technologien zu positionieren und die richtigen Schwerpunkte zu setzen. Das gilt für das autonome Fahren ebenso wie für die Verkehrssteuerung. Lehre und Studium sollten so praxisnah wie möglich gestaltet werden. Dazu gehören Kooperationen mit Unternehmen, aber auch die Möglichkeit, dass die Studenten im Labor arbeiten können.

Nehmen Sie Braunschweiger Spargel mit nach Stuttgart?

Das mache ich in der Tat. Ich esse sehr gerne Spargel. Wenn ich bei meinen Eltern vorbeifahre, dann nehme ich Spargel mit, obwohl es in Süddeutschland auch sehr guten gibt. Man ist dort als Braunschweiger nicht entwöhnt.